Ein wütendes und keifendes Brüllen ging auf sie hernieder. Die Gräfin begann, ihnen übelste Beschimpfungen und Beleidigungen an den Kopf zu werfen, sie schrie und schrie ohne Unterlass, ohne eine Atempause und lief rot an. Ein wenig später stimmte die Köchin mit ein und dann konnte außer den beiden Frauen keiner auch nur ein Wort verstehen, weil sich die Schimpftiraden miteinander vermischten. Nur die höhere Stimme der Gräfin und die tiefere der Köchin waren noch voneinander zu unterscheiden. Und selbst wenn sie etwas verstünde, der Großteil der Beschimpfungen war Elaine ohnehin gänzlich unbekannt. Corry, Irony, Leo und Boo standen dennoch mehr oder weniger unbeeindruckt da, Elaine dagegen fühlte sich wirklich klein. Schließlich hatte die Gräfin ja recht und sie waren unberechtigt in ihr Haus eingedrungen. Dieses Gekreische schien eine halbe Ewigkeit zu dauern und sie ertrugen es mit mehr oder weniger starker Gleichgültigkeit. Dann schrie Corry laut auf und alles verstummte. Nur die Töpfe klapperten noch ein wenig auf dem Herd und das Ferkel quietschte leise hin und wieder auf. Corry grinste kurz und wurde dann wieder ernst.
„So, jetzt können wir reden, Gräfin. Wir sind nicht grundlos hier, wie Ihr Euch denken könnt“, sprach sie kühl.
Die Gräfin war völlig entsetzt ob dieser Frechheit, holte tief Luft und wollte erneut zu einem Schmähmarathon ansetzen, aber dann schlug es zehn Uhr und sie war plötzlich wie verwandelt. Sie sah gehetzt zur Tür, dann wieder auf die Uhr und wirkte überhaupt nicht mehr so herrisch wie vorher.
„Ich habe keine Zeit für Sie. Sollen Sie später wiederkommen, wenn ich wieder hier bin. Es ist eine dringende Angelegenheit. Ich habe keine Zeit mehr. Ich muss dringend abreisen“, begann sie mit einer auf einmal schwachen Stimme zu stammeln.
Corry hörte eine Zeitlang mit einem angewiderten Gesichtsausdruck hin, dann sah sie die Gräfin durchdringend an und stoppte deren Stammeln mit ihrer kratzigen, kalten Stimme: „Ihr sagt mir jetzt, was ich wissen will und dann könnt Ihr sofort abreisen. Ich habe nicht all das auf mich genommen, nur um jetzt klein beizugeben.“
Elaine musste zugeben, dass das, was Corry sagte, sehr bedrohlich und wichtig klang, aber sie verstand dennoch nicht, was sie damit sagen wollte. Gut, dieser Tag war wirklich anstrengend gewesen, aber es war nicht der Weltuntergang.
Die Gräfin schien anscheinend mehr davon zu verstehen und es gefiel ihr ganz und gar nicht. Sie begann um sich zu blicken wie ein gehetztes Tier, von einer Ecke zur anderen und immer wieder zur Tür und auf die Uhr, deren Zeiger sich unerbittlich weiterbewegten.
„Es liegt an Euch, wie lange wir hier noch alle warten müssen, Gräfin.“
Die Gräfin suchte immer noch nach einem Ausweg, aber die Tür war durch die Eindringlinge versperrt. Die Köchin sah Corry offen feindselig an und Elaine dachte sich, wenn Blicke töten könnten, dann wäre die Köchin wohl eine weltweit gesuchte Kriminelle.
Aber Corry ließ sich nicht davon abhalten, sie wurde nur etwas blasser als sonst, und starrte die Gräfin immer noch an. „Was sagen Euch die Worte „blaue Schleife“, Gräfin?“, stellte sie direkt ihre Frage.
Die Gräfin begann, von einem Fuß auf den anderen zu treten, ihr Gesicht wurde fahl und sie atmete flach: „Ich... ich weiß nicht, was Sie meint. Ich hatte nie mit so etwas zu tun. Ich weiß doch überhaupt nichts. Ich bin nur eine Gräfin. Nur eine alte Frau. Alle meiden mich und keiner lädt mich ein. Ich war schon seit Jahren nicht mehr am Hof“, dann bemerkte sie, dass sie schon zu viel gesagt hatte, ihre Augen weiteten sich, ihr Gesicht sah entsetzt aus und sie legte ihre beiden Hände auf ihren Mund, dass nicht noch mehr der verräterischen Worte daraus entschlüpfen würden. Die Köchin zischte wie eine Schlange, sagte aber kein Wort. Aber es genügte, um alle Eindringlinge bis auf Corry zu Eis erstarren zu lassen.
Sie ballte die Fäuste: „Der Hof, so ist das also. Und was haben die am Hof mit blauen Schleifen zu tun, Gräfin?“ Corrys Stimme wurde plötzlich schmeichelnd und sie lächelte und dieses Lächeln jagte Elaine plötzlich Angst ein.
Nicht anders erging es anscheinend auch der Gräfin. Zuerst schwieg sie, bis sie sich gesammelt hatte, dann antwortete sie leise, nach einem erneuten Blick auf die Uhr: „Ich weiß wirklich nicht viel. Ich war nicht dabei, als die Sache passiert ist, ich bin kein gern gesehener Gast und Sie weiß es“, die Gräfin blickte verstohlen zu ihrer Peinigerin und Elaine glaube verblüfft, dass sie im Blick der Gräfin so etwas wie Komplizenschaft mit Corry bemerkt hatte. Die Gräfin nahm einen Zipfel ihres Rocks in die Hände und begann darauf zu kneten: „Ich kann Ihr nur sagen, sie soll sich an Sir Kalderick wenden, er war dabei, wenn auch nur kurz und er weiß mehr als ich. Sein Exil vom Hofe kam erst danach, aber auch das muss Ihr bekannt sein, genauso wie die Gründe dafür. Mehr weiß ich nicht und jetzt sollen sie mich gehen lassen.“
Corry kniff ihre Lippen zusammen: „Ich glaube Euch nicht“, und sie setzte sich in Bewegung.
Die Gräfin sah die plötzlich schrecklich wirkende blasse Frau vor ihr mit Entsetzen an, aber Irony ging zwischen Corry und die Gräfin, bevor Corry etwas tun konnte.
Mit einem unwiderstehlichen Lächeln und einer samtigen Stimme, die Elaine fast ins Land der Träume entführte, meinte er nur: „Verzeiht uns, Gräfin, aber Corry ist so verzweifelt wegen ihrer armen Schwester. Sie schnappt nach jedem Strohhalm und kann nicht mehr klar denken. Dennoch würden wir Eure Hilfe wirklich brauchen, Edeldame, bitte, gewährt uns diesen Wunsch, auch wenn wir nur Gemeine sind.“
So sehr die Gräfin die Männer hasste, so wenig konnte sie dem unerwarteten Charme des Barden widerstehen. Sie lächelte höflich, wirkte auf einmal tatsächlich wie eine Edeldame und sprach hoch erhobenen Hauptes: „Nun, so sei es. Auch wenn ich nicht viel dazu zu sagen habe, so weiß ich noch, dass sie nicht vergebens suchen werden, da die Schleife nicht zerrissen wurde und auch nicht zerrissen werden wird, wenn sie sich damit abfinden, dass sie das Kleinod verloren haben. Und jetzt werden sie mich entschuldigen, ich muss abreisen.“
Ironys Gesicht spiegelte Hoffnung und Enttäuschung wieder, Corry versuchte erneut, zur Gräfin zu kommen. Die Köchin verschoss immer noch giftige Pfeile aus ihren Augen und tastete hinter ihrem Rücken nach irgend etwas und dann warf die Gräfin plötzlich das Bündel aus ihren Armen Elaine zu. Elaine fing das Ferkel, aber sie hatte nicht erwartet, dass die Gräfin so viel Kraft hatte. Sie taumelte einige Schritte rückwärts, aus der Tür hinaus. Die Gräfin nutzte den Moment der Überraschung und stürmte mit rauschenden Röcken hinaus, die Köchin direkt hinter ihr. Elaine fühlte sich an mehrere Sportarten zugleich erinnert, während sie versuchte, ihr Gleichgewicht wieder zu erlangen. Und schon waren die beiden Frauen am anderen Ende des Ganges verschwunden.
Leo reagierte als erster und hetzte hinterher, danach Corry und die anderen, alle an Elaine vorbei und als sie sich auch zusammengerissen hatte und ihnen nachkam, standen sie alle am Ausgang. Sie konnten nur noch zusehen, wie die Kutsche der Gräfin, mit einem Berg von Gepäck auf dem Dach und hinter der Kutsche befestigt, in irrsinnigem Tempo und an den Kurven fast umkippend, davon raste.
„Verflucht!“ Das war Corry, die mit einer Faust gegen die Wand schlug.
Dann quiekte das Ferkel auf, riss sich aus Elaines Armen los und verschwand in der Dunkelheit der Straße, der Kutsche hinterher. Ihr blieben nur die Laken und Windeln. Sie waren allein im verlassenen Haus der Gräfin und der Mond stand bereits hoch am Himmel.
„Es ist schon spät und wir kommen heute nicht mehr heim. Wir sollten hier übernachten“, schlug Corry vor.
„Aber das können wir doch nicht tun, es ist das Haus der Gräfin“, entgegnete Elaine leise.
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