Inga Kozuruba
Süße Träume, Elaine
Erster Teil der Elaine-Trilogie
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Inhaltsverzeichnis
Titel Inga Kozuruba Süße Träume, Elaine Erster Teil der Elaine-Trilogie Dieses ebook wurde erstellt bei
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Epilog
Impressum neobooks
Elaine war auf dem Weg nach Hause. Ihr Rucksack mit den Einkäufen wurde immer schwerer, die Füße taten ihr mittlerweile weh, sie hatte eine Laufmasche am rechten Fußknöchel und ihre Frisur löste sich langsam in einzelne Strähnen auf. Und zu allem Überfluss nieselte es. Zum Glück neigte sich der Tag genauso wie die Woche dem Ende zu und das Wochenende erwartete sie. Bei dem Gedanken war sie in ihrer Müdigkeit jedoch zu nichts mehr imstande, als zu einem schwachen Lächeln.
Ihre Füße trugen sie zur U-Bahnstation, während sie versuchte, sich auf Entspannung einzustimmen. Inzwischen kannte sie den Heimweg so gut, dass sie kaum noch darüber nachdachte, wohin sie zu gehen hatte. Und sie wäre auch weiterhin so gedankenverloren und fast schon schläfrig weitergegangen und hätte sich in ihren Zug gesetzt, wäre nicht ein seltsamer, älterer Kauz vor ihr aufgetaucht. Er drängelte sich in der Menge beharrlich nach vorne, als ob die Welt untergehen würde. Er murmelte stetig etwas vor sich hin, Elaine glaubte zu verstehen, dass er zu spät komme. Er sah recht merkwürdig aus, seine Nase und sein Mund lagen nahe beieinander und erweckten den Eindruck, sie habe einen Nager vor sich, welcher durch die etwas größeren Schneidezähne des Kauzes verstärkt wurde. Sein Anzug war stellenweise abgewetzt und auf den Ellenbogen prangten Flicken. Der Kauz trug einen Zwicker auf der Nase, was Elaine am meisten verwirrte. Wieso um alles in der Welt würde heute noch jemand einen Zwicker tragen? Und aus seiner dunkelbraunen, ihres Alters wegen fleckigen und an den Kanten aufgerauten Lederaktentasche sah sie Fellstücke heraushängen, anscheinend von einem Hasen. Auffällig war aber vor allem die Verzierung am Messingverschluss der Tasche. Es waren kunstvoll miteinander verschlungene Buchstaben A und K, so schien es. Vielleicht waren das seine Initialen.
Der Kauz holte eine antik anmutende, goldene Taschenuhr aus seiner Westentasche, klappte sie auf und sein Unterkiefer klappte runter. Er schrie laut auf: „Meine Herren, ich verpasse meinen Zug!“, legte noch einen Zahn zu – das tat er auch noch mit einer ungeahnten Energie –, hastete nach vorne und bemerkte dabei nicht, dass ihm seine Handschuhe aus den Händen fielen.
Elaine wusste nicht, wieso sie dem Mann plötzlich helfen wollte, wo sie doch schon fast zu Hause war, aber leider passierten ihr solche Ereignisse immer wieder. Manchmal war sie schon fast zu hilfsbereit für diese Großstadtwelt. Also hob sie die Handschuhe im Gedränge auf und hastete dem Kauz hinterher.
Auf dem Bahnsteig stand bereits der Zug. Ganz egal, was die Stadtverwaltung und die Polizei unternahmen, Graffiti war von den Wänden der U-Bahn nicht mehr wegzudenken. Elaine hatte nichts gegen Graffiti, erst recht nicht gegen Bilder, die so schön waren wie auf diesem Wagen. In einem farbenfrohen Schriftzug in Farbe und Gestalt eines Regenbogens stand das Wort Tornado darauf geschrieben und es war auch ein Tornado daneben gesprüht worden. Der Kauz sprang durch eine offene Tür, Elaine durch eine andere und schon fuhr der Zug los.
Dann begann die wildeste Fahrt mit der U-Bahn, die Elaine je erlebt hatte. Der Zug war mindestens dreimal so schnell als gewöhnlich, sie sah mit Unbehagen Schwalle von Funken fliegen und hörte kreischendes und krächzendes Metall. Die Passagiere wurden heftig durchgerüttelt, aber bis auf Elaine schien das seltsame Fahrverhalten der Bahn keinen von ihnen zu kümmern. Sie lasen Zeitung, unterhielten sich, der Kauz putzte seinen Zwicker, eine Frau schminkte sich die Lippen – und das sogar mit Erfolg, obwohl auch sie kräftig durchgerüttelt wurde. Elaine versuchte, zum Kauz zu gelangen, um ihm sein Eigentum zurück zu geben, aber nach einigen scharfen Kurven und dem Unmut der Passagiere, die sie angerempelt hatte, beschloss Elaine, dass es gesünder wäre, sich an einem Ort festzuhalten und den Stillstand des Zuges abzuwarten. War die Fahrt deshalb so wild, weil der Zug Tornado hieß, oder wurde der Zug nach seiner Schnelligkeit benannt?
Plötzlich ging das Licht aus. Elaine stieß einen leisen Schrei der Überraschung aus, als einzige. Sie sah immer noch die Funken in den Fenstern aber jetzt sah sie auch leuchtende Punkte innerhalb des Waggons. Die Frage war nur noch, waren das Leuchtdioden, Glühwürmchen oder Augen? Elaine entschied sich für Leuchtdioden, weil das die am wenigsten beunruhigende Variante war. Und der Zug raste weiter in das tiefe Loch hinein. Es schien eine halbe Ewigkeit zu dauern. Elaine spukten merkwürdige Gedanken im Kopf herum, wie die bange Frage, ob sie jemals wieder das Tageslicht erblicken würde. Etwas flatterte mit einem halb glucksenden, halb klatschenden Geräusch an ihrem Kopf vorbei. Sie duckte sich erschrocken und hielt den Atem an. Und dann hörte sie das schneidende Schreien der Bremsen und fiel unkontrolliert nach vorne.
Das Licht ging wieder an, die Passagiere verließen geschäftig den Wagen und als Elaine sich endlich aufrappelte – mit etlichen Laufmaschen und blauen Flecken bereichert, mit komplett zerzausten Haaren und vor Aufregung immer noch erweiterten Pupillen – war der Kauz schon weg. Als sie ausstieg fand sie nur noch einen leeren Bahnsteig vor sich, mit der Überschrift „Endstation“. Und kaum stand sie auf dem Beton, schon brauste der Zug davon, wirbelte noch einmal ihre lose hängenden Haarsträhnen und ihren Rock auf und ließ sie völlig alleine mit ihrem Rucksack auf den Schultern und mit den Handschuhen des Kauzes in ihren Händen. Auch auf den Handschuhen waren die Initialen AK zu finden, aber diesmal mit einem goldgelben Seidenfaden gestickt. Elaine seufzte und steckte die Handschuhe in ihren Rucksack. Sie würde sie später einfach ins Fundbüro bringen. Warum sie nicht schon früher daran gedacht hatte?
Sie wusste nicht, wo sie war. Das machte ihr aber keine allzu großen Sorgen. Sie hatte sich schon oft genug mit der U-Bahn verfahren, als sie noch neu in die Stadt gezogen war. Sie musste nur eine Informationsstelle finden, einen Fahrplan der Linie oder den Stadtplan. Sie lief den Bahnsteig drei Mal auf und ab, fand aber nur eine Tafel mit der Überschrift „Suche/Biete“ und eine Unmenge von Graffitibotschaften. Da waren Sätze wie „Alice liebt ihre Vogelscheuche“ und „Lasst uns die Hexe töten!“, die absolut keinen Sinn ergaben. Elaine blieb nur eines: Nach oben zu gehen und sich die Gegend selbst anzuschauen.
Der Ausgang war mit einer Vielzahl verschiedener Pfeile gekennzeichnet, Elaine fühlte sich an einen Cartoon erinnert. Sie zuckte mit den Schultern und begann, die Treppe hinauf zu steigen. Es war ein mühsames Unterfangen. Die Rolltreppe schien außer Betrieb zu sein, weil sie sich nicht in Bewegung setzen wollte, ganz gleich, wie oft Elaine auf die Druckplatte trat. Andere Treppen gab es nicht. Also musste sie es mit der gegebenen versuchen. Schritt für Schritt kam sie nach oben, aber irgendwie langsamer, als sie es hätte tun müssen. Ungläubig blieb sie stehen und sah, dass sich die Treppe langsam nach unten bewegte, anstatt sie nach oben zu fahren, wie es hätte sein sollen. Elaine seufzte und legte einen Zahn zu. Die Treppe ebenfalls, so dass Elaine erneut nicht schneller vorwärts kam, aber dafür schneller außer Atem geriet. Sie gab auf und ging wieder langsamer.
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