Ich lausche gespannt ihren Worten. Sie hat eine Art, die Dinge zu erklären, sodass ich sie verstehen kann. Meine Mutter beschränkt sich stets darauf, mir bloß einzubläuen, was ich zu tun oder zu lassen habe.
»Miles Standish gehört zu jenen Männern, die der ewige Ritter sind. Aufregend und geheimnisvoll. Aber er taugt nicht für den Alltag, glaub mir. Seine Frau kann ein Lied davon singen«, fährt sie fort.
Ich finde ihr Urteil über ihn sehr hart.
»Ich kann nicht glauben, dass er so einen schlechten Charakter hat, wie du meinst«, erwidere ich abwehrend.
Susannah sieht mich verschmitzt an. »Natürlich nicht! Weil du in ihn verliebt bist!«
Ich protestiere, aber sie winkt lässig ab. »Schon gut, Priscilla. Spare dir die Worte. Ich habe nicht gesagt, dass er einen schlechten Charakter hat. Er taugt nur nicht zum Ehemann.«
Ich bin dieses Gespräch nun leid und versuche es zu beenden. »Es erübrigt sich, weiter darüber zu streiten, Susannah. Wie du bereits gesagt hast, ist er verheiratet und somit ist unser Gespräch Zeitverschwendung.«
Aber sie ist noch nicht fertig, mir ihre Sicht der Dinge zu offenbaren. »Genau. Eben darum solltest du bedenken, was es über einen Mann aussagt, der schon eine Frau hat und einer anderen nachstellt. Oder glaubst du, dass er dir die Treue halten würde, mit Leib und Geist?«
Ich schaue sie sprachlos an. Darauf fällt mir nichts mehr ein.
Sie nickt zufrieden. »Denk darüber nach Priscilla, bevor du dein Herz an den falschen Mann verlierst.«
»Weil ja die Richtigen Schlange stehen, nicht wahr«, erwidere ich sarkastisch.
Darüber muss Susannah lachen und ich stimme in ihr Gelächter mit ein.
Unser Gespräch veranlasst mich jedoch dazu, dass ich mich noch mehr bemühe, nicht zu viel über Miles Standish nachzudenken. Aber er sitzt hartnäckig wie eine Klette in den Haaren, in meinem Kopf fest und sobald ich ihn sehe, klopft mein Herz wie wild in meiner Brust. Mir wird bewusst, dass Können und Wollen nicht dasselbe sind und ich muss mir eingestehen, dass ich machtlos gegen die aufkeimenden Gefühle in meinem Herzen bin.
Wir befinden uns auf hoher See, als die Mayflower in die Winterstürme gerät. Das Schiff tanzt wild auf und ab in dem unruhigen Ozean und wir werden ordentlich durchgeschüttelt. Ich denke beunruhigt an Peters Worte, die nun wahr zu werden scheinen.
Durch das Schaukeln des Schiffes, wird das flaue Gefühl im Magen, zu anhaltender Übelkeit.
Unser Leben, das zuvor schon sehr unbequem war, wird nun zur Qual.
Der Sturm presst das Schiff in die Fluten und durch den Druck dringt Wasser durch die Ritzen des Schiffes, und durchnässt uns bis auf die Haut. Das stickige feuchte Zwischendeck, auf dem wir zusammengepfercht hausen, ist erfüllt von dem Würgen und Spucken, das uns der dauernde Brechreiz abverlangt. Das Geräusch der gequälten Menschen, die ihren Mageninhalt wieder nach oben befördern und der widerlich säuerliche Geruch von Erbrochenem wirken ansteckend und kaum einer von uns bleibt von der Seekrankheit verschont.
Die Seeleute machen sich über unser Elend lustig und beschimpfen uns als stinkende lächerliche Landratten, die es verdienen würden, dass die See sie verschlingt. Ein Matrose treibt es besonders wild mit seinen Verunglimpfungen. »Ich freue mich schon darauf, euch den Fischen zum Fraß vorzuwerfen. Hoffentlich krepiert ihr bald an euren Leiden! Dann werde ich mir all eure Sachen nehmen und mir ein gutes Leben damit machen«, ruft er uns gehässig zu. Mich erschreckt sein Hass auf uns und ich versuche, nicht hinzuhören und ihn so gut es geht zu meiden.
William Butten, der junge Mann, der mit Samuel Fuller, Susannahs Bruder, als Diener an Bord kam und der die ganze Zeit schon kränklich ist, geht es besonders schlecht. Er ist blass und dünn und hat mit einem hartnäckigen Husten zu kämpfen. Nun macht ihm die Seekrankheit noch mehr zu schaffen, sodass er apathisch auf seinem Strohsack liegt und sich kaum noch rührt.
Samuel Fuller, der in Leiden eine Ausbildung als Chirurg absolviert hat, kümmert sich um ihn. »Wir müssen ihn auf die Seite drehen, sonst erstickt er an seinem Erbrochenem«, bemerkt er und Susannah und ich helfen ihm dabei, den jungen Mann in die Seitenlage zu drehen.
»Ich bleibe bei ihm und achte darauf, dass er sich nicht wieder auf den Rücken rollt«, erklärt sich Susannah bereit. Ihr Bruder nickt ihr dankbar zu und geht zu seinem Strohsack, um ein wenig zu schlafen. Ich setze mich zu ihr und leiste ihr Gesellschaft.
Buttens Zustand verschlechtert sich im Laufe der Nacht. Er hat kaum noch Kraft, den zähen Schleim abzuhusten, der ihm abwechselnd mit der wässrigen Flüssigkeit hochkommt, die er erbricht. Susannah holt ihren Bruder Samuel und ich passe auf, dass Butten auf der Seite liegen bleibt. Dr. Fuller legt sein Ohr an den Brustkorb des Jungen und schüttelt bedauernd den Kopf. »Da ist ein Rasseln und Pfeifen zu hören, ich fürchte, er leidet an der Schwindsucht. Wir können nicht viel für ihn tun.« Samuel kehrt wieder zu seiner Koje zurück.
Meine Mutter, die nach Elizabeth gesehen hat, kommt zu uns herüber einen Lumpen an den Mund gepresst, um das gallebittere Zeug aufzufangen, das auch sie ständig hoch würgt. Sie wirft einen Blick auf das leichenblasse Gesicht von Butten und sieht, wie er zittert, obwohl wir ihn dick in Wolldecken gewickelt haben. »Geh und hol Dr. Heale, den Schiffsarzt, Priscilla. Er sieht nicht gut aus«, fordert sie mich mit ernstem Blick auf.
Ich raffe mich auf. Mir ist schwindlig und trotzdem ich mich sehr bemühe meinen Brechreiz zu unterdrücken, kommt mir beim Aufstehen ein Schwall hoch. Ich drehe mich schnell weg und erbreche mich auf die feuchten Planken und auf mein Kleid.
Susannah scheint es gar nicht zu bemerken, aber meine Mutter wirft mir einen strafenden Blick zu und ich schäme mich, wegen meiner mangelnden Selbstbeherrschung. Auf wackeligen Beinen dränge ich mich an meiner Mutter vorbei, durch die Masse der Leute, die stöhnend und würgend zusammengekauert daliegen. Endlich erreiche ich die Strickleiter, die auf das Oberdeck führt und klettere kraftlos daran hoch. Oben weht mir eine frische Brise um die Nase und Gischt spritzt mir ins Gesicht. Ich fühle mich schlagartig besser und sauge die feuchte Luft erleichtert ein.
Am Oberdeck wimmelt es vor Matrosen, die verzweifelt versuchen, die Segel einzuholen während der Wind das Schiff gnadenlos peitscht und die Wellen mit ohrenbetäubendem Getöse gegen die Planken krachen. Niemand achtet auf mich.
Ich gönne mir einen Moment und lehne mich mit geschlossenen Augen an die Wandvertäfelung neben der Luke. Als ich die Augen wieder öffne, steht plötzlich Miles Standish vor mir. Seine dunklen Locken sind feucht und wild zerzaust, sein Gesicht ist gerötet. Er sieht aus, wie der Zauberer Prospero aus meinen Jungmädchenträumen, die ich hatte, nachdem ich Shakespeares Stück, »Der Sturm«, gelesen habe.
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