»Spät ins Bett, dafür früh raus, das macht den guten Polizisten aus«, reimte ich zynisch, an die letzte Nacht denkend, während das heiße Nass wohltuend über meinen Rücken lief. Als ich angezogen war verließ ich das Gästezimmer des bacher'schen Haushaltes und begab mich ins Erdgeschoss, dem Duft frischen Kaffees folgend.
»Guten Morgen«, hörte ich Arnold aus der Küche sagen.
Er stand am Herd, damit beschäftigt eine Pfanne mit Spiegeleiern zu zubereiten. Auf dem Tisch stand frischer Kaffee und geröstetes Toastbrot.
»Für mich ist das Frühstück die wichtigste Mahlzeit des Tages. Man weiß nie, ob man zum Mittagessen kommt oder nicht«, sagte er lächelnd.
»Nimm doch schon im Esszimmer Platz; ich komme gleich.«
Ich begab mich also nach Nebenan.
Es war ein sehr schönes Haus, dass mein Chef und seine Tochter hier bewohnten.
Es war geräumig und sehr geschmackvoll eingerichtet. Er konnte dies, nach der Auswahl seiner Krawatten zu urteilen, nicht gewesen sein. Daraus schloss ich, dass hier wohl seine verstorbene Frau federführend gewesen war.
An der Wand hing ein Bild von ihr, der Frau, deren Tod mein Chef nur schwer verarbeiten konnte.
Er hatte deshalb auch nicht mehr geheiratet. Sie musste, nach dem Gemälde zu urteilen, eine hübsche Frau gewesen sein. Langes, schwarzes Haar umrahmte ihr Gesicht mit kleinen Grübchen an den Mundwinkeln. Sie hatte anscheinend blaue Augen gehabt, ein Umstand, der meines Wissens bei Menschen mit schwarzem Haar ziemlich selten ist.
Dabei fiel mir seine Tochter ein.
Ich ließ den Blick schweifen und entdeckte sie im Nebenzimmer.
Sie saß im Rollstuhl vor einem Panoramafenster, das in den Hof des Hauses zeigte. Total in sich zurückgezogen sah sie abwesend sie in die Ferne.
Die Ähnlichkeit mit der Mutter war verblüffend.
Arnold kam mit dem Frühstück herein und bemerkte meinen Blick auf Margit.
»Sie hat schon gefrühstückt«, schien er meine Gedanken erraten zu haben, die sich gerade mit diesem Punkt beschäftigt hatten. »Isst sie selbst?«, wollte ich wissen.
»Nein, man muss sie füttern... wie ein kleines Kind.« Er lächelte verlegen.
»Nahrung ist aber das Einzige, worauf sie reagiert.« Während sein Blick zu ihr wanderte, sprach er weiter: »Die Ärzte meinen es sei psychosomatisch. Sie könnte gehen und sprechen wie jeder andere, normale Mensch auch, wenn sie nur wollte. Ihre Kopfverletzung von damals ist jedenfalls an ihrem Zustand nicht schuld.«
»Es wäre auch nicht verwunderlich... ich meine nach so einem Unfall...«
»Unfall?« Er sah mich fragend an.
»Ach ja... Unfall!«, bestätigte er Kopf nickend. Es schien, als wäre er kurz in Gedanken gewesen.
Plötzlich sagte er »Also, greif’ zu, sonst wird der Kaffee kalt.«
Der Notarzt hatte Manuela von Schwäbisch Haar sofort in die Universitätsklinik nach München bringen lassen. Dort wurde sie noch in der Nacht operiert und anschließend auf ein Zimmer der Intensivstation gebracht.
Zwei unserer Beamten bewachten sie.
Einer hatte sich vor der Tür postiert, der andere saß an ihrem Bett; falls sie irgendwas von sich geben sollte, er würde es notieren.
Als wir im Krankenhaus ankamen, suchten wir zuerst den zuständigen Arzt auf, um uns ein Bild vom Zustand der jungen Frau zu machen.
Nachdem er mehrmals ausgerufen worden war, kam er endlich mit hastigen Schritten auf uns zu.
»Entschuldigen sie, meine Herren, aber ein Verkehrsunfall. Wir hatten alle Hände voll zu tun«, erklärte er, Arnold und mir die Hand reichend.
»Doktor Spring, mein Name. Sie sind wegen der Patientin Böller gekommen, richtig?«
»Genau Herr Doktor. Ich bin Oberinspektor Bacher, mein Kollege Inspektor Preller.«
»Wie geht es ihr, Herr Doktor?«, wollte ich wissen.
»Also wenn sie damit meinen, ob sie durchkommt, dann kann ich sagen körperlich ja, aber wie sie mental damit fertig wird, können wir nicht sagen... aber damit sie verstehen was ich meine...«, sagte der Arzt und schlug den Ordner auf, den er mitgebracht hatte.
»Zuerst, sie ist vergewaltigt worden anal und vaginal. Soweit wir es feststellen konnten waren es zwei oder drei Männer. Durch ihr gewaltsames Eindringen entstanden Verletzungen, die zu einem Großteil am Blutverlust der Patientin schuld waren. Außerdem ist da eine Gehirnerschütterung, die von stumpfen Schlägen herrührt. Die Finger der linken und der rechten Hand sind gebrochen, auch drei Rippen. Die Milz ist geprellt, was aber nicht so bedrohlich ist.« Er blätterte weiter in seinem Bericht.
»Das rechte Schlüsselbein war ausgerenkt. Dann sind da noch diverse Prellungen am ganzen Körper, auch Schnittverletzungen. Zwei im Gesicht, drei auf dem Rücken. Verbrennungen zweiten und dritten Grades, vermutlich mit einer Zigarette verursacht, im Genitalbereich und an beiden Brustwarzen... ich bin seit acht Jahren hier Arzt«, sagte der große, blonde Mann, sich die Brille abnehmend, »aber so etwas haben wir hier noch nie gehabt.«
»Können wir sie sehen?«
»Sehen ja, aber sie ist noch bewusstlos. Falls sie Fräulein Böller verhören wollen, dann werden sie jetzt noch kein Glück damit haben. Auch für später will ich sie nur daran erinnern, dass sie meine Einwilligung brauchen, um mit ihr zu sprechen.«
»Selbstverständlich. Wenn sie ansprechbar ist, würde ich sie bitten uns zu informieren«, sagte Arnold dem Arzt eine Karte reichend. Damit verabschiedeten wir uns und gingen zum Aufzug, der in die Intensivstation führte.
Als sich die Türen hinter uns schlossen, meinte ich zu Arnold: »Mein Gott, was war den das... wer tut den so was, wie krank müssen diese... diese Perversen eigentlich sein?«
»Wenn du den Job erst mal so lange gemacht hast wie ich , dann wunderst du dich über fast gar nichts mehr«, gab Arnold zurück, »Man stumpft ab, mit der Zeit, aber nie ganz. Es sind solche Sachen, die einem dann doch an die Nieren gehen und man spürt, dass man den Punkt noch nicht erreicht hat, an dem man besser aufhören sollte.«
»Wie meinst du das?«, wollte ich, etwas verunsichert, wissen.
»Nun, wenn du aufhörst an das Gute in den Menschen zu glauben, wenn du alle nur noch auf die Taten solcher Kerle reduzierst... Tag für Tag dieses Grauen und es nimmt kein Ende... Verwundete, Verletzte, Tote Tag für Tag. Du nimmst den Kampf auf und kämpfst und kämpfst und die Zeit vergeht... eines Tages wachst du auf und dir wird klar, dass alles vergebens war... ein Krieg, den man nicht gewinnen kann.«
»Denkst du so?!«
»Was heißt denken, das ist für mich eine unabänderliche Erkenntnis. Aber inzwischen begnüge ich mich damit, wenigstens zu verhindern, dass genau solche Typen wie diese das Gleichgewicht in die falsche Richtung kippen lassen, dass sie nicht die Oberhand gewinnen; sonst herrscht nur noch Anarchie. Und deshalb müssen wir sie kriegen.«
»Was hat deine Meinung geändert, ich meine warum hast du nicht einfach alles hingeschmissen?«
»Tja, auch so eine Erkenntnis, ist aber schon lange her.«
Ich wollte irgendwie das Thema wechseln. Es war mir etwas unangenehm solche Äußerungen von meinen Chef zu hören. So hatte ich das noch nicht gesehen, vielleicht wollte ich das auch nicht,... noch nicht.
Der Fahrstuhl war angekommen. »Was hältst du von ihren Verletzungen?« Arnold sah mich fragend an.
»Also, wenn man das Ganz mal emotionslos betrachtet, meine ich.«
»Kläre mich auf, lieber Gerald.«
»Nun, was mich nachdenklich macht ist einfach, dass diese drei Kerle... gehen wir mal davon aus, dass es wirklich die Männer vom Nebentisch waren, die dem Kellner aufgefallen sind, also warum warten die nicht einfach bis alle gegangen sind, verfolgen die kleine Böller und überfallen sie dann irgendwo unterwegs?
Ich meine im Keller der Post, ihre Kollegen im Stockwerk darüber. Wie leicht hätte da einer nach unter kommen und sie überraschen können. Also das Risiko wäre mir viel zu groß.« Arnold nickte verstehend.
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