1 ...6 7 8 10 11 12 ...21 Ich bin mit meinem Vater und Joseph an Land, da mein Vater für uns frisches Obst besorgt hat. Gemeinsam tragen wir die Früchte jetzt zu unserem Schiff. Als wir eben an Bord gehen wollen erregt eine Prügelei unsere Aufmerksamkeit. Einer der Billington Jungen schlägt sich mit einem anderen Jüngling ganz in unserer Nähe. Mr. Bradford, ein Drucker aus Leiden, den wir schon kennengelernt haben, steht an der Reling der Speedwell und ruft einen weiteren Mann zu Hilfe, bevor sie über die Planken laufen, um die Streithähne zu trennen.
Mein Herz setzt für einen Moment aus, um dann wie wild weiter zu schlagen. Der Mann bei Mr. Bradford ist jener Fremde, der mich durch seinen intensiven Blick so aus der Fassung gebracht hat.
An diesem Tag trägt er einen leichten Brustpanzer über seinem Wams und er sieht sehr entschlossen aus, als er die Raufbolde grob voneinander trennt. Offenbar ist er kampferprobt und es ist gar nicht notwendig, dass ihm Mr. Bradford behilflich ist.
»Verzieh dich, Kleiner«, schickt er den Bengel der nicht zu unsern Leuten gehört mit befehlsgewohnter Stimme weg. Den jungen Billington hält er am Kragen gepackt. »Hör zu Bürschchen! Benimm dich, oder ich verpasse dir die Prügel deines Lebens«, droht er ihm und schüttelt ihn bekräftigend durch.
Mr. Bradford sieht, wie wir mit großen Augen dastehen und gebannt auf die Szene starren, die sich vor uns abspielt. Er kommt zu uns und lächelt beschwichtigend. »Ich bedaure diesen Vorfall, Mr. Mullins und kann euch versichern, dass so etwas nicht wieder vorkommt«, entschuldigt er sich bei meinem Vater.
»Nun ich hoffe, es gibt nicht noch mehr gewalttätige Leute unter euch«, meint mein Vater peinlich berührt. Ich habe ähnliche Sorgen. Es würde sich als schwierig erweisen mit solchen Menschen zusammenzuleben, an einem Ort wo jeder auf den anderen angewiesen ist.
Der junge Billington wischt sich seine blutige Nase und trollt sich zurück auf das Schiff. Mr. Bradford ruft den Mann in dem Brustpanzer und winkt ihn zu uns heran, um ihn meinem Vater vorzustellen. Mir klopft das Herz bis zum Hals, als er nun zu uns rüber kommt. Ich habe keine Ahnung, was mit mir los ist, aber ich kann meine Augen nicht von ihm lassen.
»Mr. Mullins, das ist Captain Miles Standish. Er sorgt dafür, dass die Ordnung aufrecht bleibt«, stellt ihn Mr. Bradford zuversichtlich lächelnd vor. Wir erfahren, dass Captain Standish ein erfahrener Offizier ist, der in der königlichen Armee gedient hat. Die Leidener Gruppe hat ihn angeworben, damit er unser militärischer Leiter in der Neuen Welt wird.
Er drückt meinem Vater kräftig die Hand. Dann fällt sein Blick auf mich und er lächelt mir zu. Wieder habe ich das Gefühl, dass er mir bis in die Seele schaut und merke, wie ich rot werde. Schnell hefte ich meine Augen auf meine Schuhspitzen und murmle einen Gruß. Seine Stimme ist voll und dunkel, er wirkt sehr selbstbewusst. Mein Vater findet ihn offenbar recht sympathisch, und sie beginnen sich zu unterhalten.
Ich wage es nicht, meine Augen, zu heben, bis ich die sanfte Stimme einer Frau höre. Sie ist klein und zierlich, hat große blaue Augen und feines blondes Haar. »Miles? Ich suche dich schon seit einer ganzen Weile«, sagt sie ein wenig verzagt und schaut ihn dabei vorwurfsvoll an. Captain Standish lächelt ihr nachsichtig zu und nimmt ihren Arm. »Darf ich euch meine Gemahlin, Rose, vorstellen, Mr. Mullins?«, wendet er sich an meinen Vater.
Sie ist jung und hübsch und ich verspüre einen Hauch von Enttäuschung, als Miles Standish sie, als seine Frau vorstellt. Mein Vater plaudert noch ein wenig mit ihnen, doch ich wünsche mir nur, zurück auf das Schiff zu gehen, und starre wieder auf meine Schuhspitzen. Schließlich wendet sich mein Vater zum Gehen und ich schaue auf, um mich zu verabschieden, wie es die Höflichkeit vorschreibt.
Als ich in Miles Standish Gesicht blicke, glitzern seine Augen und um seinen Mund liegt ein zufriedenes Lächeln. Ich bin überzeugt, dass er meine Enttäuschung bemerkt hat, als Rose aufgetaucht ist. Wir gehen mit meinem Vater an Bord der Mayflower.
»Du bist ungewöhnlich still heute, Priscilla«, merkt meine Mutter am Abend verwundert an. Erst da fällt mir auf, dass ich den ganzen Tag über kaum ein Wort gesagt habe.
Es ist nun Anfang August und wir haben genügend Vorräte gekauft und sind gerüstet für die Fahrt. Am 5. August brechen unsere Schiffe, die Mayflower und die Speedwell gemeinsam von Southampton auf.
Für uns beginnt nun die lange Reise auf See, an deren Ziel unsere neue Heimat liegt.
Wir sind noch nicht weit gekommen, als uns von der Speedwell, die in unserer Nähe segelt, Zeichen gegeben werden. Kapitän Jones steuert die Mayflower backbord an das kleinere Schiff heran.
»Sie säuft sich mit Wasser voll und unten im Frachtraum gibt es mehrere Lecks«, erklärt Mr. Reynolds, der Kapitän der Speedwell.
»Die vielen Masten belasten den Rumpf«, knurrt Kapitän Jones geringschätzig. Er macht keinen Hehl daraus, dass er von der Seetüchtigkeit der Speedwell wenig hält. Seine Bemerkung trägt ihm einen wütenden Blick von Kapitän Reynolds ein, aber Christopher Jones hat sich bereits abgewandt.
Eine Weiterreise in diesem Zustand ist für die Speedwell undenkbar. Hinter uns liegt Dartmouth und wir kehren um und steuern mit beiden Schiffen den Hafen an, damit die Speedwell repariert werden kann.
Peter und ich nutzen die Zeit an Land und bearbeiten John Goodman, um ihm sein Geheimnis zu entlocken. »Wir sind schon auf dem Weg zu den Kolonien, am anderen Ende der Welt. Wem kann es schaden, zu erfahren, was du in London angestellt hast?«, dringt Peter hartnäckig auf John ein.
John wirkt verunsichert und schaut Peter gequält an. »Ich habe versprochen, nichts zu sagen.«
»Dann sag uns wenigstens, wovor du Angst hast, wenn wir es erfahren«, hake ich nach.
»Es könnte die Beteiligten ins Verderben stürzen. Noch haben wir England nicht verlassen und hier gibt es genügend Leute, die nur zu gerne einige von uns im Gefängnis sehen würden.«
Ich wechsle einen vielsagenden Blick mit Peter. Fast tut mir John Goodman leid, als wir ihn so bedrängen, aber seine Worte bewirken, dass wir beide noch neugieriger werden.
»Hör mal John, wir sitzen hier Mutterseelenalleine auf einer Wiese im Nirgendwo von Dartmouth. Keiner hört, was wir reden und wir verraten bestimmt nicht unsere eigenen Leute. Sind wir denn jetzt nicht alle eine Gemeinschaft? Es ist Zeit, dass wir einander vertrauen.«
Ich nicke Peter anerkennend zu. Das hat er wirklich gut gesagt.
John Goodman überlegt einen Moment. Schließlich seufzt er: »Also gut. Aber ihr müsst bei eurem Leben schwören, dass ihr es niemandem sagt.« Wir legen die rechte Hand aufs Herz und schwören feierlich.
Читать дальше