Karin Kehrer
Lilie und Drache
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Inhaltsverzeichnis
Titel Karin Kehrer Lilie und Drache Dieses ebook wurde erstellt bei
PROLOG
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Kapitel 55
Kapitel 56
Kapitel 57
Kapitel 58
Kapitel 59
Kapitel 60
Kapitel 61
Kapitel 62
Kapitel 63
Kapitel 64
EPILOG
Wichtige Charaktere
Wichtige Orte
Ausspracheregeln:
Karte
Impressum neobooks
The night is darkening round me,
The wild winds coldly blow;
But a tyrant spell has bound me
And I cannot, cannot go.
(„Song“, Emily Brontë)
Dunkelheit ist mehr als die Abwesenheit von Licht. Ein schlichter Geist mag davon überzeugt sein, dass auf jede Nacht ein Tag folgt, die Finsternis dem Licht weichen muss, dass dies ein Gesetz der Natur ist. Aber es gibt eine Dunkelheit, die alles besiegt, die den Anbruch eines neuen Morgens nicht zulässt.
Finsternis überall … die Schwarze … das Ende …
Rynwed de Gordaw schrak hoch. Er blinzelte, starrte auf seine Hände. Die Feder war ihm entglitten, lag auf der Platte des Tisches. Er betrachtete das von vielen Messern zerfurchte Holz, als sähe er es zum ersten Mal.
Hatte er geschlafen? Das durfte er nicht. Er musste seine Aufgabe zu Ende bringen.
Welche Aufgabe?
Er war müde, so unendlich müde. Mit einem tiefen Seufzer hob er den Kopf, lauschte in die Dunkelheit.
Stille. So allumfassend, dass er vermeinte, ein erstickendes Tuch hülle ihn ein. Kein Klagen der Nachtvögel, kein Tapsen von heimlichen Pfoten, die über den Steinboden huschten. Nicht einmal das Wispern des Windes war zu hören. Nur Schatten lagerten in den verborgenen Winkeln dieses ärmlichen Gemachs, das zu seiner letzten Zufluchtsstätte geworden war. Die Kerze spendete kaum Licht und er wollte seine Gabe nicht darauf verschwenden, sie heller leuchten zu lassen.
Er beobachtete sie, diese Schatten, schon seit er die Kerze entzündet hatte, aber sie lebten nicht, waren keine Abgesandten der Schwarzen. Nur die Abwesenheit von Licht.
Er runzelte die Stirn. Welcher Gedanke war ihm durch den Kopf gegangen, bevor die Erschöpfung ihn übermannt hatte?
Die Worte des Obersten Wächters des Lichts, Arcsardar Evlan de Gordaw, seines großen Vorfahren, der voraussah, was auf sein Volk zukommen würde. Ahnungen, kaum zu begreifen. Die Wirklichkeit sollte so viel schrecklicher werden als jede Vision zeigen konnte.
Falschheit. Verrat. Lüge. Vergebliche Opfer. Tod.
Warum war er so dumm gewesen und hatte den Einflüsterungen seiner Feindin vertraut? Er hätte es besser wissen müssen.
Ließ er sich nur deshalb von ihr täuschen, weil SIE einst eine von ihnen gewesen war? Eine Wächterin des Lichts, dazu bestimmt, den Menschen Hilfe und Heilung zu bringen? Hatte er geglaubt, er könne noch einen Funken Anstand in ihr entfachen, eine barmherzige Regung? Nun, seine Gutgläubigkeit hatte ihn genarrt.
Er war vor fünf Sonnenuntergängen von Colheldon, seiner heimatlichen Festung, aufgebrochen. War das tatsächlich noch nicht länger her? Inzwischen hatte er einen Blick in die finstersten Abgründe getan, hatte tiefste Hoffnungslosigkeit und Demütigung erfahren. Dass er seiner schlimmsten Feindin entkommen konnte, war kaum als Glücksfall zu bezeichnen. Oder hatte SIE es genau so gewollt? Nur, um ihn zu verhöhnen und ihn als Verlierer zurückkehren zu lassen?
Diesen Gefallen würde er ihr nicht tun. Er würde seine Heimat nie wieder betreten. Aber SIE wusste bestimmt nicht, dass er einen letzten Ausweg gefunden hatte, denn sonst hätte SIE ihn ebenfalls sofort getötet.
Rynwed presste die Hände an seine Schläfen, wie um den abschweifenden Gedanken Einhalt zu gebieten. Den Schmerz, der in ihm aufwallen wollte, drängte er mit aller Macht zurück.
Er strich das Pergament vor ihm glatt. Seine Arbeit war noch nicht getan. Langsam setzte er die Feder auf, schloss die Augen und sammelte sich. Ah, wie war er doch schwach geworden! Die Kraft, die sich in seinen Adern ausbreitete, war nur mehr ein kläglicher Rest seiner Gabe.
Seine Lippen bewegten sich lautlos, während seine Hand die magischen Worte auf das Pergament setzte. Hell leuchtende Buchstaben flossen aus der Feder, senkten sich nieder und wurden aufgesogen.
Für eine Weile nahm er die Umgebung nicht mehr wahr, richtete sein ganzes Augenmerk auf die Botschaft, die in fernen Zeiten Erlösung bringen sollte. Sein größtes Opfer, alles was ihm noch geblieben war, so wie es der Einzige und Große Heldon, Bewahrer des Lichts, ihm geboten hatte.
Die Kerze war bis auf eine Fingerbreite herabgebrannt, als er das letzte Wort schrieb. Er legte die Feder zur Seite, saß einfach nur da und fixierte das Pergament. Nichts deutete darauf hin, dass es eine geheime Botschaft enthielt, sie würde sich nur demjenigen offenbaren, der dazu bestimmt war.
Ein bitteres Lächeln huschte über seine Züge. Ein letzter, erbärmlicher Versuch, sein Volk zu retten. Ein Versuch, der mehr als waghalsig war, denn so vieles konnte ihn zunichtemachen.
Wieder lauschte er in die Dunkelheit. Die Diener der Schwarzen hatten ihn noch nicht aufgespürt, aber das war nur eine Frage der Zeit. Er konnte ihnen nicht mehr entwischen. Sie würden schnell herausfinden, wo er sich aufhielt, seine Gabe verriet ihn, auch wenn sie schon so schwach war. Das Turmzimmer der Ruine von Martok, in die er sich geflüchtet hatte, konnte ihrer Witterung nicht entgehen, aber er brauchte diesen Ort, weit genug entfernt von jeder menschlichen Regung, um seine Kraft ungestört fließen lassen zu können. Wenn die Diener seiner Feindin ihn aufstöberten, würde nichts mehr als ein kläglicher Funke in ihm sein.
Er hielt inne, als die Kerze leicht flackerte. Krochen sie bereits witternd und suchend durch die Dunkelheit? Leichte Panik überschwemmte ihn. Es war zu früh, er hatte sein Werk noch nicht vollendet.
Nein, er spürte nichts von der Anwesenheit der giftigen Schatten, die alles Lebendige überfielen und aussaugten. Ein Schicksal, das auch ihm bestimmt war, so gewiss, wie die Dunkelheit sein Volk ausgelöscht hatte. Nur die Finsternis, die das spärliche Licht nicht vertreiben konnte, sah durch die Fensteröffnung zu ihm herein. In der Ferne blinkten ein paar Sterne am Himmel. Viel zu wenige und zu weit weg, um Trost zu spenden. Eine mondlose, stille Nacht, wie geschaffen für sein Vorhaben – und seinen Tod.
Rynwed schüttelte unwirsch den Kopf. Er durfte seine verbliebene Zeit nicht mit unnützen Gedanken vergeuden.
Er tastete nach dem Leinenbeutel, den er über die Lehne des Stuhls gehängt hatte und der seine wenigen Habseligkeiten enthielt. Behutsam nahm er die hölzerne Schatulle heraus. Ein Geschenk seines jüngeren Sohnes, ein Relikt aus einer vergangenen, glücklicheren Zeit. Er schloss kurz die Augen und sog tief den Duft des Holzes ein. Erinnerungen stiegen in ihm auf und er musste schlucken, um die Tränen zu unterdrücken. Seine Gemahlin, seine beiden Söhne, die weiten Wälder von Sardaryon, der Geruch der mächtigen Nadelbäume, eingefangen in diesem geschnitzten Kästchen.
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