Ich sprach damals nur wenige Brocken Deutsch. Gerade so viel, dass ich mir ein Bier und eine Bulette bestellen konnte.“
Er winkte der Kellnerin und bat sie um die Speisekarte.
Jens Mander befürchtete, dass durch Zwischenfragen sein Gegenüber den Gesprächsfaden verlieren könnte, deshalb wartete er geduldig darauf, dass er sein Schweigen beenden würde.
Hawkeye bestellte aus der Karte ein Filetsteak mit einer Folienkartoffel und Speckbohnen; Jens entschied sich für einen Salatteller mit Putenbruststreifen. Während die beiden auf ihr Essen warteten und auch während des Essens sprachen sie kein Wort miteinander. Mit einem Anflug von Gereiztheit schickte Hawkeye die Kellnerin weg, als sie die weiteren Genüsse des Hauses anbieten wollte.
„Ich weiß, dass Du Raucher bist und von mir aus kannst Du Dir eine Deiner heiß geliebten Zigarillos anzünden. Ich darf zwar nicht mehr, aber ich rieche es immer noch gern“, beendete Hawkeye das Schweigen.
Während Jens sich eine Biddies anzündete, zog Hawkeye aus seiner Hosentasche ein Fläschchen, öffnete es, setzte es an seine Lippen und kippte den Inhalt in seinen Mund.
„Sorry, mein Freund. Das war meine Mittagsration an Tabletten.“
Er schluckte zweimal und schickte dann einen großen Schluck Wasser hinterher. „Die Quacksalber sind zwar der Meinung, dass die Tabletten vor dem Essen eingenommen werden sollten, aber da gehen sie mir auf den Magen …“
Hawkeye lehnte sich in seinen Stuhl und begann wieder mit seiner Geschichte.
„Da war ich also in Berlin - in der geteilten Stadt. Es war Frühling und ich war bester Laune. Mein Marschbefehl enthielt keine besonderen Instruktionen - nur wann und wo ich mich zu melden hätte - Turner Barracks am Hüttenweg. Merkwürdig war nur, dass ich ohne meine Ausrüstung in Marsch gesetzt wurde.
Ich war schon fast vier Wochen in Berlin, bis ich in den Situation-Room des Clay Headquarters in der Clayallee in Dahlem, zitiert wurde. Als ich den Raum betrat, waren zwei Zivilisten und mein Commander anwesend.
Die Besprechung begann mit der Vorstellungsrunde. Der eine war ein Bundesmarshall, seinen Namen habe ich vergessen. Der andere Zivilist, der aussah, als hätte man ihn vom Golfplatz geholt, hielt sich abseits und hüllte sich in ein bedeutungsvolles Schweigen. Dann kamen die üblichen Belehrungen zur Einleitung: dass nichts vom dem, was besprochen werde, den Raum verlassen dürfe und diese Besprechung eigentlich nie stattgefunden habe. Keine Notizen, keine Bandaufzeichnungen, alles nur Face-to-Face.
Da ich in der Vergangenheit schon mehrfach für geheimste Spezialeinsätze instruiert wurde, war mir das nichts Neues.
Außer dass diesmal der »United States Marshals Service« beteiligt war. Das und der »Golfspieler« machten mich schon stutzig - aber nicht besonders.“
Hawkeye fügte wieder eine Pause an und winkte die Kellnerin an den Tisch. „Ein Bier“. Jens bestellte sich eine große Fassbrause.
Mit seiner Erzählung fuhr er erst fort, als die Getränke vor ihnen auf dem Tisch standen.
„Um es kurz zu machen - ich wurde informiert, dass der US Präsident in den nächsten Tagen Deutschland besuchen würde und eine Station dieser Reise Berlin sei. Für den Schutz des Präsidenten seien zwar der »United States Marshals Service« zuständig, aber an besonders exponierte Stellen wären noch Spezialkräfte des »Airborne Command« postiert. Zwei Teams und ich würden den Rudolf-Wilde-Platz sichern.
Mein Team würde aus einem »Spotter« und einem »Coordinator« bestehen. Wir würden unabhängig von der Berliner Polizei, dem Berliner Staatsschutz, dem Bundeskriminalamt und der Sicherungsgruppe Bonn agieren.
Der »Golfspieler« hatte mich während der ganzen Zeit schweigend gemustert.
Erst, nachdem der Commander und der Marshal ihre Ausführungen abgeschlossen hatten, verlangte er mit mir alleine zu sprechen und nachdem die Türe schon einige Minuten geschlossen war, begann er mit seiner Rede.
»Sergeant Major, um es kurz zu machen. Wir haben Erkenntnisse, dass der Präsident während des Aufenthalts in Berlin Ziel eines Anschlags werden könnte. Wir vermuten drei Attentäter und glauben, dass der Angriff auf den Präsidenten am Rathaus Schöneberg erfolgen könnte«
Er sah mich bedeutungsvoll an.
»Den Hitman 1
und seine Schussposition konnten wir noch nicht identifizieren; ein Attentäter könnte auf der Pressetribüne sein. Einen Angriff von der Pressebühne halten wir für eher unwahrscheinlich. Wenn wir uns aber irren, ist es Ihre Aufgabe sich um den Mann zu kümmern; Ihr Auftrag: schalten Sie ihn aus. Der Koordinator wird zu gegebener Zeit ihr Ziel markieren«
Ich hatte bis dahin schon einige heikle Aufträge erledigt, aber das war sehr seltsam - einen Killer zu liquidieren gehörte ja zu meinem Job, aber der Killer wurde in einer Menschenmenge vermutet. Das bedeutete unter Umständen Kollateralschäden.
Aber beim »Airborne Command« werden Befehle nicht hinterfragt; lautet der Befehl »spring« fragt man nicht »ob« sondern nur »wie weit«.“
Er unterbrach mit einem bitter klingenden Lachen.
„Zwei Tage nach dem Briefing traf mein Beobachter (Spotter) ein. Auf dem Schießplatz »Keerans Range« im Grunewald in der Kronprinzessinnenallee stimmten wir unsere Ausrüstung ab. Ich hatte ein »Savage 10FPXP-LEA« Scharfschützengewehr, ein Zielfernrohr und .308 Winchester Spezialmunition erhalten. Ich machte einige Shot‘s.
Am frühen Morgen des sechsundzwanzigsten Juni bezogen wir unseren Posten in einer Wohnung. Aus einem der Fenster, von dem wir den Blick auf das Rathausportal und die aufgebaute Pressetribüne hatten, entfernten wir die Glasscheibe. Kurz nach uns traf auch der Koordinator ein - ein schmalbrüstiger Latino. Nicht dass ich was gegen Latinos hätte, aber der war ein »slimeball«, ein richtiger Kotzbrocken. Nicht nur, dass er uns ständig erklärte wie wir unser Business zu erledigen hätten, er wäre am liebsten jedem Rock nachgelaufen, den er mit seinem Fernglas ausmachen konnte.
Kurz vor Eins kam dann JFK um die Ecke gefahren, hielt seine Rede und verschwand im Rathaus und um Drei war der Spuk vorbei. Aber es war nichts passiert, keine Auffälligkeiten, kein Attentat - nichts.
Um Vier zogen wir ab, ohne dass wir aktiv werden mussten.
Eine Woche später hatte ich meinen Marschbefehl, kehrte Berlin den Rücken und setze mein bisheriges Leben fort. Mit meinem »Spotter« war ich nochmals im Kambodscha in einem Einsatz mit neun bestätigten Hit‘s. Den Latino habe ich nie wieder getroffen.“
Jens wollte gerade anfangen seine aufgestauten Fragen zu stellen, aber Hawkeye gab ihm keine Chance.
„Das was ich Dir bisher erzählt habe, mein Freund, wäre alles ohne große Bedeutung, wenn es da nicht noch zwei Vorfälle gegeben hätte.
Der Erste - der Präsident wurde einige Monate später tatsächlich ermordet und der Attentäter später liquidiert. Und dann dieser Zettel.“
Während er die letzten Worte sprach, hatte er ein altes, vergilbtes und zerknittertes Stück Papier aus seiner Brieftasche gezogen und Jens zugeschoben.
Jens nahm es in die Hand und versuchte die Schrift zu entziffern, aber es waren nur aneinander gereihte Buchstaben und diakritische Zeichen.
„Sorry, das versteh ich nicht“, sagte Jens und gab ihm den Zettel wieder zurück. „Das könnte alles Mögliche heißen oder auch nur die Kritzelei eines Kindes sein.“
„Das ist Diné Bizaard - meine Muttersprache und das ist Navajo-Code.“ Er grinste Jens an. „Du kennst doch die Code-Talker, die im letzten Krieg die geheimen Nachrichten übermittelt haben und deren Code nie entschlüsselt werden konnte?“
Jens nickte.
„Ende letzten Jahres musste ich mal wieder zu einer stationären Behandlung ins Benjamin Franklin. Wenn sie mir die Medikamente infundieren und ich dabei bei Verstand bleibe, nutze ich die Zeit zum Lesen. Ich hatte mir diesmal in der Luther-Straße ein paar antiquarische Bücher besorgt. Eines der Bücher hatte den Titel »700 Jahre Schöneberg«. Auf der Innenseite fand ich die handschriftliche Widmung des Autors in der er sich bei einer Dame für die Unterstützung bei der Entstehung des Buchs bedankte.
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