Es ist ein ergreifender Abschied, als die notdürftig geflickte Speedwell mit wenigen Reisenden und ohne einen ihrer Offiziere, Thomas English, der sich uns angeschlossen hat, die Rückfahrt nach London antritt.
Kapitän Jones spricht schließlich ein Machtwort: »Wir müssen jetzt aufbrechen, wenn wir heil über den Atlantik kommen wollen. Warten wir noch länger, werden wir an den Winterstürmen scheitern«, beendet er die tränenreichen Umarmungen.
Am 16. September verlassen wir schließlich Plymouth und brechen endgültig in die Neue Welt auf.
Nachdem wir nun bereits zwei Monate an Bord leben, sehne ich mich danach, wieder an Land zu wohnen.
All meine Träumereien, die ich von Schiffen und abenteuerlichen Reisen gehabt habe, sind mir restlos vergangen.
Ich empfinde das Leben an Bord schier unerträglich. Überall liegen, sitzen und stehen Menschen. Wir kleben förmlich aneinander. Dazwischen türmen sich unsere Kleider und Geschirr. Manche Leute haben ihre Haustiere bei sich. Es gibt Käfige mit Vögeln und einige haben ihre Katzen mitgebracht, was ständig für Aufruhr sorgt, wenn die Katzen gegen die Käfige springen und die Vögel in Todesangst darin herumflattern.
Es gibt keinen trockenen Ort, alles ist irgendwie feucht und modrig. Keiner von uns kann sich ordentlich waschen an Bord und der Gestank, nach menschlichen Ausdünstungen und schmutzigen Kleidern ist überwältigend. An den groben Bretterverschlägen unserer behelfsmäßigen Kojen, hängen Eimer, die zur Verrichtung der Notdurft dienen. Obwohl sie häufig geleert werden, ist der Geruch bestialisch. Die ständige Dunkelheit, die uns auf dem Zwischendeck umgibt, ist zermürbend.
Es gibt kaum Platz zu kochen und die Frauen drängen sich an den behelfsmäßigen Kohlepfannen. Jede Familie ist für die Zubereitung ihres eigenen Essens zuständig. Der Schiffskoch versorgt nur die Besatzung.
Eines Tages bin ich dabei, Lunch für meine Familie zu machen. Wir kriegen täglich die Rationen für unsere Familien, von einem der Quartiermeister zugeteilt. Heute habe ich ein Stück eingesalzenes Rindfleisch bekommen mit Zwiebeln und Bohnen. Ich mache einen Eintopf daraus, aber es dauert ewig, bis das zähe Fleisch so durchgegart ist, dass es genießbar wird. Einige Frauen warten mit ihren Körben voller Essen, dass ich endlich die Kochstelle verlasse, sodass sie dran kommen.
Einer von ihnen wird die Warterei zu bunt und sie drängt sich an den anderen vorbei. »Komm Mädchen, mach weiter! Was kochst du da, Stiefelfetzen?«, fährt sie mich an und schubst mich grob zur Seite.
Ich erkenne in ihr Mrs. Billington, die mir mit ihrer Familie unangenehm im Gedächtnis geblieben ist. Ich bin zu erschrocken, um etwas zu erwidern, und starre sie nur aus großen Augen an. Da schiebt sich eine schlanke blonde Frau, deren schwangerer Bauch sich deutlich unter den Falten ihres Kleides wölbt, zwischen uns und baut sich vor Mrs. Billington auf. »Wenn ich es abwarten kann, das Dinner für meine Familie zu kochen, bevor ich niederkomme, dann werdet ihr euch wohl auch in Geduld fassen können.«
Sie klingt sehr bestimmt und starrt der älteren Frau, die zwar stämmig aber deutlich kleiner ist als sie, streng in die Augen. Die umstehenden Frauen murmeln zustimmend und Mrs. Billington schaut sich unsicher um. »Na ja, wie ihr meint Mrs. White«, gibt sie kleinlaut nach und trollt sich wieder in die Schlange der Wartenden zurück. Mrs. White lächelt mich triumphierend an und zwinkert mir zu. Ich erwidere dankbar ihr Lächeln und trete wieder an meinen Kessel und rühre in dem Ragout.
»Lass dich nicht einschüchtern, die alte Katze hat längst keine Krallen mehr, sie kann nur noch fauchen«, flüstert sie mir verschwörerisch ins Ohr. Ich unterdrücke ein Kichern und flüstere zurück. »Dennoch hat mich ihr Fauchen beeindruckt. Danke für ihre Hilfe Mrs. White.«
»Susannah«, verbessert sie mich freundlich, »du musst wissen, die Billingtons sind hier nicht erwünscht, sondern nur geduldet. Das beinhaltet, dass sie sich ordentlich zu benehmen haben. Wie ist dein Name?«
Ich laufe rot an, wegen meiner Unhöflichkeit, mich nicht vorgestellt zu haben. »Verzeiht mir, ich bin Priscilla Mullins.«
Susannah lächelt nachsichtig. »Können wir uns nicht duzen? Wenn du mich so ehrerbietig ansprichst, komme ich mir vor, wie eine alte Matrone. Du bist aus London nicht wahr?«
Susannah scheint richtig nett zu sein.
Ich nicke erfreut und taue langsam auf. »Gerne. Nicht ganz. Meine Familie stammt aus Dorking in Surrey. Ich bin mit meinen Eltern und meinem Bruder hier.«
Susannah nickt. »Ja, ich habe euch schon gesehen. Ihr seid mit den Martins und den Hopkins befreundet«.
Ich verziehe das Gesicht und schnalze mit der Zunge. »Die Familie Hopkins haben wir erst an Bord kennengelernt und meine Mutter hat sich mit Mrs. Hopkins angefreundet. Ob man das Verhältnis meines Vaters zu Mr. Martin als Freundschaft bezeichnen kann, weiß ich nicht. Ich denke, es ist eher eine Zweckgemeinschaft.« Mir schießt plötzlich der Gedanke durch den Kopf, dass mich meine Mutter scharf tadeln würde, wenn sie mich hören könnte, wie ich wenig schmeichelhaft über andere Leute rede, aber Susannah lacht über meine unverblümten Worte.
»Was für ein Glück! Ich habe mich schon gefragt, wie man mit einem derartig unangenehmen Menschen, wie Mr. Martin befreundet sein kann. Seine Frau mit ihrer sauertöpfischen Miene erscheint mir auch nicht gerade als Quell purer Freude.«
Hastig schaue ich mich um, ob jemand unsere Worte gehört hat, aber wir haben leise gesprochen und die anderen Frauen unterhalten sich ebenfalls, während sie warten. Niemand achtet auf uns. Ich nicke und lächle Susannah verschwörerisch zu und freue mich, weil sie offenbar ehrliche Worte bevorzugt, anstatt des manierlichen unverbindlichen Geplauders.
Mein zähes Rindfleisch scheint nun genügend weich gekocht und ich hebe den Topf von der Kohlenpfanne. Susannah stellt ihren eigenen Kochtopf auf die Feuerstelle und beginnt Fleisch und Zwiebeln hineinzuschneiden. »Es hat mich gefreut dich kennenzulernen. Ich muss jetzt das Essen zu meiner Familie bringen, bevor es kalt wird«, verabschiede ich mich von Susannah.
Sie nickt mir zu. »Wir sehen uns Priscilla.«
Ich bin fröhlicher, als zuvor und eile mit dem schweren Topf zu meiner Mutter, die sich um Mrs. Hopkins kümmert, die Zahnschmerzen hat und von Brechreiz und Übelkeit geplagt wird. Wir alle leiden unter Zahnschmerzen und blutenden Geschwüren im Mund. Der damit einhergehende Mundgeruch ist mir peinlich und ich spüle ständig mit Salzwasser, das fürchterlich brennt und nur wenig hilft. Viele von uns werden von Krankheiten geplagt. Manche husten ständig und einige haben Muskelschmerzen und offene Geschwüre an den Beinen. Unser Befinden wird durch die feuchte stickige Enge in der wir leben, nicht besser.
Читать дальше