Die Ermittlungen beginnen...
Es war Samstag, der 22. Juni,
als gegen halb eins in der Nacht das Telefon klingelte. Mein Kollege und Chef, Oberinspektor Arnold Bacher und ich hatten gerade einen Fall aufgeklärt und zu den Akten gelegt.
Es war ein Mord aus Eifersucht, der vom Ehemann des Opfer geschickt als Raubmord kaschiert worden war.
Leider nicht gut genug, um uns hinters Licht zu führen. Wir waren bereits sechzehn Stunden im Dienst und wollten jetzt endlich nach Hause.
Trotzdem hob ich den Hörer ab und meldete mich mit meinem Standartspruch: »Kriminalpolizei München, Mordkommission, Inspektor Gerald Preller am Apparat.«
Angesichts der nächtlichen Stunde etwas barscher als sonst. Es war der Polizeichef einer Gemeinde namens Wallenbach, der sich nach meinem Kollegen erkundigte.
»Arnold, für dich... ein gewisser Egon Böck, Polizeichef in Wallenbach«, sagte ich, ihm den Hörer reichend.
»Bacher, Ja, ist schon gut Egon... wer, die kleine Böller? Klar kenne ich sie... in der Post?!... gut, ich komme... bis gleich!«
Er legte auf und atmete bedrückt durch.
»Woher kennst du denn diesen Knaben?«, fragte ich ihn.
»Der Knabe, wie du ihn nennst«, antwortete er geistesabwesend, »ist fünfundfünfzig und der beste Polizist von Wallenbach. Ich wohne dort«, fügte er hinzu.
»Und was ist so wichtig, dass er um diese Zeit hier anruft?«
»Bei und im Ort scheint eine scheußliche Sache passiert zu sein. Anscheinend ist eine junge Frau, Manuela Böller heißt sie, in einem Gasthof übel zusammengeschlagen und anschließend vergewaltigt worden.« Sein Gesicht machte einen ernstlich besorgten Eindruck.
»Ist sie tot?«, wollte ich wissen.
»Nein, das nicht... noch nicht«
»Aber, dann ist das nicht unser Bier«, gab ich zurück.
»Heute nicht, aber vielleicht schon morgen!«
Als ich ihn so ansah, wusste ich, dass diese Nacht gelaufen war. Also unternahm ich einen letzten Versuch.
»Aber heute lebt sie noch. Außerdem, du wohnst da, aber wenn wir zusammen fahren, wie um alles in der Welt komme ich zurück?«
Mein Körper sehnte sich nach einer heißen Dusche und einem warmen Bett.
»Du kannst bei uns schlafen. Mein Haus ist groß genug«, war seine Antwort. »Außerdem kenne ich die kleine Böller schon seit sie ein Kind war. Ihr Vater ist ein Schulkamerad von mir gewesen.«
»Ade mein Bett«, flüsterte ich, meine Augen an die Decke des Büros gerichtet.
»Also, lass' uns fahren«, sagte ich und nahm meinen Mantel.
Wir fuhren im alten Ford meines Kollegen durch die Nacht in Richtung Wallenbach.
Es konnte wohl gut dreißig Minuten dauern, bis wir dort sein würden.
»Hat ihr den niemand geholfen?«, wollte ich wissen.
»Nein, es ist im Keller vor den Toiletten passiert. Eine Verbindungstüre nach oben war geschlossen. Es konnte sie niemand hören.«
Dies war der einzige Wortwechsel während der Fahrt.
Es begann zu regnen und Arnold schaltete den Scheibenwischer ein, der mit monotonem Geräusch seinen Dienst versah. Ich blickte meinen Chef an und überlegte, was jetzt wohl in ihm vorgehen mochte.
Er war Ende vierzig und seit etwa fünfzehn Jahren bei der Kripo. Sein total ergrautes Haar, dessen Farbwechsel sich schon mit fünfunddreißig bemerkbar gemacht hatte, war wie ein Zeugnis der Erlebnisse in unserem Beruf. Er hatte zu oft gesehen, welcher Taten Menschen fähig waren.
Seine Frau kam, wie ich von Kollegen erfuhr, vor etwa zehn Jahren bei einem Autounfall ums Leben. Seitdem kümmerte er sich allein um seine sechsundzwanzig jährige Tochter, die damals mit im Unfallwagen saß.
Sie wurde dabei schwer an Rückgrat und Kopf verletzt und war seitdem an den Rollstuhl gefesselt. Zudem schien sie nichts mehr in ihrer Umgebung wahrzunehmen.
Er kümmerte sich rührend um Margit. Es muss eine schwere Zeit für ihn gewesen sein. Wäre seine Tochter nicht gewesen, so munkelt man in der Abteilung, dann hätte er mit Sicherheit Schluss gemacht.
Das Meiste habe ich, wie gesagt, nur von anderen erfahren, da meine Versetzung zur Mordkommission erst vier Jahre später erfolgte.
Einiges davon hatte er mir dann nach und nach auch selbst erzählt, als wir uns besser kannten. Mittlerweile sind wir ein eingespieltes, erfolgreiches Team und vernünftige Polizeiarbeit ohne ihn zu leisten konnte ich mir beim besten Willen nicht mehr vorstellen.
Vieles was ein guter Polizist wissen musste, habe ich von ihm gelernt.
»Wie weit ist es noch?«, wollte ich wissen, um nicht endgültig einzuschlafen.
»Etwa fünf Minuten.«
Als wir kurz darauf das Ortsschild passierten, bekam ich, außer ein paar Lichtern in der Dunkelheit, von diesem Ort nicht viel zu sehen. Lediglich ein Krankenwagen fuhr mit Blaulicht und Martinshorn in Richtung Kreisstadt. »Wahrscheinlich die kleine Böller«, murmelte Arnold.
Wenige Augenblicke später fuhren wir in den Hof des Gasthauses. Die Kollegen des Landpostens hatten die Spurensicherung bereits verständigt, die mit ihren Fahrzeugen die halbe Einfahrt füllten.
Blaulicht kreiste geräuschlos an den Wänden des viereckigen Hofes entlang. Der Regen hatte sich mittlerweile etwas gelegt. Wir stiegen aus und ein kleiner dicker Mann kam mit ernstem Gesicht auf uns zu.
Grüß’ dich Arnold.«
»Guten Morgen Egon«, gab mein Chef zurück und drückte dem Polizisten die Hand.
»Wer hat denn die informiert?« Arnold deutete auf ein Reporterteam, des Regionalsenders aus Schwäbisch Haar, die sich anschickten im Licht eines eilig aufgestellten Scheinwerfers im Eingangsbereich des Restaurants einen Bericht aufzuzeichnen.
Eine junge Frau mit Mikrofon deutete wild gestikulierend wieder und wieder auf den Gasthof, während ihr Kollege mit der Kamera krampfhaft versuchte ihr zu folgen.
»Keine Ahnung... vielleicht haben sie den Polizeifunk abgehört. Ich konnte sie gerade noch davon abhalten schnurstracks in den Keller zu marschieren.«
»Das hätte uns gerade noch gefehlt... sag’ mir, was für eine Sauerei ist hier passiert?«
»Viel wissen wir noch nicht«, gab der Beamte schulterzuckend zurück.
»Das ist mein Kollege, Gerald Preller«, stellte mich Arnold vor.
»Nicht unbedingt glückliche Umstände sich kennen zu lernen. Egon Böck... sie können Egon zu mir sagen, das tut hier eh’ jeder.« Mit einem erzwungenen Lächeln schüttelte er mir die Hand.
»Gehen wir rein, dann sage ich euch, was wir bis jetzt wissen.«
Wir betraten den Gastraum, legten unsere nassen Mäntel ab und setzten uns an einen der Tische direkt neben der Tür.
»Also, sie war mit ihren Kollegen zum Essen hier.«
»Wo sind die Herrschaften jetzt?«, warf ich ein.
»Dort drüben bei einem meiner Beamten. Ihr Chef und eine Sekretärin waren bereits früher gegangen. Wir wollen sie morgen... später noch aufsuchen.«
»Herr Fink!, kommen sie doch einmal her«, rief Egon einem der Leute zu, die gestikulierend und deutend zusammenstanden. »Er hat Manuela gefunden«, erklärte er uns mit gesenkter Stimme.
»Das sind Oberinspektor Bacher und sein Kollege Inspektor Preller von der Kripo München«, stellte er uns vor.
Während dessen hatte ich Zeit, mir ein Bild von diesem Mann zu machen. Er war ca. dreißig Jahre alt, eins fünfundsiebzig groß, hatte dunkles, gelocktes Haar und trug eine Brille. Seine Nervosität war beinahe ansteckend.
Permanent nestelte er mit den Fingern an den Knöpfen seiner Jacke herum.
»Guten... nein, ich meine«, stotterte er herum.
Der Schock saß ihm sichtlich noch tief in den Gliedern.
»Wir wissen, wie sie ’s meinen, Herr Fink. Setzen sie sich doch und beruhigen sie sich erst mal. Wollen sie etwas trinken?«
»Nein danke... oder vielleicht doch, einen Cognac, wenn das möglich wäre?!« Arnold bestellte einen Doppelten.
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