„Schlaf gut“, sagte er und küsste ihren Arm, der zufällig unter der Decke hervorschaute. Sie bestätigte den Abschied, indem sie nach ihm schlug, dabei sein Kissen erwischte, sich herumdrehte und auf seiner Seite des Bettes weiterschlief.
„Ich hab dich auch lieb“, flüsterte Frank mit einem Grinsen. Dann verließ er das Schlafzimmer.
Der Sprinter war eiskalt, als Frank den Zündschlüssel umdrehte. Er befreite das Lenkrad aus der Wegfahrsperre und setzte rückwärts aus der Ausfahrt.
Sophie wartete schon auf ihn als er um 2:25 Uhr neben dem Blumenladen vorfuhr.
„Pünktlich“, bemerkte sie beim Einsteigen, „so muss es sein. Ein guter Geschäftsmann braucht drei Dinge: Belastbarkeit, Durchsetzungsvermögen und Pünktlichkeit. Dann wollen wir mal sehen, ob du die anderen zwei Voraussetzungen auch mitbringst. Fahr los, wir müssen bis fünf dort sein. Sonst ist die beste Ware bereits vergriffen.“
Frank wollte ihr für einen Moment einen Guten Morgen wünschen, überlegte es sich aber anders. Er trat aufs Gas und binnen Minuten hatten sie Shuus verlassen. Auf dem Weg gab Sophie immer wieder Anweisungen und wies Frank an, abzubiegen oder auf eine andere Spur zu wechseln. Sie kannte den Weg und wusste auch, wo man das beste Frühstück bekommen konnte.
„Dort drüben ist eine kleine Bäckerei, wir sind jetzt fast da. Lass uns kurz anhalten. Wir holen uns einen Kaffee und ein süßes Stückchen. Dann werfen wir uns ins Getümmel. Du wirst den Zucker und das Koffein brauchen. Vertrau mir. Warst du schon mal auf dem Großmarkt?“
„Ich hab zuvor schon in einem Blumenladen gearbeitet. Aber mein Chef hat viel Wert darauf gelegt, keine frische Ware zu kaufen. Alles, was wir im Angebot hatten, war reduziert. Vor sieben war ich noch nie auf dem Großmarkt.“
„Sieben?“, fuhr Sophie entsetzt auf. „Was hast du denn da um sieben angestellt? Den Restmüll aus den Containern gefischt? Das wird ja so ein Laden gewesen sein.“
„Es lief mehr ... schlecht als recht. Wir hatten nicht mal eine Auslage vor dem Geschäft“, sagte Frank und parkte den Wagen vor dem Bäcker.
„Und so wollen wir uns ja nicht anstellen“, predigte Sophie und stieg aus.
Sie bestellten sich je einen Kaffee und ein süßes Stückchen und aßen hastig, während sie im Sprinter durch das große Tor des Großmarkts rollten. Der Pförtner knöpfte Frank eine Gebühr ab und überreichte ihm ein Schildchen.
„Das legst du in deinen Wagen, dann wissen die Verkäufer, wo die Ware hin soll. Man kennt mich hier. Alles wird sofort ins Fahrzeug gepackt. Komm, folge mir.“
Sophie führte Frank durch das eifrige Durcheinander des Großmarkts. Überall wurden große silberne Wagen durch die Menge geschoben und Blumen verladen. Lkws fuhren in die große Halle, deren Fahrer ganze Bestände zu Schnäppchenpreisen aufkauften, die sie dann hastig verluden und davonschafften. Ein Händler stritt sich gerade lautstark mit einem Kunden, der sich beschwerte, dass seine Sonnenblumen mehr orange seien als gelb. Auf der gegenüberliegenden Seite schüttelten sich zwei freundlich die Hand, während Wagenladungen von Primeln verpackt wurden.
Gemütlich tappte Sophie mit Frank im Schlepptau über den nassen Fußboden und ließ das ganze Treiben an sich vorbeigleiten, als würde es gar nicht stattfinden.
Sophie war ein echter Profi. Da war sich Frank sicher. Sie schritt einher, als würde ihr der ganze Markt gehören. Hin und wieder grüßten Händler und sie erwiderte lediglich mit einem Lächeln oder Winken. Gelegentlich schickte sie Frank zu einem der Stände und ließ ihn eine Bestellung aufgeben. Sophie hatte ihn angewiesen, lediglich ihre angestammte Nummer vorzuzeigen, wenn ihm einer der Händler Probleme machte. Und es funktionierte. Sobald sie die Nummer sahen, änderten sie den Ton und suchten nach Sophie, die irgendwo hinter Frank auf Abstand die Situation abschätzte.
Sophie verstand ihr Handwerk. Und der Großmarkt respektierte einen Profi wie sie.
Sie zeigte ihm, wo es die besten Geranien gab und die schönsten Nelken. Erklärte ihm, von welchen Händlern er Abstand halten sollte und auf welche stets Verlass war.
„Tulpen immer aus Holland. Die Jungs im Norden wissen, was sie tun. Diese Sklavenarbeit aus Zentralasien darfst du nicht unterstützen. Wenn du Grün kaufst, nimm es in die Hand und breche ein Bündel davon durch. Knackt es, ist es noch frisch, lässt es sich allzu weit biegen, ist es alt und geht dir wahrscheinlich auf dem Weg in den Laden kaputt.“
Sie passierten einen großen Stand, der voller Rosen war. Der Duft überdeckte selbst in der Halle voller Blütenduft jeden anderen Geruch.
Ein kleiner Mann entlud einen Lkw, während ein großer Hüne an einem Pult etwas notierte. Ein dritter lauschte einer brünetten Frau und steckte ihr eine rote Rose ins Haar. Frank und Sophie blieben stehen.
„Und wenn es um Rosen geht, kann niemand den Bogdanow-Brüdern das Wasser reichen. Nicht mal der Herrgott persönlich. Guten Morgen, Jungs“, rief sie lautstark.
Der Mann am Pult schaute zuerst auf. Er erkannte Sophie sofort, legte seinen Stift weg und ging auf sie zu.
„Sophie! Wie geht es dir?“
Er nahm ihre Hand und küsste sie.
„Das ist Sergei“, sagte Sophie.
Der gut zwei Meter große Russe wendete seinen rustikalen Schädel Frank zu. Er hatte einen schwarzen Vollbart und trug einen blond gebleichten Kurzhaarschnitt, der über seine breiten Schultern emporragte.
„Hast du einen neuen Liebhaber, Sophie?“, witzelte er und steckte die Hände in seine Armyjacke.
„Sergei, sei vorsichtig. Sonst wachse ich zu dir empor und zieh dir die Ohren lang.“
Er lachte herzhaft.
„Das ist Frank, er hat meinen Laden übernommen. Ich möchte, dass du und deine Brüder ihm in Zukunft genauso freundschaftlich zur Seite stehen wie zuvor mir.“
Sergei nahm eine Hand aus der Tasche und strich sich durch seinen dicken Bart. „Sicher, sicher“, murmelte er, „bist du ... sicher, dass du aufgeben willst? Das Geschäft wird besser. Es wird immer wieder besser. Ist gerade schlechter, aber irgendwann auch wieder besser. Nein?“
„Oh mir geht es gut, mach dir keine Sorgen. Frank hier hat mächtig was abdrücken müssen, damit er meinen Anteil vom Laden bekommt. Er ist Sarahs Enkel musst du wissen.“
Oh, Sarah, so tragisch, dachte der große Russe für einen Moment in sich hinein, bis auch der zweite Teil des Satzes bei ihm ankam.
„Sarahs Enkel?“, sagte er freudig und umarmte Frank.
Der Arme bekam die volle Wucht von Sergeis Stärke zu spüren.
„Es freut mich, dich kennenzulernen“, hauchte er, während Sergeis Umarmung ihm die Luft aus der Lunge drückte.
„Sind deine Brüder heute nicht zugange?“, fragte Sophie.
„Doch, doch“, bestätigte Sergei und ließ von Frank ab, „Ivan, Turbin. Идите сюда!“
Der große Russe sprach plötzlich in seiner Muttersprache und Frank hoffte, dass er irgendwie erraten konnte, was er gesagt hatte.
Der kleinere Mann sprang vom Lastwagen und eine frustrierte Brünette stakste genervt davon, als ihr Flirt plötzlich sein Interesse verlor und sie stehen ließ.
„Brüder. Das ist Frank. Er hat Sophies Laden übernommen.“
„Sophies Laden übernommen? Wovon redest du?“, ratterte der Kleinste herunter. „Sophie steht direkt vor uns. Warum würde sie ihren Laden hergeben?“
„Weil Sophie alt geworden ist, Turbin, und weil sie Krebs hat.“
Die drei Russen waren sprachlos. Lediglich Frank traute sich, etwas zu sagen.
„Sophie, wie schlimm ist es?“, fragte er besorgt.
„Mein Arzt hat mir noch drei Monate gegeben. Das war vor einer Woche.
Ich kann euch sagen, dass ich nicht vorhabe, in nächster Zeit zu sterben. Ich werde mein kleines Vermögen verprassen und es mir gut gehen lassen. Und wenn ich mich zu schwach fühle ... Ich habe nicht vor, in einem Bett zu sterben“, sagte sie und verrenkte den Hals. „Also, Jungs, werdet ihr meinem Wunsch nachkommen und euch um Frank kümmern?“
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