»Ich habe keinen Hunger. Bring deinem Vater und den Jungen den Eintopf«, wehrt meine Mutter ab, als ich ihr eine Schüssel des Ragouts anbiete.
Constance hat schon vor mir für ihre Familie gekocht und der Fisch, der ihrer Familie zugeteilt wurde, war schnell gar. Dazu gab es bei der Familie Hopkins Kekse, Bier und Käse. »Mutter hat nur Bier getrunken und an einem trockenen Keks geknabbert«, erzählt sie mir ein wenig verzagt. Ich werfe einen Blick auf Mrs. Hopkins. Sie ist bleich und sieht nicht gut aus. Ihr Bauch steht wie ein Berg von ihr ab. Wir sind nun alle sicher, dass sie ihr Kind, während der Reise bekommen wird. Ich schaue Constance mitfühlend an und biete ihr etwas von dem Ragout an. Sie lächelt mir zu und isst ein paar Löffel davon.
Joseph, Robert und mein Vater kauen an dem zähen Fleisch herum und ich selbst bringe kaum einen Bissen runter. Peter gesellt sich gut gelaunt zu uns. »In den Mannschaftsräumen am Oberdeck ist es besser als hier«, bemerkt er und rümpft die Nase wegen des Gestanks hier unten. Ich kriege ihn nur selten zu Gesicht, da er sich häufig bei den Matrosen aufhält. Er bildet eine Ausnahme und die Besatzung duldet ihn unter sich, weil er ein besonders fröhliches und einnehmendes Wesen hat. Auch mögen sie seine Hündin und spielen mit ihr an Deck. John Goodman und andere junge Männer haben versucht sich ebenfalls den Seeleuten anzunähern, wurden aber barsch zurückgescheucht ins Zwischendeck.
Captain Jones erlaubt uns allen, nur selten nach oben zu gehen. Er findet es zu gefährlich und hat Angst, dass einer von uns über Bord fällt.
Peter ist der Einzige, der es wagt, eine Bemerkung zu dem Eintopf zu machen. »Priscilla, du hast nicht zufällig, das Rindfleisch mit dem Schuhwerk deines Vaters verwechselt, oder?«
Joseph und Robert prusten los und auch ich muss grinsen. Aber mein Vater weist ihn streng zurecht. »Sei dankbar, dass dir der Herr etwas zu essen gibt. Es steht dir nicht zu, darüber zu spotten.«
Peter zuckt gleichmütig die Schultern, erwidert jedoch nichts. Wir essen schweigend mit gesenktem Blick weiter.
Ich frage mich insgeheim, warum unser Leben immer so bitter ernst sein muss und Fröhlichkeit und Spaß, als lasterhaft angesehen werden. Peter scheint ähnlich wie ich zu denken, aber er ist ein Mann und ihm steht es frei, sich eine Meinung zu bilden. Ich habe mich hingegen zu fügen. Jetzt meinem Vater und sobald ich verheiratet bin, meinem Mann. Dieser Gedanke stimmt mich ein wenig traurig. So sehr ich mich auch bemühe, es will mir nicht gelingen, mein Los anzunehmen, und meine Sehnsüchte nach einem schwer fassbaren Mehr, das ich mir vom Leben erwarte, zu vergessen.
Obwohl Susannah gut zehn Jahre älter ist, als ich freunden wir uns an, was Constance ein wenig kränkt. Ich bemühe mich, sie einzubeziehen in die Freundschaft mit Susannah, aber obwohl sie sehr reif für ihr Alter ist, hat sie mit ihren 14 Jahren andere Interessen, als wir beide.
Sie wendet sich vermehrt Mary Chilton und Elizabeth Tilley zu, die in ihrem Alter sind und ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich sie vernachlässige.
Susannah scheint jedoch froh zu sein, sich mit mir alleine unterhalten zu können. Sie behandelt mich wie eine Gleichaltrige und ich genieße ihre Aufmerksamkeit. Unsere Gespräche bedeuten mir sehr viel und so verdränge ich die Schuldgefühle wegen Constance.
Susannah erzählt mir mehr von den Leuten aus Leiden und von ihrer Familie. »Ich habe hier all meine Angehörigen. Da ist natürlich mein Mann William und unser fünfjähriger Sohn, Resolved. William und ich kennen uns schon von Kindheit an und es war wenig überraschend für alle, als wir geheiratet haben. Ich bin eine geborene Fuller. Mein Bruder Edward ist mit seiner Frau Ann, seiner Tochter Alice und seinem Sohn Samuel an Bord. Mein anderer Bruder Samuel, hat seine Frau und seinen kleinen Sohn in Leiden zurückgelassen. Er will sie erst nachkommen lassen, wenn das Leben in der Kolonie gesichert ist. Du musst wissen, dass er schon zweimal verwitwet ist und keine dritte tote Ehefrau riskieren will. Samuel hat einen jungen Diener, William Butten, bei sich und mein Mann und ich haben zwei Lehrlinge, William Holbeck und Edward Thompson, die von meinem Mann das Gewerbe des Buchdruckers erlernen. Ann meine Schwägerin und ich teilen uns die Arbeit, so habe ich gelegentlich Zeit für ein kleines Schwätzchen mit dir.«
Sie stupst mir freundschaftlich mit dem Zeigefinger an die Nase.
»Dann kennst du also die Leute eurer Gemeinschaft gut?«, frage ich neugierig und hoffe, dabei etwas über Miles Standish zu erfahren.
»Ja natürlich. Wir alle gehören der Gemeinde von Pastor John Robinson an.«
»Ihr seid alle Separatisten?«
»Die meisten von uns. Reverend Carver ist dir ja schon bekannt. Die Schwester seiner Frau ist mit Pastor Robinson verheiratet und er kam durch seine Ehe zu unserer Gemeinde. Mein Mann William und Isaac Allerton sind führende Gemeindemitglieder, ebenso wie Edward Winslow. Mein Bruder Samuel ist Diakon und William Brewster ist der Kirchenälteste wie du weißt. Er hat als Professor in Leiden Englisch unterrichtet und ist ein sehr gebildeter Mann, der Griechisch und Latein spricht. In England stand er in diplomatischem Dienst, bis ihm sein Glaube in die Quere kam und seine Karriere beendete. Gemeinsam mit John Robinson hat er unsere Gemeinde gegründet und dafür gesorgt, dass unsere Leute in Leiden eine Zuflucht fanden, als die Verfolgungen durch die Krone in England unerträglich wurden.«
Ich nicke verständnisvoll. »Mein Vater wurde auch verhaftet, wegen seiner Überzeugungen. Ich weiß, dass es gefährlich ist, wenn man eine eigene Meinung hat«, sage ich und denke an die Pamphlete, von denen John Goodman erzählt hat.
Susannah sieht mich prüfend an. »Ja, das ist wahr«, fährt sie fort, »wir haben alle gefährliche Überzeugungen«.
Sie scheint darauf zu warten, dass ich etwas sage, aber ich will ihr nicht verraten, was uns John Goodman anvertraut hat. »Bist du auch mit den Bradfords bekannt?«, frage ich in der Hoffnung, dass ich so das Gespräch auf Miles Standish lenken kann.
»Die Bradfords kenne ich sehr gut. Dorothy Bradford ist die Nichte meines Mannes. Sie hat William Bradford schon mit 16 Jahren geheiratet und wir fanden alle, auch ihr Vater, der ein bedeutender Kirchenältester in Amsterdam ist, dass sie viel zu jung war, um eine Ehefrau zu werden. Aber William liebt sie aufrichtig und Dorothy ist ein zerbrechliches Geschöpf. Sie neigt zur Schwermut und braucht einen starken Beschützer, bei dem sie sich anlehnen kann. William behandelt sie oft wie ein Kind aber es tut ihr gut, dass er sie verhätschelt«.
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