3) Erwartungen machen uns die Welt einfacher
Die Welt ist kompliziert … Das Leben ist kompliziert … Und wir lieben die Dinge einfach. Wir wollen die Dinge verstehen. Und wenn wir komplexe Dinge nicht verstehen, dann bauen wir ein Modell davon. Modelle sind aber nicht die Realität. Modelle sind Ideale der Realität … sie sind Muster, die wir erwarten. Diese Methode hat uns weit gebracht. Denke an Newton und das Modell der Schwerkraft oder Einstein und das Modell der Raum-Zeit. Aber Modelle sind und bleiben Modelle, auch wenn sie mathematisch und hochkomplex sind. Die Realität ist komplexer. Und deshalb stoßen sogar Newtons und Einsteins Modelle mittlerweile an ihre Grenzen. Beispielsweise, wenn es darum geht, Vorgänge auf kleinstem Raum zu beschreiben (vgl. das Doppelspaltexperiment). Auf dieser Ebene der Quanten (Teilchen, kleiner als Atome oder deren Bestandteile) gelten wiederum ganz andere Gesetze, die mit Schwerkraft und der Relativitätstheorie rein gar nichts mehr am Hut haben. Aber auch dafür haben wir Modelle, zum Beispiel die Quantentheorie. Modelle helfen uns, die Welt zu verstehen. Aber sie können immer nur einen gewissen Teilbereich abdecken und es ist wichtig, dass wir unsere Modelle nicht mit der Realität verwechseln, denn irgendwann kommt immer der Punkt, an dem unsere Modelle und Erwartungen keinen Sinn mehr ergeben.
Unsere Erwartungen machen uns also das Leben einfach. Sie ermöglichen uns gesellschaftlichen Zusammenhalt, sagen uns „wo es lang geht“, stecken uns Grenzen innerhalb derer wir uns wohl und sicher fühlen und machen uns die Welt verständlicher. Leider hindern sie uns damit aber auch an unserer persönlichen Weiterentwicklung. Das ist alles nicht per se schlecht. Ich sagte ja, es gibt teilweise gute Gründe für unsere Erwartungen. Sie erfüllen einen gewissen und manchmal eben einen sehr guten Zweck. Aber unsere Erwartungen können uns auch das Leben sehr schwer machen, wenn sie unreflektiert und unbewusst übernommen werden:
Die Gefahr von Erwartungen
Passend zu den drei Gründen, warum wir Erwartungen haben, gibt es drei grundsätzliche Probleme, die sie mit sich bringen:
Das Problem mit Bequemlichkeit (1) und Sicherheit (2)
Dass Bequemlichkeit ein großes Problem für uns sein kann, müssen wir kaum weiter ausführen. Aber ich habe dennoch ein schönes Beispiel, dass dir zeigt, wie das Bedürfnis nach Bequemlichkeit und Sicherheit uns an unserer Entwicklung hindert: Stell dir einen jungen Vogel im Nest vor. Hätte dieser Vogel nun das Ideal, dass „im Nest zu sitzen und sich durchfüttern lassen“ super ist, käme er nie auf die Idee einen ersten Flugversuch zu wagen und damit seinem Leben eine neue Perspektive zu geben.
» So verlockend all diese Bequemlichkeiten und Sicherheiten sein mögen, so sehr fesseln sie uns aber an unser „Nest“ und hindern uns daran, Leichtigkeit zu erfahren, emporzusteigen und zu fliegen.
Im Gegenteil: Sicherheiten ziehen uns sogar runter. Teilweise sorgen sie dafür, dass uns selbst unser Nest zu hoch erscheint. Manche von uns wollen sogar hinabsteigen, um sich noch „sicherer“ zu fühlen und manche lassen sich suizidal aus dem Nest stürzen, damit diese „Unsicherheit“ des Lebens endlich aufhört. Wenigstens der Tod ist endgültig bequem und sicher, oder?
Das Problem mit Verständlichkeit (3)
» Wenn wir zu sehr an unseren Modellen verhaftet sind, verlieren wir die Möglichkeit, uns auf neue Situationen und Informationen einzustellen.
Einer der größten Irrtümer der Menschheit war die Annahme, dass die Erde flach sei. Mittlerweile ist es umstritten, ob unsere mittelalterlichen Vorfahren wirklich annahmen, die Erde sei eine Scheibe, weil gebildete Menschen schon seit der Antike Zugang zu Methoden und Lehren hatten, die ihre Kugelgestalt untermauerten (z. B. Eratosthenes). Dennoch hätte diese Vorstellung nicht unerhebliche Konsequenzen für die ganze Menschheit gehabt, sofern sie geglaubt worden wäre. Sie liefert uns ein gutes Beispiel dafür, wie unsere Gedanken und Erwartungen die ganze Welt beeinflussen können:
Die Erde wäre nicht mit Schiffen erkundet worden, wenn die Seefahrer Angst gehabt hätten, vom Rand der Erde hinunterzustürzen.
Es wäre kein florierender Handel und Austausch zwischen Kulturen entstanden.
Das hätte nicht zuletzt unseren technischen und gesellschaftlichen Fortschritt extrem gebremst.
Und alles nur aufgrund des Modells, dass die Erde eine Scheibe sei. Diese Annahme war einfach, bot Sicherheit in Form eines von der Kirche anerkannten Weltbildes und sie war jedem verständlich. Du siehst, wie gefährlich es sein kann, immer den einfachen, sicheren und verständlichen Weg zu wählen. Aber was bedeutet das nun für uns und unser Problem mit dem Festhalten?
Worauf läuft das alles hinaus?
Am Ende sind natürlich auch unsere Vorstellungen davon, dass die Welt möglichst bequem, sicher und verständlich sein sollte, nichts weiter als Erwartungen und Ideale in unserem Kopf.
» Je mehr wir diese Ideale festzuhalten und diese Erwartungen zu erfüllen versuchen, desto weiter entfernen wir uns von der Realität und desto härter trifft diese uns, wenn sie uns einholt.
Und nein, daran ist nicht die Realität schuld. Wir bewirken dieses harte Aufeinandertreffen selbst und häufig verschlimmern wir es sogar massiv! Warum? Weil unsere eigenen Annahmen und Vorstellungen als Brandbeschleuniger wirken und unser Tun und Denken sabotieren. Wir sorgen selbst dafür, dass sich unsere Erwartungen erfüllen und unsere Befürchtungen bewahrheiten. Ja, ganz richtig gelesen. Wir tun es selbst. Wie? Das schauen wir uns direkt im nächsten Kapitel an.
» Du kannst immer nur so glücklich sein, wie es deine Erwartungen zulassen.
Unsere Erwartungen formen sich aufgrund wiederholter Gedanken.
Anhand von Vorbildern und Beispielen aber auch durch eigene Vorgaben bilden sie sich wie Bachläufe, die fließendes Wasser formt, wenn es aus einer Quelle sprudelt.
Unsere Gedanken folgen immer wieder diesen einmal geschaffenen Bahnen, weil es einfach ist, Sicherheit vermittelt und für uns verständlich ist.
Im Laufe der Zeit werden diese Furchen und Gräben immer tiefer. Es bilden sich reißende Ströme, die nicht mehr so leicht zu verlassen sind.
Das Problem ist, dass wir nun auf diese Muster beschränkt sind. Wir sind wie ein junger Vogel im Nest, der nicht fliegen will, weil dies unsicher und unbequem erscheint.
Durch dieses Verhalten bewirken wir am Ende oft sogar selbst, dass sich unsere schlimmsten Befürchtungen bewahrheiten.
Wie ist die Erwartung hinter deinem aktuell größten Problem in dir entstanden? Welche Einflüsse haben dazu geführt, dass du diesem Muster unbedingt und immer wieder folgen willst? Wie macht diese Erwartung dein Leben bequemer, sicherer und verständlicher? Und wie hindert dich das daran, dich zu entwickeln?
Das Naturprinzip, das unsere Probleme formt
„Du kannst nicht negativ denken und Positives erwarten.“
(Sprichwort)
Die Negativität ist ein komplexes Thema. Auf der einen Seite treibt sie uns an, motiviert uns und hilft uns sogar, zu überleben. Auf der anderen Seite sorgt sie dafür, dass wir unser Leiden und unsere Probleme selbst schaffen und auch sie am Leben erhalten. Deshalb schauen wir uns im Folgenden genauer an:
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