„Ich habe dich erwartet. Du bist also dieser Bärentöter, der Hephaistion das Leben gerettet hat.“
Ich nickte und nahm eine stramme Haltung ein, denn immerhin war dieser Mann einer der Gefährten und für mich so etwas wie ein überirdisches Wesen. Er war breitschultrig, hatte eine vorspringende Nase und ein energisches Kinn. Nach seinen kräftigen Armen zu urteilen, mochte er mit dem Schwert gut austeilen können.
„Ich heiße Seleukos und bin jetzt erst einmal dein Vorgesetzter. Du hältst dich in der nächsten Zeit an mich. Alexander wird entscheiden, wie und wo du Dienst tun wirst. Wenn du Ärger hast, dann kommst du zu mir. Wenn dich jemand verscheißert, meldest du dich. Wo ich bin, wirst auch du sein. Aber das gilt erst ab morgen. Wegen mir kannst du jetzt ins Theater gehen, wo der König eine Prozession zu Ehren der Götter anführt. Hier in der Kaserne wirst du heute niemanden finden.“
Seleukos sah mich abschätzend an. Er war in dem gleichen Alter wie Alexander und ahmte ihn offensichtlich nach. Jedenfalls hielt er den Kopf auch etwas schief und sprach so, wie ich Alexander hatte sprechen hören.
„Du hast einen bösen Fuß, hat mir Hephaistion gesagt.“
„Ja. Aber ich bin ein guter Reiter. Nur mein Pferd taugt nicht allzu viel.“
Seleukos seufzte. „Gut. Da du zur Schwadron Alexanders gehörst, wird dir ohnehin ein Pferd gestellt. Kannst du mit Speer und Schwert umgehen?“
„Mein Freund, der Wolftöter, meinte, dass ich nicht schlecht bin.“
„Wolftöter?“
„Ja. Ein Jäger.“
„Hm. Da haben wir uns mit dir ja etwas ganz tolles eingefangen.“
Er lehnte sich zurück und betrachtete mich, als wäre ich eine gesprungene Vase, die man ihm andrehen wollte. So ganz heil war ich ja auch nicht.
„Aber reiten kannst du?“ fragte er skeptisch und kniff die Augen zusammen. Er war zwar untersetzt und hatte breite Schultern, doch konnte man ihn durchaus als gut aussehend bezeichnen, wenn man den athletischen Typ mochte.
„Ich habe noch kein Pferd gesehen, das ich nicht reiten kann.“ Das war ein wenig geprahlt, denn so viele Pferde hatte ich bisher noch nicht gesehen. Und dass mein Vater die besten Pferde hatte, würde ich auch nicht behaupten. Aber den Seleukos schien meine Prahlerei nicht zu stören.
„Du musst auch ein guter Reiter sein, sonst bekämst du Schwierigkeiten. Es ist unsere Aufgabe, Alexander zu schützen. Geh in die Kleiderkammer und lass dich ausstatten. So wie du aussiehst, lässt man dich nicht ins Theater. Hast du Diener dabei?“
„Ja. Phokis, einen Molosser.“
„Ist der auch verrückt? Ich traue keinem Molosser über den Weg.“
„Nein. Er ist in Ordnung“, beeilte ich mich ihm zu versichern. „Er ist mein Freund.“
„Was denn nun, dein Freund oder dein Diener?“
„Beides.“
„Na schön. Wenn du eingekleidet bist, gehst du mit ihm in die Dienerlogis, neben den Schlafräumen der Gefährten. Er wird dort ein Lager bekommen. Und nun ab mit dir. Wir sehen uns morgen. Wir werden aus dir schon einen tüchtigen Krieger machen.“
Er widmete sich wieder dem Fliegenfang. Da ich keine Anstalten zu gehen machte, sah er unwillig auf.
„Was ist denn noch?“
„Wo ist die Kleiderkammer?“
„Stimmt. Kannst du ja nicht wissen.“
Er erklärte es mir und ich humpelte hinaus.
Ein älterer dürrer übelgelaunter Soldat gab mir einen blauen Rock, einen schmucklosen ledernen Brustpanzer sowie Helm, Speer und Schwert. Er zeigte mir den Schlafsaal, der zwar prächtig mit Marmor verkleidet war, aber nur sehr einfache Pritschen aufwies, die mich aber nicht schreckten. Bisher hatte ich schlechter geschlafen. Der Saal der Diener wies keinen Marmor auf, aber Phokis’ Ansprüche waren auch nicht höher als meine. Ich zog den blauen Rock an und gab Phokis meine Kleider, so dass auch er ordentlich gekleidet war und wir nicht auffallen würden. Phokis konnte sein Glück kaum fassen.
„Kein Wunder, dass Antiochios stinksauer ist. Wir haben die Glücksgöttin auf unserer Seite!“ wiederholte er mehrmals.
Ich konnte dem nur zustimmen. Es war eine gewaltige Verbesserung gegenüber dem, was wir bisher gewohnt waren. Ich machte mich allein auf den Weg zum Theater. Phokis wollte sich derweil die Stadt ansehen.
„Mach aber keine Dummheiten!“
„Nein, mein Gebieter!“ sagte mein Riese und grinste mutwillig. „Ich will nur versuchen, beim Würfeln ein paar Drachmen zu gewinnen.“
„Mach mir keinen Ärger!“ warnte ich noch einmal.
„Oh, ein Molosser weiß, dass er in Makedonien keinen Ärger bekommen darf.“ Er machte eine ironisch gemeinte Verbeugung und zog ab.
Das Theater zu finden war nicht schwer. Aigai ist nicht so groß, dass ich lange suchen musste. Ich brauchte nur dem Lärm nachzugehen. Die Wache am Eingang ließ mich nach einem Blick auf meinen blauen Rock anstandslos passieren. Das Theater war bis auf den letzten Platz besetzt und ich konnte mich nicht zu den Gefährten durchdrängeln, die unschwer in der vorderen Reihe an ihren blauen Röcken auszumachen waren. Ich begnügte mich mit einem Stehplatz gleich am Ausgang. Man hatte gerade die Statuen der Unsterblichen hereingetragen, unter ihnen eine Statue mit dem Gesicht des Königs, was überraschtes Gemurmel auslöste. Nun kamen Alexander und Hephaistion herein, kaum fünf Schritte von mir entfernt. Hephaistion erkannte mich und zwinkerte mir zu. Die beiden sahen wie Götterjünglinge aus. Hinter ihnen kam ein älterer Mann, der wie ich sein Bein nachzog und mit einem goldenen Kranz gekrönt war. Philipp, der König. Nun wusste ich, warum meine Behinderung auf die Gefährten Alexanders keinen großen Eindruck gemacht hatte. Philipp hob grüßend die Hand und die Menge jubelte. Langsam humpelte er auf die Mitte des Theaters zu. Sein Gesicht, das durch eine Narbe entstellt war – es fehlte ihm auch ein Auge – zeigte Freude und Genugtuung. Es war ein großer Moment für ihn. Er wollte diese Feier zu Ehren seiner Tochter zum Anlass nehmen, den Feldzug nach Persien zu verkünden. Als Hegemon und Anführer aller Griechen wollte er die Zerstörung der Akropolis rächen. Dass dies ein paar Menschenleben her war, schien niemand zu stören. Das Gesicht des Königs glühte, was auch an unmäßigem Weingenuss liegen mochte. Es war allgemein bekannt, dass der König ein großer Anhänger des Dionysos war. Er winkte leutselig und drehte sich nach allen Seiten, so den Jubel dankend entgegennehmend.
Nun passierte etwas, was erst Verwunderung, dann Entsetzen und schließlich erschrockene Schreie auslöste. Ein Mann in einem dunklen Umhang mit verhülltem Gesicht trat mit schnellen Schritten auf den König zu und umarmte ihn und plötzlich sank Philipp zusammen und der Mann lief die Treppen zum Ausgang hoch. Der König lag in der Mitte des Theaters am Boden und sein Übergewand färbte sich rot. Der Mann in dem dunklen Mantel stürmte nur wenige Schritte von mir entfernt dem Ausgang zu. Schon war er an den Wachen vorbei. Ich eilte ihm nach. Da ich nicht der schnellste bin, konnte ich nur noch sehen, dass er zur Agora lief. Und eigentlich hätte ich jetzt umkehren können, denn hinterher zu laufen, brauchte ich gar nicht erst zu versuchen. War es Apollon oder mein Jagdinstinkt, der mich auf die Straße humpeln ließ? Der Flüchtende hatte sich noch vor der Agora auf ein Pferd geschwungen. Auf der anderen Straßenseite, gegenüber dem Theater, vor dem Tempel der Demeter, kam ein Reiter heran und wollte dort wohl für eine gute Ernte beten. Er war gerade dabei, sein Pferd an der Tempelmauer festzubinden, da war ich schon bei ihm. Ehe er protestieren konnte, war ich auf seinem Pferd und riss es herum und jagte zur Agora hinüber. Der Besitzer des Pferdes überwand nun seine Überraschung und schrie mir ein paar kräftige Flüche hinterher, die ihm die Demeter sicher nicht so schnell verziehen hat.
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