Plötzlich ruckte der Kopf der Beamtin hoch und mit einem zornigen Blick sah sie den Polizisten an. „Daumann, Mensch, legen sie endlich den Knüppel weg. Sie machen mich verrückt!“ Der mit ‚Daumann’ Angesprochene verstaute die Prügelwaffe mit einer Langsamkeit, die mich direkt an den ‚Bullet Mode’ in Spielfilmen denken ließ.
‚Line lost - You have lost - Game over’ klang es da plötzlich aus dem Computer. Die Kriminalbeamtin wandte sich hektisch wieder dem Bildschirm zu. „Scheiße. Das ist ihre Schuld, Daumann!“ Dann sah sie mich an. „Was wollen sie hier?“ Ich merkte, dass diese Frau jetzt schlechte Laune hatte. Na das konnte ja lustig werden. Also versuchte ich es auf die freundlich - heitere Art: „Gefangener Lärpers meldet sich zum Verhör!“ Dabei grüßte ich zackig nach Militärart.
Die Mundwinkel der Beamtin sanken noch weiter herab. „Wohl ein Spaßvogel, was? Na die Scherze werden ihnen noch vergehen! Daumann, verdammt, wo ist denn die Scheiß - Akte von diesem Witzbold?“ Daumann warf nur einen kurzen Blick auf den Schreibtisch: „Liegt direkt vor ihnen, Frau Kriminalkommissarin.“
In meinem Eifer schob ich nach: „Da vorne!“ Das brachte mir einen bösen Blick und ‚sie reden nur, wenn sie gefragt werden’ ein.
„Mensch, Daumann, warum sagen sie das denn nicht gleich?“ - „Sie haben mich nicht gefragt.“ - „Ich kann nicht immer nur Fragen stellen, ich muss auch Antworten bekommen.“ - „Ja.“ - „Was ‚Ja’, Daumann? Sie wollen mich wohl auf den Arm nehmen?“ - „Nein, Frau Kriminalkommissarin.“ Die Beamtin blätterte nun in der Akte. „Daumann, geh’n se mal Kaffee holen. Schwarz und mit viel Zucker. Und schlafen se nicht dabei ein!“
Daumann sah sich ungemütlich um. „Sie wissen doch, Frau Kriminalkommissarin, dass ich sie mit dem Gefangenen nicht allein lassen darf.“ - „Daumann, Mensch, meinen Sie denn, ich kann mich nicht verteidigen?“ Die Dame langte in ihre Schreibtischschublade und förderte einen großkalibrigen Revolver zutage. Mir wurde langsam mulmig. Was stand mir nun noch alles bevor? Gab es hier vielleicht auch einen Folterkeller? Ich nahm mir vor, alles zu sagen. Zumindest alles, was ich wusste. ‚Und’, sagte ich zu mir ‚keine Scherze mehr, sonst wirst du am Ende doch noch erschossen.’
Daumann dackelte ab. Nun, ein Kaffee würde mir gut tun. Dachte ich.
„Setzen!“ Der Befehl wurde an mich gerichtet und die Frau zeigte auf einen Stuhl, der vor ihrem Schreibtisch stand. Rasch folgte ich der Anweisung.
„Mein Name ist Elisabeth Unruh, ich werde sie jetzt verhören und den Fall hier aufklären. Sie dürfen mich Frau Kriminalkommissarin nennen.“ - „Ja.“ - „Ja?“ Es erschien mir, als wenn diese Unruh gleich mächtig an zu brüllen fangen würde. Schielte sie nicht auch zu ihrem Revolver? „Das heißt ‚Ja, Frau Kriminalkommissarin’. Kapiert?“ Oh, oh. Jetzt nur keinen Fehler machen. Wie ich es aus alten Filmen kannte, sprang ich von meinem Stuhl hoch, legte die Arme steif links und rechts an meinen Körper und brüllte aus Leibeskräften „Jawoll, Frau Kriminalkommissarin!“ Dann ließ ich mich wieder auf den Stuhl fallen. Doch die gute Frau musste meine Aktivität missverstanden haben, denn plötzlich hielt die den Revolver in der Hand.
Die würde mich doch jetzt nicht erschießen? Ich ging auf Tauchstation. Flach lag ich vor dem Schreibtisch, als Daumann mit einer Tasse dampfenden Kaffees wieder den Raum betrat. Eigentlich sah ich ihn ja nicht, da ich meinen Kopf fest auf den Boden gedrückt hielt und beide Arme schützend darüber lagen. Nein, ich roch den würzigen Duft des Kaffees und mein Magen drehte sich um vor Hunger. Dann hörte ich, wie eine Porzellantasse am Boden zerschellte und ein vorsichtiger Blick ließ mich eine braune Brühe erkennen, die langsam auf mich zufloss. Ich schaute an Daumanns Beinen hoch und erkannte, dass er mit gezückter Waffe in der Türe stand.
„Daumann, Mensch Daumann. Mein Kaffee! Stecken sie die Waffe weg.“ - „Wollte der Gefangene fliehen - Frau Kriminalkommissarin?“ - „Wer weiß Daumann. Das ist aber kein Grund, meinen Kaffee hinzuwerfen. Los, Abmarsch und holen sie mir einen neuen.“ Dann wandte Frau Kriminalkommissarin sich an mich, wobei sie über den Rand ihres Schreibtisches auf mich herunter lugte. „Und wir setzen uns nun wieder fein auf den Stuhl, ja? Aber dalli!“, brüllte sie noch hinterher.
Kleinlaut setzte ich mich wieder. „So, wo waren wir stehengeblieben? Ah ja. Sie haben versucht in ein Haus einzubrechen, sind trunken Auto gefahren und ihr Fluchtversuch ist gescheitert. Mal sehen, was noch alles dazu kommt ...“
Aber zunächst erschien Daumann wieder. Schwungvoll setzte er einen Becher mit der Aufschrift ‚Polizists Liebling - Die Polizei dein Freund und Helfer’ auf den Schreibtisch. Ein wenig der Flüssigkeit schwappte dabei auf meine Akte, was die Beamtin mit einem tadelnden ‚Daumann, Daumann’ kommentierte. Dann versuchte sie den Kaffee mit der bloßen Hand wegzuwischen, wobei sie alles ordentlich verschmierte. Daumann, Daumann!
„Was haben Sie dazu zu sagen?“ Jetzt endlich kam die Zeit der Erklärung. Jetzt konnte ich etwas zu meiner Entlastung sagen. Mich rechtfertigen. Man würde sich bei mir entschuldigen, vielleicht bekäme ich ja auch einen Kaffee - aber vorsichtig Daumann nichts verschütten! - und bald wäre ich bei meinen Eltern.
„Ich komme aus Frankfurt.“ - „Ich habe sie nicht gefragt, woher sie kommen, sondern was sie zu der Sache zu sagen haben. Herrgott!“ Sollte ich jetzt darauf hinweisen, dass ich nicht ‚Herrgott’, sondern Jonathan Lärpers hieß? Lieber nicht. Der Revolver lag noch zu bedrohlich auf dem Tisch. Vorsichtig setzte ich erneut an, die Lage zu klären: „Ich heiße Jonathan Lärpers un...“ - „Ich weiß, wie sie heißen - oder vorgeben zu heißen. Das war auch nicht meine Frage. Also, ich halte jetzt einmal fest: Der Festgenommene weigert sich der Sache dienliche Aussagen zu machen.“ Schon tippte sie etwas in ihren Computer. Diesmal ließ sich allerdings kein ‚Game over’ hören.
Erneut sah mich die Frau an. Bedauernd stellte ich fest, wie abgehärmt und verbittert der Gesichtsausdruck dieser deutschen Beamtin war. Sah die gute Frau denn nur Schlechtigkeit? Nur schlechte und böse Menschen? Ich vermutete, dass ich an ihrer Stelle auch den Glauben an das Gute verlieren könnte.
Aber sie startete freundlicherweise noch einen Versuch, gab mir noch eine letzte Chance: „Also, wir zwei fangen jetzt noch einmal ganz von vorne an. Ich gebe ihnen jetzt eine letzte Chance. Tun wir einmal so, als wenn wir uns gerade getroffen hätten. Also: Mein Name ist Elisabeth Unruh.“
Schweigen. Wurde von mir erwartet, dass ich auch etwas sagte? Sollte ich denn nicht nur reden, wenn ich gefragt wurde? Schweigen. Wäre eine Stecknadel gefallen, so hätte man das hören können.
Dann erklang das Donnern der kriminalkommissarischen Faust auf den Schreibtisch. Deutlich konnte ich erkennen, wie es die schwere Waffe ein paar Zentimeter in die Luft hob. „Verdammt!“, brüllte die Beamtin, „sind sie verstockt. Ihren Namen, das ist jetzt aber ihre allerletzte Chance!“
Bei dem Ton konnte ich nicht anders. Stracks sprang ich auf, Hände an die Hosennaht. „Jonathan Lärpers, Euer Gnaden!“ Ups, das war sicherlich falsch gewesen. „Euer Kriminalkommissarin.“ Besser? War das die erwartete Reaktion? Der hochrote Kopf der guten Frau belehrte mich eines Besseren. Schielte sie nicht schon wieder nach ihrem Revolver?
Zum Glück ging in diesem Moment das Telefon. Aber Frau Kriminalkommissarin ignorierte das nervtötende Klingeln und sah mich aus blutunterlaufenen Augen nur böse an. ‚Die erschießt dich jetzt. Ade schöne Welt’ dachte ich noch. Doch da rettete mich Daumann. Daumann der Gute. Daumann, dem ich vermutlich mein Leben zu verdanken habe.
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