»Du meinst, es war nicht so geplant, oder... aber was dann?«
»Die Verletzungen... wenn sie das Mädel nur hätten vergewaltigen wollen, nur in Anführungsstrichen, dann hätten sie die Kleine nicht so heftig zu verprügeln brauchen.
Dazu der Spruch an der Wand, mit dem Blut ihres Opfers geschrieben... das ist wie eine Antwort.«
»Du meinst eine Art Bestrafung für das, was sie im Gast-raum gesagt hat?«
»Wäre doch eine Möglichkeit.« Arnold rieb sich nachdenklich das Kinn »Du hast recht... möglich wäre es. Gehen wir mal davon aus, dass dieser Vers für die Kerle irgendeine Bedeutung hat... dann wollten sie sicherlich wissen, was Manuela darüber weiß.«
Ich nickte zustimmend.
»Die haben sie gefoltert und anschließend vergewaltigt... stellt sich nur die Frage, haben sie erfahren was sie wissen wollten und wenn ja, was?!«
Als wir in den Gang abbogen, der zur Intensivstation führte, waren wir überrascht, so viele Leute hier zu sehen.
Außer Manuelas Eltern waren auch noch ein paar Jugendliche, vermutlich aus ihrem Bekanntenkreis, hier und diskutierten heftig, wenn auch leise.
Gary Rößle, Fräulein Böllers Freund war ebenfalls anwesend. Er saß mit gesenktem Kopf auf einer der Bänke, die links und rechts den Gang säumten. Arnold ging auf die Böllers zu. Manuelas Mutter, kam Arnold entgegen und fiel ihm weinend in die Arme.
»Arnold, wer tut so etwas, sie hat doch niemanden was getan...warum?«
Arnold schluckte.
Also war er doch noch nicht so abgestumpft, wie ich nach seiner Ansprache von vorhin befürchtet hatte.
Es ging im wirklich nahe. Seltsam, aber ich war darüber irgendwie erleichtert. Manuelas Vater gab Arnold die Hand.
»Arnold, finde diese Schweine, ich flehe dich an, sonst muss ich etwas unternehmen und du weißt, ich bringe sie um, wenn ich sie erwische!«
Michael Böller war zwischen Schmerz und ohnmächtiger Wut hin und her gerissen.
Langsam jedoch begannen Wut und Hass die Oberhand zu gewinnen. Arnold nickte wortlos und wandte sich dann zu mir. »Der ist Imstande und bringt jeden um, den er für einen Täter hält. Ich hoffe, wir müssen ihn nicht wegsperren«, murmelte er den letzten Satz.
»Ich muss nochmal mit ihm reden, später... auch mit seiner Frau. So was können wir jetzt gar nicht brauchen«, fügte er hinzu, als wir den Gang weiter gingen.
Nachdem wir die Pforte der Intensivstation passiert hatten, standen wir wenige Augenblicke später am Überwachungsfenster von Fräulein Böllers Zimmer.
»Na Klaus, alles okay?«, fragte ich den Beamten vor der Tür. »Alles bestens Gerald«, gab dieser lächelnd zurück.
Wir gingen hinein.
Da lag Manuela Böller.
Arnold hatte mir ein Bild der jungen Frau gezeigt.
Im Moment war jedoch wenig von dem hübschen Mädchen zu erkennen, dass jene Aufnahme zeigte.
Eine Unzahl von Schläuchen ragten wie Tentakel unter Verbänden hervor, um in monoton brummenden Maschinen wieder zu verschwinden. Infusionen tropften in beide Arme.
Die freien Partien ihres Gesichtes waren mit Schürfwunden übersät. Die wenigen, nicht verbundenen Stellen ihres geschundenen Körpers waren mit orangegelben Flecken bedeckt; die Spuren des Desinfektionsmittels.
Lediglich der EKG- Monitor, sowie das auf und ab der Atmungsunterstützenden Maschine gab die Gewissheit, dass sie noch am Leben war.
Ich sah Arnold an und bemerkte seinen Kampf mit den Tränen. Auch mir steckte bei diesem Anblick ein Kloß im Hals, obwohl ich sie nicht kannte.
Der Beamte mit Notizblock in der Hand erhob sich vom Stuhl neben dem Bett und trat auf uns zu. Als wir leise die Zimmertür geöffnet hatten, war er vor Schreck heftig zusammengezuckt. Anscheinend hatte er sich mit seinen Gedanken meilenweit von diesem Ort entfernt gehabt.
»Hallo Herr Oberinspektor, grüß’ dich Preller.«
»Hat sie irgendwas gesagt?«, wollte Arnold wissen.
»Ja, aber meist nur wirres Zeug. Sie hat Fieber, aber die Schwester meinte, das wäre ganz normal.«
»Gut, haben sie es trotzdem mitgeschrieben?«
»Das Meiste. Manches konnte ich nicht verstehen.« Der Beamte, der Eduard hieß gab Arnold den Notizblock, der halblaut darin zu lesen begann:
»Lasst mich, ich kenne ihn nicht, bitte, kenne keinen Alfred, nicht mehr, keinen Alpha, tut so weh!..« Arnold sah mich an. »Alfred oder Alpha also«, zuckte ich mit den Augenbrauen. »Sie hat noch den Namen ihres Freundes Gary gerufen. Ist glaube ich, ein Kollege«, fügte Eduard an. »Außerdem schrie sie einmal Jürgen und warum, aber wen sie damit gemeint haben könnte...« Er zuckte unwissend mit den Schultern, während er uns einen Plastikbeutel entgegenhielt. »Was ist das?«, wollte ich wissen, als ich die Tüte entgegen nahm. »Hat euch der Arzt nichts gesagt? Der Zettel steckte fein säuberlich zusammengerollt.. wie soll ich sagen... tief zwischen ihren Beinen.« Er deutete auf Manuela Böller. »Der Arzt hat ihn mir gegeben, falls es für uns wichtig sei.« »Wo steckte er?« fragte ich ungläubig. »Na, wo meinst du wohl könnte das gewesen sein!?« Er sah mich ungläubig mit einem Hauch von zweideutigem Lächeln an. Ich hätte einfach nicht laut denken sollen, aber jetzt war es zu spät. Ich zog es vor, ihn einfach zu ignorieren und betrachtete mit Arnold das Papier. Es war blutverschmiert, aber trotzdem konnte man eine Schrift erkennen. Über die anderen Flecken, deren Spuren unverkennbar waren, wollte ich mir lieber keine Gedanken machen. Insgeheim war ich froh, das Ganze eingeschweißt in einer Plastikfolie zu wissen. »Kannst du erkennen, was da steht?«, murmelte Arnold, auf das Papier konzentriert. Ich kniff meine Augen zusammen und versuchte etwas zu entziffern. »Nein... es ist eine Schrift, aber sonst« »Macht nichts, wir geben es ins Labor. Vielleicht kriegen die was raus«, sagte Arnold und steckte die Tüte ein. »Wie war das mit diesem Namen?« wandte ich mich an Eddie. »Welcher Name?« »Na den die kleine Böller gesagt haben soll.« »Ja, wie ich bereits gesagt habe, Jürgen , aber ich kenne keinen, auch ihre Eltern oder Freunde nicht«, fügte er hinzu. »Soll das etwa heißen, dass sie diesen Namen an die Leute da draußen weitergegeben haben?« Arnolds Ton war ziemlich scharf geworden. »Nun, ich dachte...« »So, sie dachten, was für eine Überraschung. Das kann aber nicht all' zu viel gewesen sein, was sie da gedacht haben. Vielleicht sollten sie etwas langsamer beginnen und nicht wie ein Profi ins Denken einsteigen!« Eddie ’s Gesicht viel regelrecht runter. Seine Mundwinkel zuckten nervös, ein Zeichen dafür, dass auch er gleich explodieren würde. Arnold musste das bemerkt haben, den er fuhr in leiserem Ton fort: »Passen sie mal auf, der Vater des Mädchens ist emotional weit über hundert achtzig, ihre Freunde vermutlich auch. Die warten doch nur darauf einen zu erwischen, der es gewesen sein könnte« »Und dann gute Nacht. In der Haut dieses armen Teufels wollte ich dann nicht stecken.«, fügte ich an. »Eben«, nickte Arnold. »Jeder Jürgen, der irgend wann etwas mit der Böller zu tun hatte ist jetzt, dank ihres Denkversuches, in potentieller Gefahr.« »Verdammt, daran hab’ ich nicht gedacht, ehrlich!« Anscheinend war Eddie ein Licht aufgegangen. »Okay, passiert ist passiert. Hoffen wir, dass die Sache glimpflich ausgeht. Auf jeden Fall überlegen sie das Nächste mal etwas intensiver, bevor sie Erklärungen abgeben.« Wir verließen das Zimmer und gingen zurück zum Fahrstuhl. Wir wollten noch mit Herrn Böller reden, aber die ganze Meute war plötzlich verschwunden. Arnold und ich sahen uns an und jeder von uns dachte in diesem Moment wohl dasselbe.
Guten Morgen, meine Damen und Herren, es ist zehn Uhr dreißig und wir sind hier mit den Kurznachrichten aus der Region...letzte Nacht geschah... dröhnte es aus dem TV- Gerät in der Ecke eines Wohnzimmers in Selbach, zehn Kilometer von Wallenbach entfernt. Der Raum war nicht klein, dafür aber karg möbliert, was dem Ton des Gerätes einen leichten Hall verpasste. Außer einem kleinen Sofa, einem Tisch und einer Regalwand mit Büchern waren keine anderen Einrichtungsgegenstände zu finden. Die Wände waren schlichter weißer Zierputz. Ein monotones Blubbern und der Geruch von frischen Kaffee verriet, dass irgendwo eine Kaffeemaschine ihren Dienst versah. Es war die Wohnung von Jürgen Fürst. Als das Blubbern der Maschine ab ebbte, kam Jürgen, nur mit einem Handtuch um die Hüfte aus dem Badezimmer am Ende des Ganges, warf einen kurzen Blick auf das TV- Gerät, um dann nach rechts in die Küche zu verschwinden... nur um einem Augenblick später interessiert zurück zu kehren, den Bildschirm fest fixierend. Er hatte die Post in Wallenbach erkannt. Ohne seinen Blick abzuwenden Griff er nach der Fernsteuerung und erhöhte die Lautstärke. ...wurde eine junge Frau, nach Angaben von Zeugen und der hiesigen Polizei schwer misshandelt aufgefunden. Ob ihr noch Schlimmeres angetan wurde, konnte uns zu diesem Zeitpunkt noch Niemand sagen. Ist das eventuell der Auftakt zu einer neuen Gewaltorgie, wie sie schon einmal vor zehn Jahren hier in Wallenbach stattgefunden hat? Hören sie dazu gleich unseren Experten... Jürgen knipste den Ton aus. Er hatte genug gehört, oder besser gesagt, gesehen. »Das ist ihr Zeichen... ihr Zeichen, da an der Wand... also sind sie wieder da... ich hab 's mir doch gedacht«, murmelte er tonlos, während er sich mit der linken Hand übers Gesicht strich. Mit einem knackenden Geräusch landete die Faust Franks mitten auf der Nase von Hulk, der hart getroffen nach hinten fiel. »Du hast was getan? Du hast unser Zeichen dort an der Wand hinterlassen? Ich fasse es nicht!« Die drei befanden sich in einer Kiesgrube rund drei Kilometer außerhalb Wallenbachs. Die Grube wurde schon seit langem nicht mehr genützt und war dementsprechend verwildert. Ihr Vorteil war, sie lag mitten Wald, nur eine schmale, fast zu gewachsene Straße führte hinein.Von außen fiel sie nicht auf und war auch nicht einzusehen. Anscheinend hatten die drei hier den Rest der Nacht verbracht. Schlafsäcke lagen um eine Feuerstelle herum. Auf einem stand ein kleines Fernsehgerät mit Antenne. Es lief der selbe Sender, den auch Jürgen Fürst gesehen hatte. »Da salbadern wir die ganze Zeit davon, dass wir nicht auffallen dürfen, nicht bevor wir ihn gefunden haben und dieser Idiot kann sich 's nicht verkneifen unsere Anwesenheit an die Wand zu pinseln!« Frank war sichtlich sauer. »Warum rennst du nicht gleich splitternackt mit rot angemaltem Arsch zur Mittagszeit durch den Ort und schreist wir sind wieder da, du Knallkopf!« »So rot wie dein Kopf jetzt ist?«, gab Hulk am Boden liegend zurück, sich die blutige Nase haltend. Mit zwei schnellen Schritten war Frank über ihm, packte Hulk an der Jacke und hatte seine geballte Rechte bereits zu einem weiteren Schlag ausgeholt, als Ghost eingriff. »Hör' auf Frank, es reicht!« Frank ließ die Faust sinken und stieß Hulk wieder in den Sand. Obwohl Hulk größer und sicherlich kräftiger als Frank war, so wehrte er sich dennoch nicht. Es stimmte schon; der hellste war er nicht aber Frank sein großes Idol. In hündischer Treue hätte er alles für ihn getan und so ließ er die Schelte ohne Gegenwehr über sich ergehen. »Es ist nun mal geschehen und dein Wutausbruch ändert auch nichts mehr daran«, fuhr Ghost fort. »Was meinst du sollen wir jetzt machen?« Frank hatte sich etwas beruhigt. »Nichts... nun, eigentlich müsstest du ihm dankbar sein.« »So... genauso wie dir! Wenn 's nach mir gegangen wäre, hätten wir die Kleine kalt gemacht, aber nein, du wolltest unbedingt, dass sie am Leben bleibt. Was glaubst du, wird sie der Polizei sagen, wenn sie wieder halbwegs fit ist?!... eine tolle Beschreibung von uns und just haben wir die Bullen aus der ganzen Gegend am Arsch hängen... toll!« Ghost schüttelte den Kopf und lächelte »überlege doch mal alles in Ruhe. Sicherlich hatten wir abgesprochen, Alpha nicht auf uns aufmerksam zu machen. Aber andererseits, muss er von uns wissen, wenn er unsere kleine Nachricht auch finden soll. Wir hätten seine Neugier irgendwie anders wecken müssen. Und genau das hat uns Hulk mit seiner Schmiererei abgenommen. Dazu gehört auch, dass die Kleine, wie hieß sie gleich... Manuela, glaub ich, am Leben bleibt. Sollte er sie, oder sie ihn kennen, wird er bei ihr auftauchen, um zu erfahren, was wir ihm mitteilen wollen. Wie soll er das machen, wenn sie tot ist?!... wie gesagt, du solltest Hulk eigentlich dankbar sein.« Frank überlegte kurz und meinte dann: »Verdammt, du hast recht... du hast recht.« Frank sah sich nach Hulk um, der es sich mittlerweile am Boden gemütlich gemacht hatte. »Glaubst du, dass er wirklich hier ist?«, wandte Frank sich wieder an Ghost. »Na ja, vermutlich ist er es. Ich denke schon.« »Glaub' mir er ist es, ich kann ihn fast riechen... und es wäre ein Segen gewesen, wenn dieses Riesenbaby«, damit deutete Frank auf Hulk der gerade damit begann sich wieder aufzurichten, »diese kleine Schlampe nicht bewusstlos gevögelt hätte. Sicherlich hätten wir noch aus ihr rausgekriegt, wo der Hund ab geblieben ist!« Frank kam langsam wieder in Rage. Er war vornehmlich sauer, dass Ghost ihn belehrt hatte. Immerhin war er der Chef hier. Es hätte ihm zuerst einfallen müssen! »Also, was tun wir jetzt?«, richtete er sich nach einer kurzen Pause wieder an Ghost. »Nichts... wir sondieren mal die Gegend hier um Wallenbach. Mal sehen, was sich so verändert hat. Die Feier im Ort kommt uns entgegen. Die haben sie sicherlich nicht wegen der Kleinen abgesagt. So fallen wir kaum auf.« Nach kurzer Überlegung nickten Frank und auch Hulk zustimmend. »Aber da ist noch ein größeres Problem.« »Was denn noch?!« Frank hatte langsam genug. »Uns geht das Geld langsam aus, Frank.« Nun setzte sich der Angesprochene bequem auf den Boden. »Nun, dann müssen wir uns eben welches besorgen«, grinste Frank die beiden anderen an.
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