„Und Jan? Hast du alles wieder gerade gezogen. Schien mir wohl ´ne kleine Aussprache gewesen zu sein“, fragt Alex, der neben ihm Platz genommen hat.
„Alle Klarheiten beseitigt. Nein, ich habe ihr nur eine Frage gestellt, auf die sie ein wenig ruppig reagierte. Hätte allerdings an ihrer Stelle genauso reagiert, denke ich.“
„Was hast du sie denn gefragt?“
„Ob sie dunkelorange ist.“
„He?“
„Ist schon gut“, erwidert Jan.
Sechs Uhr. Die Lehrer pfeifen zum Angriff. Frau Müller fordert ihre Meute auf:
„Die Gepäcke können, wenn das noch nicht geschehen ist, im Gepäckraum verstaut werden. Wenn ihr damit fertig seid, fahren wir los.“
Nachdem dann alles im Bus verpackt und gesichert wurde, inklusive der Schüler, setzt der Fahrer sein Gefährt in Bewegung. Es wird eine lange Fahrt bis Detmold. Musik in die Ohren und erst mal eine Runde schlafen ist angesagt. Jan und Alex haben ihren Sitzplatz in der Mitte des Busses eingenommen. Jan schaut noch einmal kurz auf die Plätze drei Reihen vor ihnen, wo Simones rötliche Mähne zu sehen ist. Dann schläft er ein.
„Alex!“, ruft es von hinten. Dieser schaut sich um. Miriam wedelt mit einem Zettel, den sie über die hinteren Plätze nach vorne durchreichen lässt.
„Was ist das?“, ruft er zurück.
„Schau hinein und lese“, fordert sie ihn auf.
„Ein Liebesbrief!“, ergänzt Melanie. Übrigens auch eine Mitschülerin. Alex faltet den Zettel auseinander und verzieht die Miene.
„Tina hat heute Nacht von dir geträumt“, liest er leise vor sich hin.
„Sehr lustig“, ruft er nach hinten.
„Ausgerechnet diese Zicke“, denkt er. Dann legt auch er sich auf die Seite und döst mit einem leisen Murmeln ein.
Jan wacht zwischenzeitlich immer mal wieder aus seinem zu leichten Schlaf auf und schaut aus dem Fenster nach draußen, wo alles in einem gemäßigten Tempo an ihm vorbei rauscht. Die Pappelreihen des Niederrheins, die Industriekultur des Ruhrpotts, die weiten Felder des Münsterlandes. Dennoch, nach gefühlten dreißig Minuten Schlaf, biegt der Bus auf das Gelände der Jugendherberge in Detmold ein. Der Busfahrer stoppt sein Vehikel und öffnet die Türen. Die ganze Meute drängt daraufhin ins Freie. Frau Müller betritt die Herberge und kommt nach kurzer Zeit mit der Zimmerbelegung wieder heraus. Wie in jeder Herberge sind Einzelzimmer rah gesät. Sie verliest die Liste. Frank ist mit der Einteilung jedoch sichtlich unzufrieden.
„Sechsmannzimmer, wie toll!“, winselt er genervt, „Immer diese Sechsmannzimmer, ich möchte ein Einzelzimmer! Frau Müller, ich habe Enochlophobie. Ich brauche ein Einzelzimmer!“, grölt er fordernd über das Gelände.
„Brüll nicht so, Frank. Du brauchst kein Einzelzimmer, du hast keine Platzangst! Ich fall da nicht nochmal drauf rein.“
Frank hatte bei der letzten Klassenfahrt zumindest für eine Nacht ein Einzelzimmer. Es war ein Ruheraum für besondere Delinquenten. Denn bereits vor zwei Jahren fiel er als unangenehmer Querulant auf, der nur auf Konfrontation aus ist. Als Ergebnis hagelte es Zusatzdienste für ihn. Wenn er das braucht?
„Ich liege oben!“, ruft Jan in die Runde, als er den Raum betritt, den er nun für die nächsten Nächte mit seinen Stubenkollegen teilen muss.
„Lass bloß nachts nichts fallen, du Ferkel!“, erwidert Alex.
„Ich warne dich schon früh genug vor, wenn was durchzusickern droht“, gibt Jan lachend zum Ausdruck.
Nachdem kurze Zeit später die Spinde mit sämtlichen Kofferinhalten gefüllt wurden, beruft Frau Müller noch eine Besprechung ein. Die Schüler sind derart ausgelassen, dass es sich im Flur anhört, als begehrten Horden um Einlass. Dennoch sitzen alle nach einem nicht ganz so kurzen Moment in der herbergseigenen Aula. Ihre Klassenlehrerin beginnt daraufhin mit ihren Ausführungen.
„So, nun sind wir in Detmold. Ich verlange von euch, dass ihr euch dem entsprechend benehmt.“
„Wie benimmt man sich denn in Detmold?“, ruft Frank von hinten in die Runde.
Alles lacht amüsiert. Frau Müller überkommt abermals eine innere Unruhe.
„Frank, wenn du wieder so ein Ding abziehst, wie beim letzten Mal, wirst du die restlichen Tage hier in einer örtlichen Schule einquartiert. Haben wir uns verstanden!?“
„Ist schon gut.“
Leise fügt er hinzu:
„Das werden wir mal sehen, du blöde Kuh!“
„Sag mal, du stehst wohl auf Ärger, oder?“, fragt ihn Dirk.
„Halt du dich da mal raus, Digga.“
Die Müller schaut bereits wieder derart entgeistert in seine Richtung, als ob sie gleich entgleisen würde.
„Frank, wir sprechen uns noch!“
„Frank, wir sprechen uns noch“, äfft er ihr nach.
Nach einer halben Stunde ist die Besprechung gelaufen. Nichts Besonderes, nur die obligatorische Benehmenseinweisung. Alle begeben sich daraufhin in ihre Stuben und warten erst einmal ab. Bei Jan sind auch Dirk, Mario, Alex, Daniel und Ingo einquartiert. Praktisch alle sechs aus der Clique. Frank, immer noch ziemlich entrüstet, kommt ins Zimmer sieben, dem Zimmer der sechs. Er geht auf Dirk zu:
„Wolltest du mich da gerade etwa provozieren?“
Dabei stößt er ihn unsanft gegen eines der drei Etagenbetten.
„Was ist eigentlich dein Problem? Hast du mal wieder zu tief in die Flasche geguckt?“, wirft Mario rein. Frank wechselt seinen Blick in Marios Richtung:
„Was mischt du dich denn da ein, he?“
„So und jetzt raus hier Frank und pöbele woanders rum, aber nicht hier“, geht Jan dazwischen.
„Was willst du denn, du mit deiner Heidin. Hexen hat man früher verbrannt. Wäre heute ab und zu auch noch mal nötig!“, antwortet Frank streng und verlässt daraufhin den Raum wieder.
„Sag mal, was ist denn mit dem los. So dermaßen ausgeflippt ist der doch noch nie, oder?“
„Nee Daniel, das ist ´ne ganz neue Qualität. Habe auch schon gar keinen Bock mehr.“, antwortet Jan, der ein wenig erschrocken in den Raum schaut.
„Wieso Bock, du bräuchtest doch ´ne Ziege, oder bist du schwül?“, lacht Ingo, der seinen Humor wohl immer noch griffbereit hat.
„Was meinte er wohl mit Heidin, Hexe. Jan, klär uns auf! Du bist doch mit ihr zusammen“, meint Dirk.
„Ich bin nicht mit ihr zusammen. Wer erzählt denn sowas?“, wirft er energisch zurück und schaut erneut mit leerem Blick in Richtung Zimmertüre. „Und was Frank betrifft, weiß ich doch nicht was mit dem los ist, ihr wisst doch wie der manchmal durchtickt. Der weiß doch ab und zu selber nicht was der so redet.“
„Gut gerettet“, denkt er sich.
„Na ja, wird wohl wieder einer seiner Ausbrüche sein.“
„Die Pubertät!“, meint Alex erneut.
In diesem Moment ruft Frau Müller zum Sammeln auf dem Vorhof über den Flur.
„Schon wieder? Hat die keine anderen Hobbys? Ist ja schon fast wie bei der Bundeswehr. Wir haben doch gerade erst die Kammern bezogen und nun verbreitet die schon wieder Stress!? Ich dachte immer, eine Klassenfahrt wäre so was wie Urlaub?“
„Tja, falsch gedacht, Mario. Aber woher weißt du eigentlich, wie es bei der Bundeswehr abgeht?“, fragt Jan.
„Aus dem Fernsehen. Die hatten da letzte Woche so eine Reportage laufen. Brüllattacken und Konsorten. Hat mich halt daran erinnert.“
„Du schaust zu viel in die Röhre, Junge“, sagt Daniel, als sie das Gebäude verlassen.
Auf dem Hof gibt Frau Müller nun noch einige Instruktionen, bevor es zum Mittagessen geht.
„So, in wenigen Augenblicken werden wir Essen fassen und danach sammeln wir uns wieder hier vor dem Gebäude. Sagen wir mal“, sie schaut kurz auf die Uhr, „Um 13:00 Uhr, danach fahren wir dann zu den Externsteinen. Und ich will keinen Ärger haben! Vor allem nicht von dir Frank!“
Mit ernster Miene schaut sie zu ihm rüber. Wenn Blicke töten könnten, hätte er zumindest jetzt einen Genickbruch erlitten. Im leidenden Tempo quetscht sich der ganze Bulk in den Speisesaal. Auch Jan. Denn bei 30 Grad Außentemperatur darf man sich die schmackhafte Erbsensuppe nun wirklich nicht entgehen lassen.
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