Der junge Mann, der mich aufgefangen hat, ist blond und sehr groß. Er hält mich noch immer fest, besorgt, dass ich erneut ausgleiten könnte. »Vielen Dank Sir, ihr habt mich vor einem schlimmen Unglück bewahrt«, sage ich erleichtert und senke verlegen meinen Blick.
Er lässt mich los und nimmt mir den Korb ab. »Erlaubt mir Miss, dass ich ihn trage.«
Ich nicke dankbar und beeile mich an Bord zu gelangen.
Er folgt mir und stellt den Korb neben mir ab. Mit einer kleinen Verbeugung und einem freundlichen Lächeln stellt er sich vor. »Mein Name ist John Alden. Ich bin als Küfer hier auf der Mayflower.«
Der Küfer gehört zu den Versorgungsoffizieren an Bord und hat die wichtige Aufgabe sich um die Instandhaltung der Fässer zu kümmern, in denen Wasser, Bier und Lebensmittel aufbewahrt werden. Ein durchaus angesehener Beruf, schießt es mir durch den Kopf.
»Priscilla Mullins«, antwortete ich und erwidere zögernd sein Lächeln. Plötzlich steht meine Mutter vor mir.
Sie wirft John Alden einen missbilligenden Blick zu und er tippt an seinen Hut und entfernt sich. »Was soll das Priscilla? Wer war der junge Hirsch, mit dem ich dich hier plaudernd vorfinde, als hättest du keine Arbeit?«, zischt sie mir scharf zu.
»Mr. Alden gehört zur Crew und hat mich vor einem bösen Sturz ins Wasser bewahrt. Sonst war nichts«, erkläre ich trotzig.
»Wenn du die Augen offenhalten würdest, kämst du nicht in Gefahr zu fallen«, schimpft sie verdrießlich.
Ich muss ihr recht geben. Es ist nicht mein bester Tag.
Ich bin auf dem Zwischendeck und versuche, so gut es geht unsere Betten in Ordnung zu bringen. Für jedes Mitglied unserer Familie steht nur ein schmaler Strohsack zur Verfügung. Wir liegen dicht gedrängt, alle nebeneinander. Um uns ein wenig abzugrenzen, von unseren Mitreisenden, haben Peter und Robert meinem Vater geholfen einige Bretter vor unsere Schlafplätze zu nageln. Dadurch ist es wie in einer feuchten Höhle darin und die Luft wird noch stickiger.
Die meisten anderen Passagiere haben nicht viel mehr Platz. Es gibt etwas bessere Abschnitte, für die Familie Martin, nahe an der Strickleiter, die zur Luke auf das Oberdeck führt. Hier ist es luftiger. Auch die Hopkins haben dort ihre Schlafplätze, weil man Rücksicht nimmt auf Mrs. Hopkins Schwangerschaft und sie mit den Martins bekannt sind.
Peter kommt und berichtet mir aufgeregt, was sich im Poop House, der Kabine von Kapitän Jones zugetragen hat. Die Mannschaft hat bequemere Quartiere auf dem Oberdeck, wo auch die Kabine von Kapitän Jones liegt, die der einzige wirklich komfortable Raum auf dem Schiff ist. Peter, der wenig zu tun hat, im Gegensatz zu uns Frauen, langweilt sich und treibt sich nach seinen Landgängen gerne bei den Offizieren und Matrosen herum. Dabei hat er gerade eben eine heftige Auseinandersetzung mitangehört, die in der Kapitänskabine ausgetragen wurde.
Mr. Cushman hat Mr. Martin zur Rede gestellt, wegen der verschwenderischen Nachlässigkeit, mit der er das Geld aus unserer Reisekasse verprasst. Mein Vater und einige andere Männer aus der Leidener Gruppe waren ebenfalls dabei und stimmten Mr. Cushman zu.
»Wie du dir vorstellen kannst, hat sich Mr. Martin entschieden gegen die Anschuldigungen gewehrt und geschrien, dass sie alle undankbar sind und seine Arbeit nicht zu schätzen wissen«, erzählt mir Peter. »Er war sehr aufbrausend und anmaßend und beschimpfte die Männer aus Leiden, als arme Schlucker, die froh sein durften überhaupt mit dabei zu sein. Mr. Carver, der wie du weißt, sehr wohlhabend ist und sein Vermögen in diese Reise gesteckt hat, überhörte seine Beleidigungen und versuchte, ihn sanftmütig zur Vernunft zu bringen. Doch er wurde von Mr. Martin angebrüllt, dass niemand das Recht hätte sich zu beschweren außer ihm selbst.«
Ich bin sehr erbost, als ich höre, wie Mr. Martin mit meinem verehrten Mr. Carver umgeht. »Wie kann er so mit ihm reden? Ich bedauere es, kein Mann zu sein, denn ich würde ihm gewiss Manieren beibringen.«
Peter lacht, als ich das sage und meint: »Die Indianer müssen sich wohl vor dir in Acht nehmen, so kriegerisch wie du bist.«
Das bringt auch mich zum Lachen. Ich bin sehr froh, dass Peter uns begleitet auf unserer Reise, denn ich verstehe mich sehr gut mit ihm.
Da Peter viel Zeit bei der Mannschaft des Schiffes verbringt, erfahre ich von ihm auch mehr über die Seeleute. Wir haben einen jungen Arzt an Bord, Giles Heale, der bei einem Mr. Blanie eben seine Lehre als Baderchirurg beendet hat. Kapitän Jones hat seinen jungen Verwandten Richard Gardinar eingestellt und einen weiteren Verwandten für die Reise angeheuert. Es ist John Alden, der Küfer, der mich vor dem Sturz bewahrt hat. Ich erwähne mit keinem Wort, dass ich bereits seine Bekanntschaft gemacht habe.
In den folgenden Tagen scheint es, als hätten die Leute aus Leiden ihre Streitereien mit Mr. Martin beigelegt. Mr. Cushman hält jetzt ein wachsames Auge auf Mr. Martins Ausgaben. Darüber sind auch die Mitreisenden aus unserer Gruppe erleichtert, allen voran mein Vater. Wir haben eine Menge zu verlieren, das Geld ist knapp und wir können es uns nicht leisten, es zu verschleudern.
In Southampton gehen noch mehr Passagiere an Bord der Speedwell. Mr. Cushman und Mr. Carver nehmen vier fremde Kinder in ihre Obhut. Es handelt sich um die Söhne und Töchter des adeligen Mr. More aus Shropshire, die aus einer ehebrecherischen Beziehung seiner Frau stammen. Er will sie nicht in seinem Haus haben und verfügt, dass sie in die Kolonien geschickt werden.
»Wir werden gut für sie sorgen«, tröstet der gutherzige Mr. Carver, ihre aufgelöste Mutter, die absolut nicht mit der Entscheidung ihres Ehemannes einverstanden ist.
Ich sehe zu, wie man die ängstlich wirkenden Kinder an Bord der Speedwell bringt.
Wahrscheinlich haben sie in den Kolonien bessere Chancen auf ein anständiges Leben, als wenn sie in London in einem Waisenhaus aufwachsen, denke ich im Stillen.
Eine Familie namens Billington fällt unangenehm auf, als sie an Bord der Speedwell gehen. Es sind gewöhnliche Leute, ein Mann und eine Frau in mittleren Jahren, die von ihren zwei heranwachsenden Söhnen begleitet werden. Die Frau redet laut und vulgär. Ihr Kleid hat Flecken und als ich verstohlen zu ihr hinsehe, nimmt sie eben ihre Haube ab, schnäuzt sich geräuschvoll hinein und setzt sie wieder auf. Ich schüttle mich.
Ihr Mann scheint betrunken zu sein. Er lacht sehr laut und grölt. Seine Söhne haben schlechte Manieren und stoßen sich gegenseitig rüpelhaft an, als sie an uns vorüber gehen.
Sie passen nicht wirklich zu den übrigen Leuten aus Leiden die ruhig und höflich erscheinen und ich frage mich, wie sie zu der Gruppe gekommen sind. Ihre Mitreisenden werfen ihnen scheele Blicke zu, doch niemand ermahnt sie wegen ihres Betragens.
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