Karin Kehrer
Elsternherz
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Inhaltsverzeichnis
Titel Karin Kehrer Elsternherz Dieses ebook wurde erstellt bei
Elsternherz Elsternherz Karin Kehrer
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Danksagung
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Impressum neobooks
Karin Kehrer
Callander, Schottland, Juli 1997
Der erste Tag der Sommerferien begann mit düsteren grauen Wolken, die sich über dem Fluss zusammenballten und ein seltsames Zwielicht schufen. Unser Haus, der Garten und die Bäume sahen deshalb aus, als wären sie aus einer anderen Welt hierher versetzt worden. Ob es regnen würde, war noch nicht sicher, es mochte sein, dass der Wind die Wolken vertrieb und vielleicht sogar die Sonne scheinen würde.
Es war mir egal. Ich vermisste die Schule schon jetzt. Vor mir lagen endlose einunddreißig Tage Langeweile, ausgefüllt mit Pflichten. Vor allem Hausarbeit gehörte dazu.
Wie immer war Mum schon um halb sieben Uhr früh aus dem Haus gegangen. Montags, mittwochs und freitags arbeitete sie bis Mittag als Zimmermädchen im Waverly Hotel. Heute hatte sie ihren langen Tag, denn sie putzte auch noch in der Praxis von Dr. McMatthew. An drei Abenden machte sie zusätzlich im Tesco sauber.
Dad beendete seine Arbeit als Postbote wie üblich um etwa zwei, aber es war nicht sicher, wann er nach Hause kommen würde.
Beinahe ein ganzer langer Tag nur für Maggie und mich. Es fragte sich allerdings, was wir damit anfangen sollten.
Ich setzte mich an den Küchentisch, schüttete Milch über die Cornflakes und lauschte dem leisen Knistern, als sie sich vollsogen. Ich mochte sie weich und klebrig. Ich nahm eine Handvoll Himbeeren, die Mum bereits im Garten gepflückt hatte, gab sie in die Schüssel und leckte den Saft von den Fingern. Heuer waren sie besonders früh reif und schmeckten zuckersüß.
Dann warf ich einen Blick auf den Zettel, den sie auf dem Tisch hinterlassen hatte. Zwei Spalten in Mums korrekter, steiler Schrift. Eine listete Maggies Aufgaben auf, die andere meine. Ich konnte lesen, seit ich vier war, weil Maggie es mir beigebracht hatte. Unter Claudia stand heute Schuhe putzen, Himbeeren pflücken und Mr Smooth füttern. Das Letzte war eigentlich keine Arbeit , sondern Vergnügen. Mum hatte das schwarz-weiß gefleckte Kaninchen bei einer Kleintierausstellung vor zwei Monaten gekauft. Ich mochte es sofort und drängte beiseite, dass es im Herbst geschlachtet werden sollte. Wir kümmerten uns abwechselnd um Mr Smooth, an geraden Tagen fütterte ihn Maggie, an ungeraden ich. Er war immer fetter geworden, bis sich herausstellte, dass Mr Smooth eigentlich ein Mädchen war. Am letzten Schultag hatte er sieben winzige Kaninchen geboren.
Mum war darüber wütend gewesen, hatte von Betrug gesprochen, aber Dad hatte gemeint, dann gäbe es eben öfter Kaninchenbraten. Mir kamen auch jetzt die Tränen, wenn ich daran dachte, dass all die süßen Babys geschlachtet werden sollten und die Cornflakes schmeckten mir plötzlich nicht mehr.
„Hi!“ Maggie schlurfte zur Tür herein und gähnte herzhaft. Ihre langen, dunkelblonden Locken waren zerzaust, sie trug noch ihren Pyjama und blinzelte mich aus schläfrigen blauen Augen an. Sie waren das Erste, was an meiner Schwester sofort auffiel. Blau wie der Himmel an einem schönen Septembertag hatte unser Nachbar, Mr Hooper einmal gesagt. Ich erinnerte mich, dass Mum daraufhin ärgerlich wurde. „Nicht, dass die Kleine auch noch eitel wird“, schnaubte sie. Meine Augen waren grau und viel weniger schön und deshalb hatte Mr Hooper sie auch nicht erwähnt.
Sie setzte sich mir gegenüber. „Milch?“
Ich stand auf, holte die Flasche aus dem Kühlschrank, goss etwas davon in eine Schale und stellte sie vor ihr auf den Tisch.
Sie schüttete die Cornflakes hinein und begann sofort zu essen. Für eine Weile hörte ich nur ihre Kaugeräusche.
Als sie fertig war, warf sie einen Blick auf den Zettel. In ihrer Spalte standen schwierigere Aufgaben, schließlich war sie schon neun. „Einkaufen, Bettwäsche wechseln und waschen, Fenster in Küche putzen. Puh!“ Sie zog einen Flunsch. „Das dauert ja ewig und macht überhaupt keinen Spaß. Bis auf das Einkaufen.“ Sie grinste. „Du darfst mitkommen!“
„Au ja!“ Ich sprang auf. „Jetzt gleich?“
Sie sah auf die Küchenuhr. „In einer halben Stunde. Du weißt doch, wann das ist?“
Ich nickte eifrig. „Wenn der kleine Zeiger auf der neun und der große auf der zwölf steht.“
„Perfekt! Dann kannst du inzwischen die schmutzige Bettwäsche in die Maschine geben und einschalten.“
„Aber …“
„Du weißt doch, wie man die Waschmaschine anstellt?“
„Ja, aber …“
Maggie sah mich streng an. „Keine Widerrede. Ich bin deine ältere Schwester und du musst mir gehorchen. Hat Mum gesagt.“
Ich wagte nicht mehr zu widersprechen. Wenn Maggie mich so ansah wie gerade jetzt, endete das meist schmerzhaft für mich. Ich rutschte vom Stuhl und ging die Treppe hoch.
Unser gemeinsames Zimmer war eine Dachkammer, in der gerade das Doppelbett Platz hatte, in dem Maggie und ich schliefen. Dann gab es noch einen Kleiderschrank und ein Regal mit Büchern, in dem wir auch unsere Schulsachen aufbewahrten. Durch die beiden winzigen Fenster fiel kaum Licht und an Tagen wie diesen blieb es beinahe dunkel. Ich knipste die Lampe an und schälte die Hüllen von den Polstern. Meine war rosa, mit weißen Wolken, die von Maggie einfärbig hellblau. Maggie hasste Rosa. So wie sie auch die Schule hasste, Hausarbeit oder Kohl.
Die schwere Decke zog ich mit einem Ruck vom Bett und ließ sie auf den Boden fallen. Mum hatte sie aus bunten Wollresten gehäkelt und sie wurde nur vor den Feiertagen gewaschen. Ich wickelte das Betttuch zu einem Bündel und schleppte es mit den Polsterüberzügen die Treppe hinunter in den Abstellraum neben der Küche, wo die Waschmaschine stand.
Als ich wieder hochging, hörte ich Maggie im Badezimmer trällern. Bestimmt machte sie sich wieder hübsch, so wie immer, wenn sie ausging.
Dann mühte ich mich mit dem Bettlaken ab, das fest unter die Matratze gestopft war. Meine Arme waren zu kurz, um es zusammenzupacken, also schleifte ich es auf dem Boden hinter mir nach.
Ich stopfte alles in die Maschine, gab das Waschpulver hinein – den Becher dreiviertel voll, wie Maggie es mir gesagt hatte – und schaltete ein.
„Fertig!“, schrie ich.
„Komme schon!“, antwortete Maggie. Gleich darauf stolzierte sie die Treppe herunter. Ich starrte sie mit offenem Mund an. Sie trug ihr hellblau geblümtes Sommerkleid mit dem weit schwingenden Rock und die weißen Sonntagsschuhe. Ihre Locken wippten bei jedem Schritt. Außerdem hatte sie ihre weiße Handtasche umgehängt.
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