„Hast du etwas gehört?“
„Ja. Parmenion hat ihn nach Asien kommen lassen und natürlich hat er Antiochios mitgenommen. Philipps alter General hat, wie du weißt, immer viel von deinem Vater gehalten. Mir wurde berichtet, dass er ihn sogar zu seinem Adjutanten gemacht hat.“
Dass ich in Kleinasien auf meinen Vater stoßen könnte, hatte ich nie bedacht. Er hatte mir keine Nachricht zukommen lassen und ich hatte dies auch nicht erwartet. Und Sehnsucht hatte ich nach dem Peiniger meiner Kindheit ganz gewiss nicht. Doch nun musste ich ins Kalkül ziehen, dass wir uns wieder begegneten. Unter Umständen würde dies ein ungemütliches Wiedersehen werden.
Im Morgengrauen ritten wir los. Attalos hatte gute Tiere ausgewählt. Mit Phokis waren wir fünfzehn Mann. Die Krieger, die er bestimmt hatte, waren wettergegerbte Leute aus den Bergen und sprachen einen Dialekt, den ich gut kannte, und ich verstand mich sofort prächtig mit ihnen. Wir ritten auf der neuen Heerstraße nach Sestos. Das Wetter war angenehm. Es war noch nicht zu heiß und ein kühler Wind kam von vorn. Wir übernachteten in Olivenhainen und da sich Attalos’ Befürchtungen als unbegründet herausstellten, waren wir in prächtiger Stimmung. Nach zwei Tagen waren wir alle gute Kameraden. Phokis, der immer zu Scherzen aufgelegt war, bezeichnete die Gebirgskämpfer schon bald als seine Freunde. Attalos jedoch war die ganze Zeit unruhig. Wenn wir manchmal einem Reiter begegneten, machte er schmale Augen. Er nahm seine Aufgabe sehr ernst. Aber niemand schien sich um uns zu kümmern.
Wir waren nur noch einen Tagesritt von Sestos entfernt, als Attalos auf einen Berghang zu seiner Linken wies.
„Schau dir das mal an. Ich beobachte die schon eine ganze Weile.“
Fünf Reiter ritten dort in die gleiche Richtung wie wir. Aber warum benutzten sie nicht die Heerstraße?
„Vielleicht ist es ganz harmlos“, versuchte ich mich selbst zu beruhigen.
„Ach ja? Und warum wählen sie den unbequemeren Weg über die Berghänge? Das glaubst du doch selbst nicht.“
„Wie weit haben wir es noch bis Sestos?“
„Wir könnten heute Abend dort sein.“
„Wenn es das bedeutet, was du annimmst, werden sie bald zuschlagen.“
„Ja. Es kommt jetzt bald eine Schlucht. Eine wunderbare Gelegenheit uns aufzuhalten. Ach, schau einmal. Jetzt sind auch Reiter auf der anderen Seite.“
Ich stieß einen Fluch aus. Auch sie wählten den unbequemeren Weg. Nun glaubte ich, dass dies kein Zufall war.
„Und in der Schlucht vor uns wird ihre Hauptmacht auf uns warten.“
„Richtig. Die hier sollen erst einmal nur aufpassen, dass wir die Straße nicht verlassen.“
„Und was machen wir?“ fragte Phokis, der das Gespräch verfolgt hatte.
„Kann man die Schlucht umgehen?“ fragte ich.
Attalos nickte. „Es wird uns gar nichts anderes übrig bleiben als den Höhenpfad zu wählen. Wir müssen dort den Hang hoch und es mit den Reitern aufnehmen.“
„Dann teilen wir uns in zwei Gruppen. Du reitest mit sechs Reitern links um die Schlucht. Ich versuche es rechts“, schlug ich vor. Ein toller Vorschlag war dies nicht. Aber mir fiel nichts Besseres ein. Doch immerhin hatten wir Agrianen dabei. Wenn wir versuchten über die Anhöhen zu entkommen, hatten sie ein Terrain, auf dem sie ihre Fähigkeiten entfalten konnten. Attalos stimmte zu und ritt mit sechs Männern von der Straße den Berghang zur Linken hoch. Ich versuchte es rechts. Die Pferde kamen bald tüchtig ins Schnaufen. Ich zog den Speer vom Rücken und nahm das Schwert in die linke Hand. Spitames hatte mir beigebracht, wie man ein Pferd auch ohne Zügel dirigieren konnte.
Unsere Verfolger erwarteten uns. Als wir nah genug heran waren, schrien sie uns Schmähungen in bestem Attisch zu. Ich wich dem Stoß meines direkten Kontrahenten aus und gab ihm meine Speerspitze zu fühlen. Es gefiel ihm nicht. Er schrie jämmerlich und fiel vom Pferd. Als ich mich um die anderen Männer kümmern wollte, war niemand mehr auf den Pferden. Unsere Agrianen waren schließlich Elitesoldaten, das Beste was wir Makedonen an Kämpfern haben, und sie hatten ordentliche Arbeit geleistet. Drei unserer Feinde waren tot. Zwei krochen am Boden herum. Ich winkte Phokis zu, sich um sie zu kümmern. Er sprang ab und riss einen der Männer hoch und gab ihm eine Ohrfeige, die nicht von schlechten Eltern war, denn mein schwarzbärtiger Riese konnte eine Eisenstange verbiegen, ohne einen roten Kopf zu bekommen. Er brüllte den Mann an, wer sie geschickt habe. Die Bereitschaft, dies zu verraten, war anfangs nicht sehr groß und er musste mit weiteren Backpfeifen nachhelfen und selbst danach fiel das Ergebnis nicht sehr zufriedenstellend aus. Es waren Griechen, so viel stand fest. Ein Fürst aus Korinth habe sie gemietet. Aber mehr, als dass dieser auf den Allerweltsnamen Diomedes hörte, war weder aus ihm noch aus den anderen herauszubekommen.
„Warum wolltet ihr uns töten?“ herrschte ich die beiden an.
„Wir sollten euch die Befehle für Parmenion abnehmen“, erwiderte der Kleinere von ihnen.
Phokis pfiff durch die Zähne. „Verrat! Dieser Diomedes weiß genau Bescheid, was bei uns abläuft“, rief er verblüfft.
„Es gibt bei uns Leute, die mit dem Zug nach Asien nicht ganz einverstanden sind.“
„Soll ich …?“ Phokis deutete mit dem Finger quer über den Hals.
Ich schüttelte den Kopf. Die Männer waren verwundet. Sie würden uns nicht folgen können, wenn wir ihre Pferde mitnahmen.
„Versucht zur Straße zu kommen. Sicher werden euch eure Leute bald finden“, wies ich die Verletzten an.
Wir ritten weiter querfeldein über die Berghänge. Unsere Agrianen kamen damit gut zurecht und erkannten sofort, wenn das Gelände gefährlich wurde. Ich war stolz darauf diese Leute anführen zu dürfen.
Bald sahen wir einen blauen Streifen am Horizont. Der Wind brachte den Geruch des Meeres heran. Als in der Ferne die Stadt auftauchte, lenkten wir die Pferde wieder auf die Straße zurück. Wir ritten nach Sestos hinein. Eine geschäftige Hafenstadt, in der sich bereits für den Zug nach Asien viele Hilfstruppen gesammelt hatten, darunter der Tross mit Belagerungsgeräten, Katapulten und ähnlichen Waffen zum Brechen von Mauern. Jedenfalls waren viele Makedonen in der Stadt, und ich konnte mir nicht vorstellen, dass die Griechen, die uns aufgelauert hatten, nun hier eine Gefahr für uns darstellten. Aber ich machte mir Sorgen, wie es Attalos ergangen war.
Wir ritten zum Hafen und ich suchte den Kapitän der Triere auf, die uns nach Abydos bringen sollte. Der Kapitän, ein graubärtiger Seebär, hatte mich bereits erwartet. Als er an der Plakette auf meinem Lederpanzer erkannte, dass ich zu den Gefährten des Königs gehörte, versicherte er mir wortreich, dass ich über ihn und sein Schiff verfügen könne. Er sagte zu, gleich am nächsten Morgen in See zu stechen.
Ich hielt es nicht auf dem Schiff aus und ritt mit Phokis zur Agora und wir beobachteten misstrauisch die Marktstände, an denen großes Gedränge herrschte. Aber uns fiel nichts Verdächtiges auf, obwohl uns am Anfang alles verdächtig erschien. Vor einer Taverne saßen wir ab und ließen uns zu einem Becher Wein nieder und behielten den Marktplatz im Auge. Es dämmerte bereits. Schließlich kamen wieder Reiter auf die Agora. Es war Attalos mit zwei Agrianen und wir winkten und liefen ihnen entgegen.
„Wo sind die anderen?“
Attalos war sehr bleich. Nur mühsam hielt er sich auf dem Pferd. Er blutete aus einer Schulterwunde.
„Tot. Die Hauptgruppe aus der Schlucht hatte uns eingeholt.“
Ich erzählte ihm, was uns widerfahren war und was wir aus den Griechen herausgequetscht hatten.
„Ein Diomedes aus Korinth? Du glaubst das doch nicht?“
„Nein. Warum soll jemand aus Korinth so versessen auf den Befehl Alexanders sein? Außerdem, woher wusste dieser angebliche Fürst davon? Und zum dritten, was nützt es ihm?“
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