In dem Zelt des Feldherrn war nun eine große Tafel aufgebaut. Ungefähr zwanzig Personen lagerten um den Tisch. Im Gegensatz zu der Umgebung des Königs waren es meist gestandene Männer, Veteranen des Königs Philipp. Sie hatten verwitterte harte Gesichter und ihre Bärte waren grau. Sie sahen uns entweder gleichgültig oder geringschätzig an. Für sie waren wir Grünschnäbel.
Es wurde mächtig aufgetischt und es war ein makedonisches Mahl. Es gab viel Hammelfleisch und Bohnen und Hirse. Der Wein wurde unverdünnt getrunken, nachdem man zu Ehren des Dionysos Wein auf den Boden geschüttet hatte. Der General stellte uns als Gefährten des Königs vor und die Offiziere machten gelangweilte Gesichter. Es war offensichtlich, dass sie nicht viel von uns hielten. Wenn Parmenion gesagt hätte, dass wir die Schoßhunde des Königs seien, hätten sie wohl ähnlich desinteressiert reagiert. Mein Vater, als Parmenions Adjutant, stand wie ein Schatten hinter ihm. Es musste ihn hart ankommen, dass sein Sohn gleichberechtigt an Parmenions Tafel lag, während er stehen und beim Essen zusehen musste. Es geschah ihm ganz recht. Wie oft hatte er mich beschimpft und von seiner Tafel gewiesen.
„Alexander wird bald zu uns stoßen!“ weihte Parmenion die Runde ein.
„Dann geht es also los“, sagte ein finster dreinblickender Schlagetot. Kurze Stirn, stechende Augen, zerschlagene Nase und ein wollüstiger Mund, in dem einige Zähne fehlten. Nicht gerade ein seltener Typus in jedem Soldatenhaufen.
„Ich rechne in Kürze damit, Myros“, gab Parmenion zu und biss herzhaft in eine Keule.
„Es wird nicht einfach werden. Memnon ist ein fähiger Feldherr und er hat nicht nur genug griechische Söldner, sondern jetzt auch noch baktrische Reiter bekommen.“
„Eine Schande, dass wir auf Griechen treffen!“ stieß Attalos hervor.
Die Offiziere sahen ihn an, als hätte er stinkende Luft abgelassen.
„Ihr müsst ihn verstehen“, entschuldigte uns Parmenion. „Die Gefährten des Königs sind zweimal von griechischen Söldnern überfallen worden.“
Sie gingen nicht darauf ein.
„Den Hundesöhnen wird es ergehen wie bei Chaironeia“, sagte Myros und wedelte verächtlich mit der Hand, als würde er etwas Lästiges wegscheuchen. „Aber was dann? Wenn wir Sardes, Ephesos und Milet geplündert haben, kehren wir dann um oder wie geht es weiter?“
„Keine Plünderungen. Wir werden den Städten Ioniens die Freiheit bringen“, sagte Parmenion dumpf. Es klang nicht sehr begeistert.
„Keine Plünderungen? Was ist denn dann der Sinn des Feldzuges?“ empörte sich Myros und die anderen Offiziere pflichteten ihm bei. Sie sahen wie Kinder aus, denen man ihr liebstes Spielzeug wegnehmen wollte.
„Rache für die Zerstörung der Akropolis in Athen. Rache für die Thermopylen, darum geht es. Rache für die verwüsteten Städte.“
„Was gehen uns die Griechen an? Und außerdem ist dies schon hundertfünfzig Jahre her.“
„Das musst du Alexander fragen“, erwiderte Parmenion. Es klang nicht wie eine Zurechtweisung.
„Na schön. Ich habe kapiert“, gab Myros zurück. „Mit dem Memnon werden wir fertig werden. Aber was machen wir, wenn der Großkönig mit hunderttausenden von Kriegern kommt?“
„Hast du Angst, Myros?“ fragte sein Nachbar, der auch nicht viel besser aussah und dem obendrein eine Narbe über das Gesicht lief. Alle gröhlten und Myros lief rot an.
„Rede nicht so! Jeder weiß, dass ich keine Furcht kenne. Ich will ja nur wissen, ziehen wir uns dann nach Makedonien zurück oder lassen wir uns hier in Ionien auf einen Kampf mit ihm ein?“
„So dumm werden wir doch nicht sein. Wir werden die Ionier ordentlich schröpfen und uns dann nach Makedonien zurückziehen. Nach den Erfahrungen der letzten fehlgeschlagenen Feldzüge in Griechenland wird Dareios keine große Lust haben uns zu folgen“, sagte Narbengesicht.
„So würde Philipp handeln“, stimmte Parmenion zu.
„Ja, das war ein König!“ rief Myros. „Auf unseren guten König Philipp“, setzte er hinzu und hielt seinen Becher Wein hoch und wir konnten uns dem Trinkspruch nicht verweigern und ließen also Philipp hochleben.
„Du meinst, Alexander wird sich nicht zurückziehen?“ fragte Myros, nachdem wir ordentlich aus den kübelartigen Herkulesbechern getrunken hatten. Die Altmakedonen verstanden zu saufen.
„Niemand weiß, was den König bewegt.“
„Außer Hephaistion“, rief Myros und alle schüttelten sich vor Lachen.
Es folgten einige Anzüglichkeiten, wer von den beiden bei der Liebe oben liegen würde und wer unten. Parmenion rief sie nicht zur Ordnung. Wir saßen mit roten Köpfen daneben und ich bemerkte, dass mich mein Vater hämisch beobachtete.
„Du bist sein wichtigster General. Irgendwann muss er dir doch sagen, was er vorhat“, fuhr Myros fort.
„Er wird es mir sagen, wenn er die Zeit für gekommen hält. Alexander ist nicht nur unser König, sondern der Hegemon Griechenlands. Er wurde dazu ernannt, um den Griechen in Asien Freiheit und Demokratie zurückzubringen und die Perser zu bestrafen. Er hat also vieles zu bedenken. Wenn er doch nur mehr auf die Gefährten Philipps hören würde. Sein Vater legte den Grundstein für unsere Stärke. Ihn sollte er sich zum Vorbild nehmen und nicht mythische Helden.“ Parmenions Gesicht war ganz ruhig, fast traurig.
„Dann trinken wir auf den Sohn Philipps“, rief Myros und schwenkte seinen Becher.
„Ich denke, er wurde von einer Schlange gezeugt in der Nacht, als der Tempel zu Ephesos abbrannte“, rief Narbengesicht dazwischen.
„Du bringst alles durcheinander. Als er geboren wurde, brannte der Tempel zu Ephesos“, wies ihn Myros zurecht.
„Ist doch egal“, erwiderte Narbengesicht. „Jedenfalls soll ein ägyptischer Gott in Gestalt einer Schlange in den Schoß der Olympias gekrochen sein. Dabei hat doch jeder von uns so eine Schlange.“ Narbengesicht sah anzüglich grinsend an sich herunter.
Dies waren noch die harmlosen Lästereien und als wären nun alle Dämme gebrochen, stellten sie Alexander als knabenliebendes Jüngelchen hin. Nein, so rüde sagten sie es nicht. Sie lobten seine Schönheit und stellten dagegen, was Philipp für ein Kerl und Weiberheld gewesen sei.
Attalos und ich sahen uns an, als wären wir unter die Räuber geraten. Die Umgebung des Königs gewohnt, kannten wir nur Verehrung für Alexander. Wir wussten, dass er etwas Besonderes war. Die Kerle hier hätten sich nur ins Bewusstsein rufen müssen, dass er bei Chaironeia ein erstes Meisterstück abgeliefert hatte. Auch wie er die Illyrer und Thebaner zur Räson gebracht hatte, ließ nicht darauf schließen, dass er ein verwöhnter Männerliebhaber war. Aber für diese alten Veteranen des Philipp schien dies alles nicht zu zählen. Sie waren Alexander gegenüber voller Vorurteile. Ptolemaios hatte mir von den Philippischen erzählt, und nun wusste ich, was dies bedeutete. Sie warteten nur darauf, dass Alexander Fehler machte.
„Alexander wird das tun, was ihm die Götter eingeben!“ schleuderte Attalos wütend und mit rotem Kopf in die Runde. „Und wir werden ihm gehorchen. Egal was er befiehlt.“
„Welcher Gott? Etwa Amun?“ fragte Myros feindselig zurück und wiegte sich provokativ in den Hüften. „Ich brauche keine fremden Götter, und ein König der Makedonen sollte uns ein Vorbild sein und zu unseren Göttern beten. Er ist makedonischer und nicht griechischer oder gar ägyptischer König.“
Alle stimmten ihm zu und Parmenion machte nun ein sorgenvolles Gesicht. Vielleicht weil er sich Gedanken machte, wie dieses Gerede bei uns ankam und was daraus entstehen konnte, wenn wir Alexander davon berichteten.
„Hört auf“, wies er seine Leute endlich zurecht. „Was der König tut, ist recht getan. Wir sind Makedonen und gehorchen. Lykestes rief im Kronrat ‚Hoch lebe Alexander, Sohn des Philipp’ und daran haben wir uns zu halten.“
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