„Hier stimmt was nicht!“ rief ich Attalos zu und lockerte den Speer in dem Lederköcher auf meinem Rücken.
„Hier haben welche Sehnsucht nach uns!“ stimmte Phokis zu und sein fleischiges bärtiges Gesicht strahlte, als hätte man ihm eine Nacht mit einer Frau versprochen.
Hinter dem kleinen Marktplatz verengte sich die Straße. Ich war nicht überrascht, dass sie versperrt war. Hinter der Barrikade standen Söldner. Nein, es waren keine Perser. Es waren Griechen und sie trugen die gleiche Rüstung und hatten die gleichen Waffen wie wir.
„Dreh dich mal um!“ rief Attalos.
Nun sah ich, dass auch hinter uns Soldaten herankamen. Wir saßen in der Falle.
„Die Götter sind mit uns!“ rief mein Phokis. Keine Ahnung, woher er dies wusste. Aber es gab unseren Männern Mut. Wir preschten auf die Sperre zu, die aus einigen Karren bestand. Dahinter hielten uns Hopliten ihre Speere entgegen. Große Sorgen machten wir uns deswegen nicht. Schließlich hatten wir in Aigai und Pella oft genug geübt, wie man solche Hindernisse überwand. Ich drückte meinem Pferd die Fersen in den Leib und mit einem erstaunten Wiehern flog es über die Karren hinweg. Dabei streckte ich einen unserer Gegner mit dem Speer nieder. Bis auf einen Reiter waren wir alle durchgekommen. Ich sah, wie ein Agriane vom Pferd gezerrt wurde. Wir konnten keine Rücksicht darauf nehmen und jagten weiter. Schon waren wir aus der Stadt heraus. Es folgte uns niemand, was auch merkwürdig war.
„Was sind denn das für Stümper?“ staunte Attalos.
„Warum Stümper? Wir sind nun einmal gewaltige Krieger!“ rief Phokis lachend. Er war nur ein Diener, aber meine Agrianen hatten sich mittlerweile daran gewöhnt, dass er sich selbst gegenüber den Gefährten des Königs einen recht respektlosen Ton herausnahm. Meinem schwarzbärtigen Riesen konnte niemand so richtig böse sein.
„Jeder vernünftige Anführer hätte ein paar Reiter bereit gehalten“, sagte Attalos.
„Sie waren sich zu sicher. Wahrscheinlich glaubten sie, dass wir aufgeben würden“, mutmaßte ich.
„Die Welt ist voller Dummköpfe“, rief Phokis. „Gut für die, die ein bisschen Grips im Kopf haben.“
Mein Molosser konnte manchmal ein richtiger Philosoph sein.
Am Nachmittag des nächsten Tages erreichen wir Parmenions Lager in der Nähe von Ephesos. Das Lager war sorgfältig befestigt. Parmenion war ein guter Feldherr, was er bereits vielfach unter Philipp bewiesen hatte. Er war ein Stratege, der nur ungern ein Risiko einging und immer versuchte, seine Verluste in Grenzen zu halten. Die Männer liebten ihn dafür. Er was das Idol der Philippischen.
Man ließ uns auch gleich vor und ich marschierte mit Attalos in sein Zelt. Parmenion stand mit einigen Offizieren um einen Tisch und sie hatten jede Menge Papyrusrollen vor sich liegen, die merkwürdige Zeichnungen enthielten. Attalos klärte mich später auf, dass sie die Küste von Ionien zeigten. Auch mein Vater war unter den Offizieren. Seine Miene wechselte von Erstaunen zu Fassungslosigkeit. Natürlich erkannte er an der Scheibe mit dem Gorgonenhaupt auf meinem Lederpanzer, dass ich zu Alexanders engster Gefolgschaft gehörte und damit einen Rang hatte, der seinen übertraf und dies nur, weil ich einmal im Wald zur rechten Zeit zur rechten Stelle gewesen war. Das eine Auge, das er noch hatte, erzählte genug davon, was er mir am liebsten antun würde. Mein Herz schlug bis zum Hals. Ich hoffte, dass mein Gesicht dies nicht zeigte.
„Eine Botschaft von unserem König Alexander!“ sagte ich und übergab Parmenion die Rolle, und er brach das Siegel und rollte den Papyros auf und las und nickte.
„Er kommt also.“
„Es ist soweit!“ bestätigte Attalos.
„Schwierigkeiten gehabt?“ fragte Parmenion und wies auf Attalos’ verbundenen Arm. Der General sah meinem Vater sehr ähnlich. Er war groß, wesentlich größer als die meisten Makedonen, fast ein Riese, und hatte ein hageres längliches Gesicht mit einem kräftigen Gebiss. Sein Bart war an den Seiten weiß gefleckt.
„Wir haben sechs Mann verloren.“
„Euch wurde aufgelauert?“
„Ja. Man kannte unsere Route und die Wichtigkeit dieses Papyrus!“sagte ich und wies auf die Rolle in seiner Hand.
„Woher wussten die …?“
„Ja. Woher?“ fragte Attalos grimmig
„Verräter?“
„Sicher. Was sonst.“
„Es waren Griechen, die uns überfielen. Söldner im persischen Dienst. Aber jemand muss ihnen verraten haben, dass der Papyrus den Tag der Überfahrt nach Asien enthält. In der Heeresversammlung nannte Alexander den Tag nicht. Deswegen war dieser Papyrus wichtig für die Perser“, klärte ich Parmenion auf.
„Dich kenne ich noch nicht.“
Mein Vater beugte sich zu Parmenion und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
„Ach so. Das also ist der Bärentöter!“ sagte er und musterte mich interessiert.
„Du bist schnell aufgestiegen, Leonnatos“, sagte er mit einem Lächeln und deutete auf die Plakette auf meiner Brust. Er musterte mich ausgiebig und sein Blick ging hinunter zu meinem Fuß.
„Dem König macht das nichts aus!“ sagte ich feindselig.
„Ja? Auch Philipp war nicht gut zu Fuß!“ stimmte Parmenion zu. „Wenn er noch leben würde, wäre mir vor dem Feldzug nicht bange.“ Er seufzte.
Ich fand die Bemerkung sehr unpassend. Sie sagte nichts anderes, als dass Philipp der bessere König war.
„Alexander wird bald hier sein“, sagte Attalos eisig.
„Ja. Alexander!“ sagte Parmenion dumpf und las noch einmal den Papyrus und rollte ihn zusammen.
„Ihr könnt morgen zu ihm zurück reiten. Ihr werdet ihm die Nachricht überbringen, wo wir uns mit ihm vereinigen. Ich gebe euch ein paar von meinen besten Reitern mit. Kommt heute Abend zu mir zum Nachtmahl. Anthes, du kümmerst dich derweil, dass dein Sohn und seine Männer eine entsprechende Unterkunft bekommen und sich ausruhen können. Du wirst mit Leonnatos sicher auch genug zu erzählen haben.“
Er lächelte und nickte meinem Vater zu und der presste die Lippen zusammen und winkte mit dem Kopf und wir folgten ihm aus dem Zelt. Als er draußen Phokis sah, wurde sein Gesicht noch finsterer. Große Lust mich mit ihm zu unterhalten hatte ich genau so wenig wie er. Ich merkte, dass sich auch Attalos ungemütlich fühlte.
Vater führte uns zu einem Zelt, in dem einige Liegen standen. Er brüllte nach einem Aornos und dieser kam sofort angewieselt. Er befahl dem Sklaven Wasser und etwas zu essen zu bringen.
„Ihr seid im Königspalast sicher besseres gewöhnt“, sagte er höhnisch. „Aber wir sind Soldaten. Mehr Komfort können wir euch nicht bieten. Wir sehen uns heute Abend beim Festmahl.“
Er nickte Attalos zu und ging hinaus.
„Ist der Einäugige wirklich dein Vater?“ fragte Attalos verblüfft.
„Ja. Daran kann ich leider nichts ändern.“
„Was ist zwischen euch?“
„Hass.“
„Zwischen Vater und Sohn?“
„Ja. Entweder bringt er mich um oder ich ihn.“
„Ich werde heute Nacht wach bleiben!“ warf Phokis ein.
„Ihr aus den Bergen seid Barbaren“, sagte Attalos kopfschüttelnd.
„Ja. Wir sind etwas ungeschliffen“, erwiderte ich und lachte verlegen.
„Barbaren seid ihr!“ wiederholte Attalos.
Dann kamen die Sklaven und lenkten uns von diesem Thema ab. Sie brachten Wannen mit dampfendem Wasser und wir konnten uns nach Tagen wieder einmal den Dreck abwaschen. Danach salbten uns die Sklaven und kneteten uns durch und schabten schließlich das Öl von der Haut. Nach einem kräftigenden tiefen Schlaf gingen wir gut ausgeruht zum Gastmahl des Parmenion. Die Sklaven hatten unsere Lederpanzer gewienert und uns neue Röcke bereit gelegt, so dass wir uns wie neugeboren fühlten. Phokis musste natürlich zurück bleiben. Was diesen aber nicht zu stören schien, da er sich zum Würfelspiel verabredet hatte.
Читать дальше