»Haben sie Kinder?«, frage ich neugierig.
Susannah nickt. »Sie haben einen dreijährigen Sohn und Dorothy war außer sich, als sie erfahren hat, dass sie ihn nicht mitnehmen darf. Sie hat tagelang geweint und kein Wort mit ihrem Mann gesprochen, aber Williams Entscheidung war völlig richtig. Der Kleine ist kränklich und schwach und hat kaum eine Chance eine so lange Reise unbeschadet zu überstehen. Er ist bei liebevollen Menschen, dem Ehepaar Southworth untergebracht, die gut für ihn sorgen. Er kann nachkommen, wenn das Leben in der Kolonie sicher ist und er ein wenig älter und kräftiger ist.«
Sie hat bisher kein Wort über Miles Standish verloren und ich fasse mir ein Herz und frage sie direkt nach ihm.
»Captain Standish ist ein Gentleman von der Isle of Man. Er stammt aus einer begüterten adligen Familie und war ein hochrangiger Offizier, in der Armee von Königin Elizabeth. William Bradford, der ebenfalls aus besseren Kreisen kommt, und mit ihm schon länger befreundet war, hat Pastor John Robinson vorgeschlagen, ihn als militärischen Führer für unsere Expedition anzuheuern, um die Verteidigung unserer Kolonie aufzubauen und ihn mit der Errichtung eines Forts zu betrauen.«
»Ist er auch ein Separatist?«
Susannah runzelt die Stirn. »Nein, er gehört nicht zu unserer Gemeinde, sofern er überhaupt an einen Gott glaubt«, erwidert sie geringschätzig.
»Du magst ihn also nicht?« Ich kann mir meine Neugier nicht verbeißen.
»Wenn du mich so direkt fragst- Nein, nicht besonders. Er hat einen hitzigen Charakter und geht keinem Streit aus dem Weg. Edward Winslow, der ein kluger Mann ist und ihn aus England kennt, hat Pastor Robinson von ihm abgeraten.«
»Nun, das kann ich mir gut vorstellen. Einem verstaubten Langweiler, wie Mr. Winslow, muss jeder temperamentvolle Mensch zuwider sein«, verteidige ich impulsiv Captain Standish.
Susannah sieht mich prüfend an. »Was interessiert es dich, was andere über Miles Standish denken?«
Ich zucke verlegen die Schultern und fühle mich ertappt. »Gar nichts. Ich mag nur nicht, wenn Leute vorschnell verurteilt werden.«
»Dafür bist du aber fix mit deiner Meinung über andere«, hält sie mir entgegen. »Mr. Winslow ist durchaus kein Langweiler. Er ist ein sehr gebildeter Mann mit diplomatischem Geschick und stammt aus einer wohlhabenden hoch angesehenen Familie.«
Nun ist es an mir mich zu wundern, dass Susannah so entschlossen Partei ergreift für Edward Winslow. »Na das klingt doch nach wahrer Bewunderung! Er muss dich ja mächtig beeindruckt haben, dein Mr. Winslow«, ziehe ich sie auf.
Susannahs Gesicht läuft rot an und ich weiß ich habe einen Nerv getroffen.
»Ach du mit deinen Fragen! Lerne die Leute selbst kennen und entscheide dann, wen du magst und wen nicht.«
»Dich mag ich«, erwidere ich und drücke ihr einen Kuss auf die Wange.
Es ist einer jener seltenen Tage, an denen uns Kapitän Jones erlaubt, uns ein wenig auf dem Oberdeck die Füße zu vertreten. Die See ist ruhig, es weht eine frische Brise, die die Segel strafft und die Sonne eines goldenen Oktobertages wärmt uns Haut und Herz.
An diesem Sonntag hält Reverend Carver eine Predigt an Deck. »Nach unseren ganzen Beschwerlichkeiten belohnt uns Gott nun für unsere Beharrlichkeit und unser Vertrauen in seine Führung. Seht Brüder und Schwestern, wie gut es die See mit uns meint und wie freudig uns die Wellen des Ozeans unserer neuen Heimat entgegentragen!«
»Also wenn er da nicht den Tag vor dem Abend lobt«, raunt mir Peter voller Zweifel ins Ohr.
»Schscht. Kannst du nicht einmal Ruhe geben und die Hoffnung, die durch seine Worte erweckt wird, in uns wirken lassen«, zische ich verärgert.
»Nicht wenn ich es besser weiß. Der gute Reverend Carver hat keine Ahnung von der Seefahrt. Ich habe jedoch mitbekommen, dass Kapitän Jones und seine Offiziere mehr als besorgt sind, weil wir uns noch weit von unserem Ziel entfernt befinden. Er lässt sich durch das gute Wetter nicht täuschen und die erfahrenen Seeleute sind überzeugt, dass wir unweigerlich in dieser Jahreszeit in die Winterstürme geraten werden.«
Ich schaue ihn ängstlich an.
Die Zuversicht, die Mr. Carvers Predigt in mir geweckt hat, ist dahin und ich folge dem Rest seiner Worte nur noch mit halbem Herzen.
»Lasst uns dem Herrn danken, für all seine Wohltaten«, schließt Reverend Carver und wir senken unsere Köpfe in schweigendem Gebet. Von der Mannschaft dröhnt Johlen und Feixen zu uns herüber. Sie verachten uns für unseren Glauben und lassen keine Gelegenheit aus, uns deswegen zu verhöhnen.
Die Besatzung steht uns, bis auf wenige Ausnahmen, feindselig gegenüber. Sicher, es sind Seeleute und ihr Umgangston ist rau, aber sie behandeln uns sehr unhöflich und manche von ihnen scheinen uns regelrecht zu hassen. Ich habe keine Erklärung dafür, aber es macht mich traurig und ich fürchte mich vor diesen derben Leuten.
Es bleibt natürlich nicht aus, dass ich Miles Standish begegne. Er sieht mich immer noch mit diesem durchdringenden Blick an, sobald wir uns über den Weg laufen, aber langsam gewöhne ich mich daran. Ich finde es sogar aufregend, dass er mich so eingehend mustert. Da ich nicht viel habe, das mir Freude bereitet, erlaube ich mir selbst das Herzklopfen und die wohlige Wärme in meinem Bauch, die durch seine Blicke erzeugt werden. Natürlich bemühe ich mich, mir nichts anmerken zu lassen, denn ich weiß, dass meine Mutter mich hart zurechtweisen wird, wenn sie davon erfährt.
Manchmal rufe ich mich jedoch selbst zur Ordnung und sage mir, dass es sich wirklich nicht schickt, über einen verheirateten Mann nachzudenken. Aber ich ertappe mich immer wieder dabei, wie meine Gedanken um ihn kreisen.
Captain Standish wohnt nicht bei uns im Zwischendeck, sondern teilt sich eine Kabine mit John Alden, dem Küfer und anderen Offizieren. Seine Frau Rose ist bei der Familie Bradford hier auf dem Zwischendeck untergebracht und sieht nicht viel von ihm. Unwillkürlich frage ich mich, ob seine Ehe glücklich ist.
Eines Nachts kann ich einfach nicht schlafen. Ich wälze mich unruhig auf meinem feuchten Strohsack, der nach Schimmel riecht hin und her. Rund um mich liegen meine Eltern und mein Bruder und schlafen tief und fest. Robert Carter liegt neben Joseph und schnarcht lautstark. Ich habe das Gefühl, nicht richtig atmen zu können, und beschließe, mich auf das Oberdeck zu schleichen, um ein wenig Luft zu schnappen. Leise stehe ich auf und klettere an der Strickleiter hoch und durch die Luke zum Oberdeck. Ich spähe vorsichtig hinaus, denn wenn mich jemand von der Mannschaft sieht, werde ich sicher wieder zurückgeschickt.
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