„Aber was du da machst, ist kein Spiel. Das kann schnell ins Auge gehen. Und mit Erbsenpistolen oder solchen Softair Waffen Menschen zu bedrohen, kann gefährlich werden. Besonders, wenn diese Menschen mit scharfen Waffen zurückschießen. Glaube mir, ich weiß wovon ich rede!“
Irgendwie kam ich mir klein und zusammengesunken vor. Meine Kopfschmerzen hämmerten mich noch zusätzlich in den Boden. Kleinlaut nickte ich: „Du kennst dich aber aus ...“
Bernd sah mich Häuflein Elend an. „Ich arbeite ja auch als Bodyguard. Zurzeit habe ich einen Auftrag in Köln. Personenschutz, ab morgen. Du kennst doch Rihanna, oder?“
Ich staunte. Plötzlich sah ich Bernd in einem ganz anderen Licht. Deswegen die Muskelberge, die sicheren Bewegungen. Und den wollte ich mit meiner Softairpistole beeindrucken? Gut, dass er so ein ruhiger und ausgeglichener Typ war.
„Ich gebe dir einen Tipp, Jonathan: Gehe in einen Kursus für Selbstverteidigung. So ein Training stärkt dein Selbstbewusstsein und deinen Körper.“ Er legte eine kleine Visitenkarte auf meinen Nachttisch.
„Geh’ da mal hin. Und mach dir wegen gestern keine Gedanken. Ich habe kapiert. Du bist nicht homosexuell, warst nur besoffen und willst mich jetzt einfach nur schnell loswerden. Und dann das Ganze vergessen. Gut. Keine Angst, ich werde niemandem von deinem kleinen Fehltritt erzählen. Du kannst dich auf mich verlassen. Lege dich einfach noch etwas hin, ich dusche schnell und bevor ich gehe, bringe ich dir noch ein Glas Wasser und eine Kopfschmerztablette.“
„Zwei bitte.“ Mir war so elend.
Als ich erwachte, sah ich als erstes das Glas Wasser und zwei Kopfschmerztabletten. Ich musste wohl eingeschlafen sein, als Bernd zum Duschen ging.
Mein Kopf fühlte sich seltsam leer an - aber die Schmerzen waren fort. Ein Blick auf die Uhr belehrte mich, dass es keinen Sinn mehr machen würde, heute noch ins Büro zu gehen. Siebzehn Uhr. Scheiße. Da konnte ich mich schon einmal auf eine satte Auseinandersetzung mit Christine freuen.
Umso mehr freudig überrascht war ich dann, als ich in der Küche den reichlich gedeckten Frühstückstisch sah. Bernd würde bestimmt eine gute Ehefrau abgeben ... Sofort schalt ich mich wegen dieses Gedankens. Aber sogar der Kaffee in der Warmhaltekanne ließ sich noch genießen.
Mir gingen die Worte Bernds nicht aus dem Kopf. Ja, er hatte Recht. Nachdenklich schaute ich auf die kleine Karte in meiner Hand. Vielleicht würde ich die noch brauchen. Sorgfältig steckte ich die Visitenkarte ein. Ich musste es zwangsläufig zugeben: die Idee mit der Detektei und die Gewerbeanmeldung war übereilt gewesen. Mir fehlte jegliche Ahnung und Erfahrung. Und von Erfolg konnte schon gar keine Rede sein. Hätten meine Eltern nicht ordentlich etwas dazu gezahlt und würde Christine nicht für kaum mehr als einen warmen Händedruck und ein - zugegebenermaßen - herzliches Dankeschön arbeiten, dann wäre mein Laden schon lange wieder dicht. Inzwischen häufte sich ein ordentlicher Berg Schulden an.
Dabei fing doch zunächst alles mit so viel Enthusiasmus an ...
Die Übernahme der Wohnung ging reibungslos über die Bühne. Der Vermieter schaute mich zwar zweifelnd an, sagte aber nichts.
Dann stand ich in dem leeren Raum.
Neben der Luftmatratze nötigten mir meine Eltern auch noch ein paar Decken auf und letztendlich drückte mir meine Mutter noch fünfzig Euro in die Hand. Mein Vater hatte nur jede Menge guter Ratschläge für mich.
Seufzend machte ich mich daran, mein Lager für die Nacht vorzubereiten. Wie sich allerdings nach langem Pusten herausstellte, war die Luftmatratze kaputt und ich musste meine erste Nacht in der Wohnung quasi auf dem harten Boden verbringen. Mir taten alle Knochen weh.
Dafür hatte ich das Glück, dass es unten an der Straßenecke ein Café gab. Ein reichhaltiges Frühstück entschädigte mich dort für die letzte Nacht.
Beim Arbeitsamt winkte man wie gewohnt ab. Ob ich nicht daran interessiert wäre, zunächst für vierhundert Euro bei einer Waschstraße anzufangen? Nein? Aha, faul ist er auch noch.
Kaum wieder zu Hause angekommen, klingelte es auch schon an meiner Wohnungstür. Wer könnte das jetzt sein? Niemand, außer meinem Vermieter und meinen Eltern, wusste doch, dass ich hier wohnte. Und richtig, da standen sie: meine Eltern.
„Junge, wo warst du denn so lange? Deine Mutter und ich versuchen nun schon seit Stunden dich zu erreichen. Wo treibst du dich denn wieder herum?“ - „Beim Arbeitsamt.“ - „Und das dauert so lange? Na ja. Und hast du jetzt Arbeit?“ - „Nein ...“
Ich schaute meinen Vater provozierend an: „Ich dachte, ihr wolltet in Urlaub fahren. Was macht ihr dann hier?“ Jetzt hatte ich ihn. Ich war gespannt, wie mein alter Herr sich jetzt aus der Affäre ziehen wollte. Meine Mutter sah sich derweil in meiner Wohnung um und ob der Leere oder des Dreckes hörte ich im Hintergrund hin und wieder ein ‚Ach, wie das hier aussieht. Oh, Junge ...’
Hallo, ihr wisst doch wohl noch, dass ich erst gestern hier eingezogen bin?
„Wir mussten unsere Pläne ändern. Für dich! Erst sollst du in Lohn und Brot kommen, dann finden deine Mutter und ich wieder ein wenig Ruhe.“ Und im Hintergrund Mutter wieder: „Nein, was für ein Dreck. Nicht einmal die Fenster sind geputzt.“
Aber mein Vater ließ sich nicht beirren: „Also, ich habe da schon etwas angeleiert. Komm’ Samstag zum Abendessen zu uns.“ - „Worum dreht es sich denn?“ Wenn mein Vater etwas ‚anleierte’, galt es auf der Hut zu sein. „Nun, lieber Sohn, das soll eine Überraschung werden. Nur so viel: es geht um deine Arbeit.“ Dann wandte er sich meiner Mutter zu, die in der kleinen Küche stand und vor sich hinmurmelte: ‚der Junge muss hier unbedingt putzen’.
„Frieda, komm wir gehen. Jonathan wird bestimmt noch genug zu tun haben.“ Meine Mutter sah mich an: „Jonathan, du musst hier unbedingt putzen. Wie kannst du nur in diesem Schmutz leben? Und warum hast du deine Luftmatratze nicht aufgepumpt? Bist du dazu auch schon zu bequem?“
Bevor ich noch etwas erwidern konnte, rauschten die beiden die Treppe herab. Na, das fing ja gut an. Ich sollte mir einen Plan zurechtlegen, was ich alles noch erledigen musste. Zunächst brauchte ich ein Bett, Putzsachen und mein Handy.
Mir graute schon vor Samstag.
Der Samstagabend kam schneller, als erwartet. Mittlerweile hatte ich meine Wohnung ein wenig eingerichtet; einige gebrauchte Möbel mussten für den Anfang genügen. Meine Bank räumte mir schweren Herzens einen Kleinkredit ein. Allerdings war der sehr klein.
Lustlos putzte ich die Wohnung. Besonders die Fenster waren stark verschmutzt. Jetzt konnte man wenigstens wieder hindurchblicken.
Mein Handy fand ich zwischen einigen alten Socken. Endlich konnte ich auch telefonisch wieder erreicht werden. Das Leben normalisierte sich!
Bis meine Eltern mich am Samstag in das nächste Chaos stürzten.
Diesmal bekam ich keine Chance, die Mauer an unserer Einfahrt zu tranchieren: die Einfahrt stand mit einem dieser übergroßen Geländewagen voll. ‚Protzkarre’ dachte ich verächtlich. Da kompensierte wieder jemand die fehlende Größe seines Geschlechtsteiles mit gekauftem Blech. Na, oder vielleicht war der Wagen ja auch geleast. Da es sich eindeutig nicht um das Fahrzeug meiner Eltern handeln konnte - die parkten ja sowieso immer in der Garage und fuhren aus Sparsamkeitsgründen eher einen Kleinwagen - fragte ich mich, wer heute Abend bei dem Essen dabei sein würde. Was planten meine Eltern jetzt schon wieder zur angeblichen Rettung ihres einzigen Sohnes?
Während ich also noch in der Einfahrt stand, mit meinem Fahrzeugschlüssel so in der Hand herumspielte und ernsthaft überlegte, dieser Protzkarre einen feinen Seitenstreifen zu verpassen, öffnete sich auch schon die Haustür und mein Vater winkte mir. „Jonathan, willst du den ganzen Abend da stehen und diesen schicken Wagen bewundern? Ja, Junge, da musst du ein wenig sparen und dann kannst du dir auch so ein schönes Teil leisten. Und jetzt komm’ endlich herein, wir wollen gleich essen.“
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