Als er bis auf zehn Meter heran war, richtete er sich auf und beleuchtete mit dem Display seiner Taschenlampe das Ende des Brückengeländers. Der andere Mann, dessen Gesicht von einem typisch französischen Schnurrbart beherrscht wurde, sah milde überrascht auf.
„ Geocaching?“ fragte er.
Renard wunderte sich einen Moment lang über das seltsame Wort, das nicht aus dem Französischen stammte. Dann kam ihm die Bedeutung in den Sinn, die sich gut zu seinem Vorteil ausnutzen ließ; denn wenn er sich irrte, würde sein Alias unnötig in Gefahr geraten.
„ Ja“, antwortete Renard leise und in beinah verschwörerischem Tonfall. „Haben Sie den Schatz schon gefunden? Sie stehen direkt an der Stelle, die von den Geo-Koordinaten bezeichnet wird. Hier soll er versteckt sein – ‚La Pie‘.“
„ Die Elster“, erwiderte der Mann nickend, „oder war es ‚Renard‘, der Fuchs?“
Der Meisterdieb zuckte leicht zusammen, als der Andere seinen Decknamen in so unbedarftem Tonfall aussprach. Dann nickte er und zog die Visitenkarte aus der Jackentasche. Sie hatten sich verstanden und gefunden.
„ Wo ist es?“ fragte der Andere und drückte seinen Zigarettenstummel auf dem Brückengeländer aus. „Ich gehe davon aus, dass Sie den Auftrag erfolgreich…“
„ Wer sagt denn“, wandte Renard ein, „dass ich es war. Mein Chef…“
„ Lassen Sie das doch bleiben“, fuhr ihm der Andere ins Wort. „Ich weiß, dass Sie es gewesen sind – London, Hamburg, New York, Washington, Chicago, Zürich und nun noch hier bei uns in Paris. Leugnen hat keinen Zweck, Monsieur.“
Renard reagierte nicht. Er war zu sehr damit beschäftigt, das Zittern seiner Knie zu beherrschen. Er stand stocksteif und wie festgewachsen, als der Mann ruhig und sachlich weitersprach und dabei etwas aus der Manteltasche zog und ihm unter die Nase hielt. Renard konnte, vor Schreck erstarrt, nicht einmal blinzeln, als der Andere auspackte. Was er sagte, war unglaublich und die allergrößte Blamage, die man ihm je hätte zufügen können.
Renard fühlte, wie sein Blut in Wallung geriet. Man hatte ihn hereingelegt, ihn und seine gesamte Familie. Renard sah Rot. Die Gefahr, die von diesem Mann ausging, war viel zu groß, um ihn ungestraft ziehen zu lassen. Er zwang sich zur Ruhe und stellte eine Frage, die der Mann mit einem leichten, an Schadenfreude grenzenden Schmunzeln beantwortete und damit sein Schicksal besiegelte.
Etwas in ihm explodierte und ließ Renard alle Beherrschung verlieren. Mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, rammte er dem Anderen seine rechte Faust in die gut gepolsterte Magengrube. Der Mann klappte augenblicklich zusammen und ging so ungelenk zu Boden, dass sein Kopf seitwärts hart auf das Ende des eisernen Brückengeländers schlug.
Als Renard sich nach dem ersten Schrecken niederbeugte und seinen Zeigefinger an den Hals des Reglosen legte, kam zu seinem Ärger noch der Schrecken hinzu. Niemand würde ihm glauben, dass es nur ein unglücklicher Unfall war; schon gar nicht, wenn der Mann Recht hatte mit dem Unglaublichen, was er gesagt hatte. Es war eine Affekthandlung gewesen, aber das würde nicht zählen. Vielmehr würde ein Gericht dazu ‚Totschlag‘ sagen, oder womöglich sogar Mord, wenn sie die Hintergründe erfuhren.
Aber es durfte niemand davon erfahren, wenn er die Gefahr für sich und seine Familie so gering wie möglich halten wollte. Kurz entschlossen und mit panisch rasendem Herzen packte er den schweren kleinen Körper an den Schultern und schob ihn mit einiger Anstrengung über das Brückengeländer in die träge dahinfließende Seine. Dann rannte er los.
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