Vom Back, an der spitzen Seite des Schiffes, wo sich der Abort der Mannschaft – ein Bretterverschlag mit einem Holzeimer darin- befindet, weht der beißende Gestank nach Exkrementen herüber. Ich suche dem Geruch zu entkommen und bewege mich auf die Mitte des Schiffes zu, wo die Luft besser ist. Es brennt nur eine Öllampe beim Hauptmast, die einen schwachen Lichtschein verströmt und mir den Weg weist. Ich drücke mich an der Reling entlang und sauge die frische Luft begierig ein.
»Es ist keine gute Idee so nah an der Reling zu stehen, Miss Mullins.« Ich fahre erschrocken herum, als ich die warme tiefe Stimme hinter mir höre. Vor mir steht Captain Standish und in seinen gewohnt interessierten Blick mischt sich Besorgnis. »Ich …, ich wollte nur ein wenig frische Luft«, stammle ich tonlos und senke den Blick, weil ich spüre, wie ich erröte.
»Dann werde ich euch Gesellschaft leisten und auf euch aufpassen.« Sein Ton ist befehlsgewohnt und duldet keinen Widerspruch.
Ich habe einen Kloß im Hals und mir fällt nichts ein, was ich sagen könnte. Ich fühle mich unbeholfen, wie ein ungebildetes Bauernmädchen und das macht mich ärgerlich. Entschlossen hebe ich meinen Blick und schaffe es, ihn anzusehen.
Er lächelt sein kleines überlegenes Lächeln, das mir mittlerweile schon vertraut ist. Diesmal störe ich mich an seiner Überlegenheit und antworte sarkastisch: »Nun dann wird Gott wohl weniger zu tun haben, wenn ja ihr auf mich achtgebt.«
Er lacht verdutzt auf. »Ihr überrascht mich Miss Mullins. Humor ist sonst nicht das erste Talent einer Frau.«
Ich lächle und freue mich über sein Kompliment. »Humor kostet nichts und erleichtert unser Leben«, gebe ich altklug zurück.
Er schmunzelt. »Ist euer Leben so schwer, dass ihr es erleichtern müsst?«
Seine Frage lässt mich nachdenklich werden. »Unser Schicksal ist durch Gott von jeher festgelegt, Mr. Standish. Es ist vermessen darüber zu klagen«.
Mein Vater wäre stolz auf meine Antwort.
Miles hat den bitteren Unterton in meiner Stimme jedoch gehört. Neugierig sieht er mich an. »Gut gesprochen Miss Mullins. Offenbar habt ihr John Knox Schriften studiert. Aber seid ihr auch damit einverstanden?«
Ich spüre, wie ich verlegen werde. Er kann anscheinend wirklich meine Gedanken lesen. Ich bin zudem überrascht, dass er Knox erwähnt hat. Bisher habe ich Miles Standish eher für einen forschen Soldaten gehalten, aber nun bin ich beeindruckt, weil er gebildet ist.
Einer der Offiziere kommt aus dem Poop House und enthebt mich der Notwendigkeit einer Antwort. Er runzelt verärgert die Stirn, als er mich da stehen sieht. »Passagiere haben hier nichts zu suchen. Geht wieder aufs Zwischendeck, Miss«, fordert er mich brüsk auf.
Miles hebt beschwichtigend die Hand. »Andrew, sie will nur ein wenig frische Luft schnappen, und ich passe schon auf sie auf.«
Andrew schüttelt unwillig den Kopf. »Kapitän Jones hat angeordnet, dass keiner der Passagiere im Dunkeln auf das Oberdeck darf«, beharrt er eigensinnig.
Mir ist die Situation unangenehm. »Schon gut. Ich gehe wieder nach unten«, flüstere ich eingeschüchtert.
»Ich werde euch begleiten Miss Mullins«. Miles Standish nimmt meinen Arm und führt mich behutsam zu der Luke, die ins Zwischendeck führt. Seine Hand ist angenehm warm auf meinem Arm und ich fühle ein Prickeln, das sich in meinem Körper ausbreitet.
Vor der Luke bleibt er stehen. Noch immer hält er mich fest und sein durchdringender Blick bohrt sich in meine Augen. Ich starre ihn wie hypnotisiert an. Einen Moment lang glaube ich, dass er mich küssen wird. Aber das ist absurd. Der Offizier steht noch immer an der Reling und beobachtet uns.
»Schlaft gut Miss Mullins.« Miles Stimme ist wie Samt und ich habe das Gefühl als würden seine Worte mich streicheln. Endlich lässt er meinen Arm los und ich verspüre einen Hauch von Bedauern. Ich finde keine Worte und nicke nur, dann wende ich mich schnell ab und steige die Strickleiter hinunter. Unten angekommen sehe ich, dass er mir nachsieht. Sein Blick ist unergründlich.
Ich schleiche behutsam zurück zu meinem Strohsack. Alle schlafen. Keiner hat bemerkt, dass ich weg war. Ich schließe die Augen und sehe Miles vor mir. Mit seinem Bild vor Augen falle ich in einen unruhigen Schlummer.
Ein paar Tage später stehe ich mit Susannah auf dem Oberdeck, an einem Zuber voller Meerwasser. Wir sind damit beschäftigt Wäsche zu waschen. Das Salzwasser lässt den Stoff der Kleider brüchig werden, aber es ist die einzige Möglichkeit unsere Sachen zu säubern.
Captain Standish geht an uns vorüber und nickt mir lächelnd zu. Mein Herz klopft mir bis zum Hals und ich erwidere sein Lächeln.
Es bleibt Susannah nicht verborgen, dass eine eigentümliche Spannung zwischen Miles Standish und mir ist, die mich verlegen werden lässt.
»Du weißt schon, dass er verheiratet ist?«, fragt mich Susannah in ihrer direkten Art.
»Ich weiß nicht, was du meinst«, protestiere ich in dem schwachen Versuch zu leugnen.
»Komm schon Priscilla, ich sehe doch, wie du ihn ansiehst«, bohrt sie weiter.
Ich wende meinen Blick ab und schrubbe energisch an der Wäsche.
Susannah seufzt. »Ich kann dich verstehen. Er ist ein umwerfender Mann. Stolz, mutig, entschlossen und sehr selbstbewusst. Er hat Persönlichkeit und ist zweifelsohne eine Führernatur. Wie könntest du nicht von ihm angetan sein, zumal er sich offensichtlich für dich interessiert?«
Ich werfe ihr einen scheuen Seitenblick zu und sie nickt aufmunternd.
»Aber er hat eine Frau«, wende ich zögernd ein.
Susannah gibt ein schnaubendes Geräusch der Entrüstung von sich. »Oh ja, die hat er. Obwohl er sie am liebsten vergessen würde. Er hat sie bei den Bradfords untergebracht, wie du weißt, und sieht so selten wie möglich nach ihr.«
In der engen Gemeinschaft in der wir leben, ist es mir nicht verborgen geblieben, dass die Begegnungen der Beiden wenig angenehm sind. Sobald Rose ihren Gatten zu Gesicht bekommt, macht sie ihrer Enttäuschung Luft und zetert anklagend, dass er sich so gut wie gar nicht um sie kümmert, was offensichtlich stimmt.
Ich fühle mich gedrängt ihn dennoch zu verteidigen. »Es verdrießt ihn, dass sie ständig jammert, und klagt.«
Susannah nickt zustimmend. »Ja, sie ist eine rechte Heulsuse, die sich nicht damit abfinden kann, dass ein Ehemann sich anders verhält als der zärtliche Liebhaber, der er, während der Brautwerbung war.«
Ich schaue Susannah überrascht an. Ich habe das noch nie bedacht, sondern hänge ebenfalls gerne romantischen Vorstellungen nach.
Susannah lacht, als sie mein verwundertes Gesicht sieht. »Priscilla, du bist unberührt, du kannst das nicht wissen. Sobald du einen Mann geheiratet hast, verwandelt er sich vom strahlenden Ritter in einen gewöhnlichen Menschen. Wenn du klug gewählt hast, so wirst du dennoch zufrieden sein in eurer Verbindung. Die einstige Romantik wird nun durch Kameradschaftlichkeit ersetzt und eure Liebe wird tiefer.«
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