Bert und die anderen Jungens aus der Gang interessierten sich nicht nur für Motorräder, sondern sie nahmen auch an Rennen teil.
„Wenn ich die Kohle für die Anmeldung habe!“, meinte Bert jedes Mal grinsend. „Na, meistens hilft da ein Besuch bei Muttern. Die gibt mir dann was von ihrer Rente ab. Wenn auch nicht immer freiwillig.“
Dieses Mal hatte das Geld für das Rennen gereicht und nun rasten Bert und die Jungens Runde um Runde an ihr vorüber.
Das Rennen fand auf einem nicht mehr genutzten Truppenübungsplatz statt. Ein großer Teil der Strecke verlief auf offenem Gelände, wo eine kurvenreiche und anspruchsvolle Strecke aufgeschüttet worden war, ein Teil verlief durch das angrenzende Waldstück, in dem Sina mit vielen Zuschauern stand und den Fahrern zujubelte.
Wieder kamen die Fahrer an Sina vorbei und diese jubelte erneut laut.
„Idiotensport!“, hörte sie da plötzlich jemanden hinter sich sagen.
Sie fuhr herum und bemerkte ein älteres Ehepaar, das sich hinter dem Zaun befand, der die Rennstrecke umfasste. Dort war ein Fußweg durch den Wald, den viele Spaziergänger gerne für ihre Ausflüge nutzten.
Sina sah die beiden an, schwieg jedoch und wandte sich wieder dem Rennen zu.
„Die sind doch völlig bekloppt!“, meinte der Mann und lehnte sich an den Zaun.
Da reichte es Sina und sie drehte sich zu den beiden um. „Das ist ein Sport, wie jeder andere!“, fuhr sie das Paar an.
Die grinsten sie ruhig an, sahen sich dann an und schüttelten den Kopf.
„Umweltzerstörung ist das, nichts weiter!“, meinte der Mann.
„Die Rennfahrer verpesten die Luft mit ihren Abgasen, sie verjagen die Tiere, der Lärm zerstört die ganze Ruhe hier, die man dringend nötig hätte!“, rief die Frau nun Sina zu.
„Das ist ein Sport. Und es ist ja wohl nicht verboten, dass man Rennen fährt, wenn man das als Sport haben will!“, warf Sina wütend ein.
„Leider nicht!“, konterte der Mann. „Und deswegen geht hier die Umweltverschmutzung sinnlos weiter.“
„Ein Sport für komplette Idioten!“, wiederholte die Frau.
„Das, das ist eine Beleidigung!“, schrie Sina sie nun an.
„Mag sein!“, antwortete die Frau. „Aber das da ….!“ Sie zeigte auf die Fahrer, die gerade wieder vorbeischossen. „Das ist ein Verbrechen!“
„Ein Sport für Idioten und Verbrecher!“, entschied der Mann.
Da reichte es Sina. Sie stürzte davon und suchte sich einen anderen Platz. Den ganzen Tag musste sie noch an die Leute denken, ärgerte sich, über das, was sie gesagt hatten und, dass sie an sie denken musste.
9
„Komm rein!", bat der Berufsberater. „Mein Name ist Schütz. Ich bin vom Arbeitsamt."
Sina setzte sich und schaute gelangweilt zum Fenster hinaus. „Immerhin besser, als den ganzen Tag Schule", dachte sie.
„Tja, dann will ich mal versuchen dir bei deiner Berufswahl zu helfen."
„Phh!", schnaubte Sina verächtlich. „Da wären sie der erste."
Der Berufsberater sah sie erstaunt an. „Was soll das heißen?"
„Ich bin doch eh allen egal."
Herr Schütz runzelte die Stirn. „Das wird schwierig!", dachte er. Er kam zur Sache. „Dein Lehrer hat mir erzählt, dass du dich am Gymnasium nicht wohl fühlst, auch schon durchgefallen bist und vor hast am Ende der neunten Klasse an der Hauptschule den Quali zu versuchen, damit du schon mal einen Abschluss hast. Er sagte mir, dass du bereits ein Betriebspraktikum abgeschlossen hast. Das heißt, dass du vielleicht schon bald eine Berufsausbildung beginnst. Wie hat dir denn das Betriebspraktikum gefallen?"
„Überhaupt nicht! Hat total genervt!"
Herr Schütz lehnte sich in seinem Sessel zurück und verschränkte die Arme. „Alles klar!", dachte er. „Keine Ahnung und null Bock auf Nichts."
„Wo hast du denn dein Praktikum abgeleistet?"
„In einem Büro. Industriehandelskauffrau schimpft sich das. Echt ätzend!" Sina kam sich ungeheuer cool vor.
„Und was hat dir nicht gefallen?"
„Nichts hat mir gefallen. Der Schreibkram den ganzen Tag und dass ich nicht die ganze Zeit Kaffee kochen musste, war alles. Die Tippsen wollten mir weismachen, was sie alles leisten und die Chefin nörgelte immerzu an mir herum."
„Was passte ihr denn nicht?"
„Ich soll nicht zu spät kommen, ich soll nicht rauchen, was weiß ich. Bis ich ihr gesagt habe, dass sie mich mal kann. Da musste mein Lehrer mich woanders hinstecken. Der hat vielleicht geflucht!", grinste sie.
„Und dann?"
„Ich kam in `ne Bank. Aber da hab ich mich krank gemeldet und bin gar nicht erst hingegangen. Ich lasse schließlich nicht alles mit mir machen!"
„Mensch, du hast noch nicht einmal den Hauptschulabschluss! Industriekauffrau und Bankkauffrau sind sogar für Leute mit Abitur Topjobs!"
„Was Sie nicht sagen!"
Herr Schütz stützte sein Gesicht auf seine Hände und grinste Sina frech an.
„Und welchen Beruf gedenkt unsere Prinzessin einmal zu erlernen?"
Sina ärgerte sich über seine schnippische Art. „Der Arsch will mich nerven. Aber nicht mit mir!", dachte sie wütend und überlegte, was sie antworten sollte. „Ich, ich weiß nicht!", stammelte sie nach einer Weile kleinlaut und ärgerte sich dieses Mal über sich selbst, weil sie keine vernünftige Antwort geben konnte.
„Ist doch gleich!", sagte sie und winkte mit der Hand ab. „Man kriegt doch eh keine Stelle."
„Ja, da hast du nicht ganz Unrecht!", meinte Herr Schütz nachdenklich, nahm die Brille ab und rieb sich müde Augen und Nase. „Es ist in den letzten Jahren wieder schwieriger geworden eine Lehrstelle zu bekommen. Trotzdem muss man sich bemühen einen Beruf zu erlernen."
„Wozu?", brauste Sina auf. „Da wird man nur drei Jahre ausgenutzt und angepfiffen. Und zu guter Letzt übernehmen sie dich doch nicht und schmeißen dich auf die Straße!"
„So ist es auch nicht", versuchte Herr Schütz sie zu beruhigen. „Qualifizierte und engagierte Leute werden immer gesucht und gebraucht."
„Gelaber, nichts als Gelaber!"
„Wieso meinst du?"
„Bei uns in der Gruppe ist keiner so blöd und lernt `nen Beruf. Jobben und machen lieber gleich Kohle."
„Da liegst du völlig falsch! Wenn du einen guten Beruf haben willst, musst du eine abgeschlossene Berufsausbildung haben. Das heißt gute Noten in der Schule und auch wieder auf der Berufsschule."
Sina tat so, als ob sie gähnte.
„Da seh ich bei deinem Zwischenzeugnis aber schwarz. Beste Note Vier. Damit kommst du nirgendwo an. Da kannst du froh sein, wenn du überhaupt eine Lehrstelle bekommst, Mädchen! Heilfroh!"
„Sie haben leicht reden. Sie sitzen doch sicher im Sattel und machen die dicke Kohle. Wenn ich..."
„Jetzt halt mal deinen vorlauten Rand!", fuhr Herr Schütz plötzlich dazwischen. „Dein großes Mundwerk kannst du dir sparen! Für alles, was ich heute habe, musste ich mich schwer ins Zeug legen. Ich bin hier, um dich zu beraten. Das heißt aber nicht, dass ich der Mülleimer für deine Frechheiten bin. Einen falschen Ton noch und ich werfe dich einfach raus! Dann kannst du allein sehen, was du machst! Ich glaube eh nicht, dass aus dir Taugenichts etwas Anderes werden wird als eine Sozialhilfeempfängerin. Ich hab mich noch bei keiner geirrt. Also spiel dich nicht so auf!"
Herr Schütz sah Sina herausfordernd an.
Sie war bei jedem seiner Worte kleiner geworden und saß nun wie ein Häufchen Elend vor ihm auf dem Stuhl. Am liebsten hätte sie losgeheult, denn sie spürte, dass er Recht hatte.
Es war totenstill im Raum. Herr Schütz überlegte, ob er zu weit gegangen war. Dann beschloss er, Sina hinauszuschicken.
„Entschuldigen Sie, bitte!", flüsterte Sina da. „Ich möchte, dass Sie mir helfen."
Herr Schütz glaubte seinen Ohren nicht zu trauen und sah sie überrascht an. Er musterte sie eine Weile verwirrt und versuchte sich dann wieder auf seine Aufgabe zu konzentrieren.
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