Antiochios krümmte sich wie ein geprügelter Hund. Aber ihm blieb nichts anderes übrig, als Ptolemaios’ Befehl Folge zu leisten und ritt mit seinen Männern davon.
„Er ist verprügelt worden wie noch nie in seinem Leben“, flüsterte Phokis hinter mir. „Auch das wird er dir nie vergessen.“
Es gab viel, was mein Bruder und ich nicht vergessen konnten.
Wir ritten nach Troja und kamen gerade rechtzeitig, um Alexander am Altar des Priamos opfern zu sehen. Nun darf man sich Troja nicht so vorstellen, wie es uns Homer in die Köpfe gepflanzt hat, als stolze Festung mit uneinnehmbaren Mauern, die die Griechen nur durch die List des Odysseus bezwangen. Es gab weder hohe weiße Mauern noch Paläste, sondern nur ein paar armselige Häuser um einen Hügel, auf dem ein halbverfallener Tempel stand, in dem ein paar rostige Waffen gezeigt wurden, die angeblich dem Achilleus gehörten. Den Schild lieh sich Alexander aus und ließ dafür seinen Schild zurück. Der Schild des Achilleus begleitete ihn in allen Schlachten. Ich habe ihn auch einmal tragen dürfen. Er war nichts Besonderes und sein Wert erklärt sich nur durch die Träume, die Alexander mit ihm verband. Es lag bestimmt nicht an der schartigen Bronze, dass unser König aus allen Schlachten siegreich hervorging.
Der Strand von Troja war nicht schön, sondern mit elendem Strauchwerk bewachsen. Aber Alexander glühte wie ein Verliebter und abends deklamierte er Verse aus der Ilias und wir mussten uns anhören, wie Achilleus’ Schild gemacht wurde:
Erst nur formt der Meister den Schild, den großen
und starken,
ganz ihn verzieren und legte darum einen schimmernden
Reifen,
dreifach und blank verbunden mit silbernem Tragegehänge..
Von all dem sahen wir nur eine Ahnung, aber wir taten so, als würden wir genauso empfinden wie unser König. Danach mussten wir uns anhören, wie Achilleus den Hektor um Troja schleifte und Priamos um seinen Leichnam bettelte. Ich fand Hektor von all den göttlichen Figuren, die Homer uns schenkte, immer am sympathischsten. Aber Alexander war in Achilleus verliebt und hielt sich für seine Wiedergeburt und für noch etwas mehr, wovon noch zu erzählen sein wird. Aber das mit dem Achilleus nahm er sehr ernst. Sein ganzes Leben war wie eine Dichtung von Homer und er glaubte Achilleus zu sein und war doch eher Odysseus. Aber das ging ihm lange Zeit nicht auf.
Nachdem wir genug Verse gehört hatten, machte ihn Hephaistion auf mich aufmerksam und Alexander winkte mich zu sich und ich übergab ihm den Brief des Parmenion. Während er las, erzählte ich ihm, was wir erlebt hatten. Er runzelte die Stirn und schlug sich empört auf die Knie.
„Mit ihrem Gold können sie sich alles erlauben! Ihr Gold hat den Pausanias zum Mord getrieben, ihr Gold macht meine Verbündeten unsicher und ihr Gold ….“
„Wir sind verraten worden.“
„Ja. Mit ihrem Gold haben sie sich einen Maulwurf gekauft.“
Er sah streng um sich und die Flötenspieler hörten auf unsere Ohren zu quälen und Alexander sagte:
„Einer unter uns hat mich verraten. Eines Tages wird herauskommen, wer es war und meine Strafe wird fürchterlich sein!“
Es war so still, dass man den Flügelschlag eines Vogels hätte hören können. Alexander nickte noch einmal drohend und las weiter.
„Weißt du, was mir Parmenion rät?“
„Nein. Er sagte mir nur, dass er dich erwartet.“
„Ich soll noch einmal einen Parlamentär zu den Persern schicken und Mysien, Lykien und Karien fordern und mich damit zufrieden geben. Es hat noch nicht einmal angefangen und da soll ich schon aufhören? Was denkt er sich eigentlich? Hält er mich für …. Parmenion?“
Alles lachte befreit. Alexander umfasste meine Schulter und zog mich freundschaftlich auf das Lager neben sich. Ich mag es eigentlich nicht, wenn mich Männer anfassen, aber bei ihm wurde mir warm ums Herz. Der König gab mir das Gefühl, dass ich sein besonderer Vertrauter war. Später ging mir auf, dass jeder von uns so dachte und bald sollte das Heer, das die Schöpfung seines Vaters war, genau so denken. Es gelang ihm, die einfachen Soldaten, die sonst immer auf ‚die da oben’ schimpften, so für sich einzunehmen, dass sie sich allein ihm verpflichtet fühlten und nicht ihren Vorgesetzten. Bei keinem anderen Feldherrn habe ich derartiges erlebt.
„Was meinst du, Sohn des Hephaistos, was raten mir die Götter?“
Ständig musste er sich vergewissern, dass er sich mit den Göttern im Einklang befand, sozusagen auf Du und Du. Mit Hephaistos war nicht Hephaistion gemeint, sein liebster Freund, sondern der Gott der Schmiede, der dem Achilleus die Waffen gab, jedenfalls erzählt uns das Homer.
Ich hatte mit ihm nur gemeinsam, dass er auch hinkte. Aber er musste mich zu einem Abkömmling eines Gottes machen. Natürlich war dies nur ein Scherz von ihm.
„Am besten hörst du auf die Ratschläge deines Vaters, heißt er nun Philipp oder Amun.“
Es war wohl keine so gute Antwort, denn es wurde wieder mucksmäuschenstill im Zelt und Attalos hielt sich den Kopf und Ptolemaios machte ein Gesicht, als habe er Zahnschmerzen. Aber Alexander nahm es nicht schlecht auf, sondern nickte ernst.
„Amun wird mich das Rechte tun lassen!“ sagte er bedächtig. „Doch ich will deine Meinung hören.“
Mir trat der Schweiß auf die Stirn. Warum wollte er gerade von mir hören, was ich dachte? Ich war ja nun gerade erst zu den Gefährten gestoßen. Er sollte lieber Perdikkas oder noch besser Hephaistion fragen. Auch Seleukos und Peukestas mit ihrer Erfahrung wären ihm bessere Ratgeber.
„Lass Alexander tun, was in Alexander ist“, stammelte ich.
Die einfachste und dümmste Antwort ist manchmal die beste.
Alexander schlug sich auf den Schenkel. „Das ist eine gute Antwort. Habt ihr gehört? Ich soll tun, was in mir ist. Wahrhaft, das werde ich! Morgen werden wir noch Spiele zu Achilleus’ Ehren veranstalten und dann ziehen wir in den Krieg und werden Memnon hinwegfegen. Perdikkas und Peukestas, ihr sorgt dafür, dass der Tross nachkommt und der Nachschub nicht abreißt. Geht davon aus, dass wir uns nicht mit diesem schmalen Streifen Asiens begnügen werden. Die anderen melden sich zu den Wettkämpfen. Wofür wirst du dich melden, Sohn des Hephaistos?“ fragte er und schüttelte meine Schulter.
„Meine Fähigkeiten sind leider begrenzt.“
„Er ist mutig wie Hektor!“ widersprach Hephaistion.
„Er kann reiten wie ein Zentaur!“ setzte Attalos hinzu.
„Na also, dann wirst du bei dem Wettrennen um das Grab des Achilleus mitmachen. Du bekommst von meinen Pferden ein gutes Tier. Peukestas, du sorgst dafür, dass er die Eos bekommt. Mit ihr müsste er eigentlich unter die ersten fünf kommen.“
„Eos ist etwas ungebärdig!“ warnte Hephaistion. „Die Stute ist eine Schwester des Bukephalos. Nur unter deinen Schenkeln lässt sie sich reiten.“
„Er reitet wirklich wie ein Zentaur“, nahm Attalos noch einmal für mich Partei. „Er wird auch Eos ins Ziel führen.“
„Na also. Er reitet Eos!“ schloss Alexander die Diskussion ab und schüttelte zufrieden meine Schulter, als habe er die ganze Zeit nichts anderes vorgehabt, als dafür zu sorgen, dass ich mich auf eines seiner Pferde schwinge.
Die nächsten Tage waren angefüllt mit Wettkämpfen. Das Heer hatte sich in Kreisen um die Wettkampfstätte versammelt, und es wurde gerungen, geboxt und es fehlten nicht Diskuswurf, Wettlauf und Weitsprung. Jede Phalanx schickte ihre besten Männer. Ich hätte gern beim Ringen mitgemacht, denn bei diesem Wettstreit traute ich mir einiges zu. Als ich sah, welche Muskelpakete antraten, war ich doch froh, dass die Gefährten Lysimachos für den Ringkampf bestimmten. Vor den Wettkämpfen wurden Zeus und Achilleus geopfert. Die Priester begutachteten die Innereien der Opfertiere und sagten natürlich voraus, dass wir gegen die Perser siegen würden. Am Nachmittag des zweiten Tages wurde das Pferderennen gestartet. Mir wurde die Ehre zuteil die Leibgardisten zu vertreten. Es war eine Auszeichung. Hephaistion winkte mir zu, was soviel hieß, dass ich ihm keine Schande machen solle. Von der Entourage um Alexander war noch Philotas dabei, der aber als Anführer der Reiterschwadronen deren Farben vertrat. Man hatte mir die Stute leider erst spät gebracht, so dass ich sie vor dem Wettkampf nicht einreiten konnte. Aber ich verliebte mich sofort in sie. Es war eine braune langbeinige Stute mit schönen nervösen Augen. Aber ich kam mit ihr gleich zurecht, ließ sie unter meinen Achseln schnuppern und fütterte sie mit Nüssen. Ich hatte das Gefühl, dass sie mich mochte.
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