Ich preschte über die Agora und nahm die Straße aus der Stadt heraus. Der Flüchtende tanzte als dunkler Punkt in der Ferne. Mein Pferd war nun nicht gerade von edler Rasse, aber es machte sich nach gutem Zureden ganz ordentlich und ich kam dem tanzenden Punkt immer näher. Hinter mir hörte ich Schreie und ich drehte mich um. Zwei Reiter versuchten zu mir aufzuschließen. Es waren Perdikkas und Attalos, auch Gefährten Alexanders, wie ich bald erfuhr. Sie beschimpften mich kräftig, nahmen an, dass ich der Attentäter sei. Als sie nahe herangekommen waren, rief ich ihnen ihren Irrtum zu und wies immer wieder auf den tanzenden Punkt vor uns. Es dauerte eine Weile, ehe sie akzeptierten, dass ich nicht der Meuchelmörder war. Ein großer Reiter war der vor uns gerade nicht und wir kamen ihm langsam näher. Endlich waren wir aus der Stadt heraus und konnten den Pferden unsere Fersen ordentlich in die Flanken schlagen. Vor den Ausläufern des Gebirges, bei der Weggabelung nach Pella, holten wir ihn ein. Genauer gesagt, ich holte ihn ein. Er drehte sich die ganze Zeit gehetzt nach mir um. Es war ein gut aussehender Jüngling. Aus verständlichen Gründen machte er kein fröhliches Gesicht. Auf meine Rufe aufzugeben, reagierte er nicht. Also trieb ich mein Pferd näher an ihn heran. Er schlug mit der Faust nach mir, doch erwischte nur jede Menge Luft. Ich hechtete mich auf ihn und riss ihn vom Pferd und wir rollten über den Boden. Nun waren auch die beiden anderen Reiter heran. Blitzschnell sprangen sie von den Pferden und zogen den Mörder hoch und ….. töteten ihn. Sie fragten nicht, wer er war oder warum er es getan hatte, sondern stießen ihm sofort die Messer in Brust und Kehle.
„He, was soll denn das?“ brüllte ich die beiden an. „Nun erfahrt ihr nie, wer ihn angestiftet hat.“
„Wer bist du denn?“ fragte der Kleinere von ihnen. Später erfuhr ich, dass er Attalos hieß und sein Vater ein Vetter des Königs war. Ich sagte es ihnen und natürlich kannten auch sie die Geschichte vom Bärentöter. Sie akzeptierten mich nun.
„Der Kerl musste sterben!“ verteidigte sich Perdikkas.
Es blieb eine undurchsichtige Geschichte. Von Attalos erfuhr ich, dass der Attentäter Philipp ermordet hatte, weil dieser ihm keine Genugtuung für den Schimpf gegeben hatte, den ihm der Onkel von Philipps zweiter Frau zufügte. Eine unappetitliche Angelegenheit. Der Onkel der Kleopatra hatte den Pausanias, so der Name des Mörders, betrunken gemacht und von seinen Sklaven vergewaltigen lassen. Aber es gab auch viele andere Gerüchte, zum Beispiel, dass Olympias, Alexanders Mutter, hinter dem Anschlag steckte. Offiziell waren natürlich die Perser daran schuld. Zu der Zeit waren sie nämlich an allem schuld, selbst am Wetter. Dass ich an der Ergreifung des Attentäters beteiligt gewesen war, sollte sich für mich erfreulich auswirken.
Noch am Abend des gleichen Tages wurde ich zu Alexander gerufen. Natürlich waren Hephaistion dabei und die anderen Gefährten. Seleukos, den ich bereits kennen gelernt hatte, Ptolemaios und Peukestas, die meine engsten Freunde wurden, Krateros und Lysimachos, von denen ich viel lernte, und natürlich der Dunkle, Kleitos. Ach ja, Perdikkas und Eumenes waren auch dabei, die nie meine Freunde wurden. Sie alle waren – bis auf Kleitos – jung und sahen gut aus und waren Alexander treu ergeben. Es war eine verräucherte dunkle Halle, kein Thronsaal, in der sie mich empfingen, und eigentlich nur dadurch interessant, weil dort ein Altar zu Ehren des Zeus–Amun stand. Selbst ich wusste bereits, dass Alexander ein enges Verhältnis zu den Göttern pflegte.
„Unser Bärentöter – ein bemerkenswerter Kerl!“ sagte Alexander zu Hephaistion und betrachtete mich, als wäre ich ein Pferd, das ihn zum Sieg tragen sollte. „Erst rettet er dein Leben und nun fängt er auch noch den Mörder meines Vaters.“
„Amun hat ihn uns geschickt!“ sagte eine Frauenstimme hinter uns.
Olympias, die Mutter Alexanders, war immer noch eine schöne Frau und, im Gegensatz zu meiner Stiefmutter, konnte sie selbst einen jungen Mann wie mich beeindrucken. Sie hatte langes schwarzes Haar, große dunkle Augen und ein geheimnisvolles Lächeln, als wolle sie andeuten, dass sie mit keinem anderen Menschen vergleichbar sei. Es gab Gerüchte, dass sie sich besonders bei den Dionysosfeiern wie eine Besessene aufführte. Kein Wunder, dass Philipp sie nicht mehr um sich hatte haben wollen. Es bewahrheitete sich mit ihr wieder einmal das Sprichwort, dass die Frauen aus Epiros Männern anderer Herkunft Unglück bringen. Was ich gern bestätige, nach meinen Erfahrungen mit Eurydike.
Als ich sie mir genauer ansah, glaubte ich meinen Augen nicht zu trauen. Die Königin der Makedonen lief mit einer lebenden Schlange über der Schulter durch den Palast. Für die Gefährten Alexanders schien dieser Anblick nichts Ungewöhnliches zu sein. Ohne Aufheben sahen sie darüber hinweg. Olympias legte sich auf die Liege neben ihren Sohn und er tat auch so, als würde er die Schlange nicht sehen.
„Ich dachte, du wärst Apollons Bote. Hat dich vielleicht doch Amun geschickt?“ fragte mich Alexander.
„Von Amun weiß ich nichts. Und bei Apollon bin ich mir nicht immer sicher, ob er sich eingemischt hat oder nicht.“
„Er ist ein Eingeweihter!“ warf die Königin bestimmt ein. „Ich habe es an seinen Augen erkannt. Sie sind von der gleichen Farbe wie die Hügel in Epiros.“
„Ich werde ihn zu meinem Leibgardisten ausbilden lassen“, sagte Alexander und winkte, dass ich mich neben ihn legen sollte. Ich achtete darauf, dass zwischen der Schlange und mir ein gehöriger Abstand blieb.
„Er wird dir gute Dienste leisten!“ bekräftigte Hephaistion und berichtete wieder, wie ich den Kyros angegangen war.
„Ja. Ich habe gleich gemerkt, dass er ein ganz Besonderer ist!“ stimmte Alexander zu. Sie sprachen über mich, als wäre ich gar nicht im Raum.
„Aber ob er als Leibgardist etwas taugen wird? Er ist ein Krüppel!“ gab Eumenes zu bedenken.
„Mein Vater hat derartige Gebrechen geadelt“, sagte Alexander und lächelte mir zu.
Alexander war ein Menschenfänger. Er konnte, wenn er wollte, jeden bezaubern, jeden für sich begeistern. Er konnte einem den Eindruck vermitteln, dass er einen gesucht hatte und nun mit ihm zu den Sternen reiten würde.
„Er wird zukünftig neben meiner Kammer schlafen. Ptolemaios, kümmere dich um ihn.“
„Ich habe ihn bei den Gefährten im Gemeinschaftssaal untergebracht“, mischte sich Seleukos erstaunt ein.
„Nein. Wenn er soweit ist, mache ich ihn zum Leibgardisten.“
„Er ist kein Krieger“, widersprach Seleukos.
„Dafür werdet ihr sorgen. Bringt ihm bei, was ihm an Fertigkeiten fehlt, damit er mir nicht in der erstbesten Schlacht weggestochen wird.“ Alexander hatte die Hand auf meine Schulter gelegt, als wolle er sagen, dass er zu mir stünde.
Ich fühlte mich geehrt und Ptolemaios schlug ein detailliertes Ausbildungsprogramm vor, das mich zum Krieger machen würde. Alexander nickte zustimmend und rief ihm zu, dass er sich von nun an als Leonnatos’ Pate ansehen solle. Ptolemaios nickte vergnügt.
„Mache ich gern. Vielleicht sorgt Apoll dann dafür, dass ich mehr Glück im Spiel habe.“
Die Unterhaltung plätscherte noch lange dahin. Es wurde nur wenig und verdünnter Wein getrunken. Es ging in den Gesprächen um den Willen der Götter. Ich merkte, wie unwissend ich war. Allzu traurig schienen sie über den Tod Philipps nicht zu sein. Als Olympias sich verabschiedete, nickte Alexander auch Ptolemaios zu. „Kümmere dich um ihn!“
Ich bedankte mich bei Alexander für seine Protektion und er nickte freundlich.
„Tue immer, was Apoll von dir verlangt.“
Ptolemaios zeigte mir mein Zimmer, das mit kostbaren Möbeln eingerichtet war. Zwei Truhen, ein Tisch, zwei Stühle mit goldverzierten Füßen. Die Liege war üppig gepolstert.
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