»Nun Herr Fink, erzählen sie mal. Sie haben Fräulein Böller gefunden?« Hastig trank der Gefragte aus und starrte in das leere Glas.
»Wir hatten hier unseren Einstand gefeiert, also Manuela und ich, dass heißt, Fräulein Böller und ich«, verbesserte er sich.
»Als wir zahlen wollten, ging sie noch mal auf die Toilette. Sie gab mir das Geld und ich hab’ mit dem Kellner abgerechnet. Wir, das heißt die anderen und ich, unterhielten uns noch eine Weile.
Wir haben erst nach ungefähr zwanzig oder dreißig Minuten bemerkt, dass Manuela immer noch fehlt.
Zuerst haben wir uns noch lustig gemacht. Sie wissen schon, ein paar dumme Bemerkungen, nicht böse gemeint. Aber dann bin ich doch nach unten gegangen, um nachzusehen. Da hab’ ich sie dann gefunden.«
Er schloss seine Augen und wurde bleich. Dann presste er die Hände vors Gesicht. Ich konnte den Mann gut verstehen.
Wenn man so etwas zum Ersten mal sieht, dieses Bild lässt einen kaum mehr los.
»Mein Gott... warum?«, stöhnte er.
»Nur die Ruhe Herr Fink«, versuchte Arnold auf ihn einzuwirken.
»Was taten sie dann?«
»Ich rannte schnell nach oben und informierte die anderen. Zwei kamen mit mir nach unten. Frl. Uhl rief die Polizei und den Notarzt, glaube ich.«
»Haben sie irgend Jemanden gesehen oder etwas bemerkt, als sie unten waren?«, wollte ich wissen.
»Nein, nichts. Aber auch wenn da was gewesen wäre, ich war so in Panik.«
»Ist schon gut Herr Fink, sie können jetzt nach Hause gehen. Vielleicht müssen wir sie aber in den nächsten Tagen noch einmal ins Präsidium bitten.« Er nickte und wandte sich zur Tür. »Das werde ich nie vergessen können, niemals!«, hörten wir ihn noch vor sich hin murmeln.
»Der schläft heute Nacht auch nicht, soviel steht fest«, bemerkte ich zu Arnold.
»Wie wir. Lasst uns runter gehen...«
Wir folgten Egon in den Keller.
Die Jungs von der Spurensicherung waren mittlerweile fertig und packten gerade ihre Geräte ein.
Vor der Damentoilette lagen noch verstreut, aber säuberlich markiert, mehrere blutige Kleidungsstücke. Auch der Boden war blutverschmiert.
»Hier müssen sie reingekommen sein.« Egon deutete auf eine Türe, die anscheinend nach draußen führte.
»Laut Besitzer des Gasthofes ist diese Tür fast nie abgesperrt. Er müsste es aus Versicherungsgründen eigentlich tun, aber sie wissen ja« Egon zuckte mit den Schultern.
»Dort haben sie meine Beamten gefunden.« Er deutete in Richtung Mauer am Ende des Ganges. Dort war auch am meisten Blut zu sehen.
»Die Kleine war nackt«, sagte Egon mit unterdrückter Stimme. »Sie rührte sich nicht mehr. Zuerst dachten meine Beamten sie wäre tot, aber dann stöhnte sie plötzlich.«
In der Ecke saß ein junger Mann mit blondem, zerzaustem Haar. An seiner Uniform erkannte man den Polizisten. Als ich ihn ansprechen wollte, hielt mich Egon zurück.
»Lassen sie 's, er hat sie gefunden.«
»Sein erstes Erlebnis dieser Art?«
»Nicht nur das, Manuela Böller ist seine Verlobte.«
Der junge Beamte hob den Kopf. In seinen Augen standen Tränen.
»Ich hab’ sie gefunden... ist meine Verlobte... und ich hab’ sie nur an den Kleidungsstücken erkannt... oh mein Gott!« schrie er, bevor ihn ein Weinkrampf schüttelte.
»Er heißt Gary Rößle. Sonst ein guter Mann, aber das.«
»Verständlich.« Arnold klopfte dem jungen Mann mitfühlend auf die Schulter. Ich war inzwischen weiter gegangen und betrachtete mir die Wand, an der Fräulein Böller gefunden wurde. Zwischen den einzelnen Blutspritzern hob sich deutlich eine Schrift ab. »Arnold, sieh dir das mal an!«, rief ich meinen Kollegen.
»Mit was ist das geschrieben, mit Blut?!«
Ich nickte nur, die Zeilen lesend...
secret without a name, dangerous game, vow of silence, about the Ravens prance be bound forever, secede never once be faithless, sentence to death...
Arnold war blass geworden.
»Reime, englische Reime.«, flüsterte er halblaut. Seine Augen waren groß und schienen durch die Wand zu starren.
»Arnold, ist dir nicht gut?« Ich machte mir langsam Sorgen um ihn.
»Nein, ist schon okay. Es muss ein Zufall sein... sie sind tot, schon lange.«
Letzteres murmelte er mehr in seinen nicht vorhandenen Bart, aber es war mir nicht entgangen.
»Wer ist tot?«, wollte ich wissen.
»Ach’, ein Fall von früher. Ich habe so was ähnliches schon mal gesehen, aber die Verantwortlichen dafür sind lange tot.« Er lächelte etwas erleichtert, schien mir aber nicht unbedingt überzeugt.
»Du bist doch gut in Englisch Gerald. Was steht da genau?« Ich blickte erneut zur Wand.
»Nun, mein Englisch ist nicht so gut, wie du meinst, aber vielleicht sinngemäß...
Geheimnis ohne Namen, gefährliches Spiel... Gelübde des Schweigens... über der Raben Tänzeln«
Ich überlegte etwas, bevor ich fortfuhr
»Gebunden für immer, verlassen nimmer... einmal Verrat... verurteilt zum Tod«
Wir blickten einander fragend an.
»Was ist den das für ein Blödsinn?!«
Arnold nickte stumm, dann flüsterte er monoton: »Vielleicht ein Geheimbund ?!« Wieder nahm sein Gesicht den seltsamen nachdenklichen Ausdruck an, den er mir nun schon öfter geboten hatte.
Dann wandte er sich entschlossen an Egon.
»Woher wissen wir, dass es mehr als einer war?«
Bevor er antworten konnte mischte sich Gary ein.
»Manuela... bevor man sie ins Krankenhaus brachte, kam sie kurz zu sich. Sie stammelte nur Lasst mich... ich sage auch niemandem was...geht bitte weg«
»Und es gibt niemand, der etwas gesehen haben könnte?«
»Doch, der Kellner vielleicht«, gab Egon zurück.
»Aber wir wissen nicht, ob das mit dem hier in Verbindung steht.«
»Wo ist der Mann?«
»Oben«
Wir sprachen mit dem Kellner und erfuhren so von den drei Männern am Nachbartisch der Gruppe und auch von deren plötzlichen Stimmungswechsel.
Nach seiner Beschreibung waren es drei etwas skurrile Typen. Aufgrund der Reisetaschen, die sie bei sich trugen, waren sie vielleicht erst vor Kurzem hier angekommen oder auf der Durchreise.
Wir sprachen daraufhin noch mit einigen von Manuelas Kollegen, die sich noch im Gastraum aufhielten. Anscheinend war die Aufregung so groß, dass sie an ein nach Hause gehen noch nicht gedacht hatten. Von ihnen erfuhren wir auch etwas über die Gespräche des Abends.
Der englische Vers, den die kleine Böller zuletzt zitierte, stach angesichts der Botschaft im Keller dabei heraus. Leider konnten die Anwesenden ihn nicht genau wiederholen, sodass nichts anderes übrig blieb, als auf eine Aussage von Manuela Böller zu hoffen... falls diese aus ihrer Bewusstlosigkeit erwachen würde.
Es war gegen drei Uhr morgens, als das ganze endlich abgeschlossen war.
»Und wie komm’ ich jetzt nach Hause?«
»Ich sagte doch, dass du bei mir übernachten kannst«, gab mir Arnold zurück. »Vorausgesetzt natürlich, du hast keine Probleme damit die Nacht bei einem alten Mann mit seiner behinderten Tochter zu verbringen.« Bei diesen Worten lächelte er.
»Morgen können wir dann ins Krankenhaus fahren und uns die kleine Böller ansehen.«
»Sind deren Eltern verständigt?«, wollte ich wissen.
»Natürlich. Egon hat sie informiert.«
»Und?«
»Was heißt und... es war furchtbar. Dazu kommt, Manuela ist ihr einziges Kind« Wir gingen zum Auto.
Mir fiel unsere Unterhaltung im Keller wieder ein.
»Und wenn es doch zusammenhängt?«, dachte ich laut.
»Was?«
»Na, das hier und dein Fall von früher« Arnold schüttelte den Kopf.
»Das kann nicht sein... darf nicht sein.« Mit diesen Worten stieg er in den Wagen.
Als um halb neun der Wecker klingelte, hätte ich ihn am liebsten an die Wand geschmissen, aber ich erinnerte mich, dass es ja nicht meiner war und stellte ihn deshalb wieder hin. Gähnend stand ich auf und versuchte die Müdigkeit mit einer heißen Dusche zu vertreiben.
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