Dann drang ich geschmeidig durch die Säulen vor ins Innere des Palastes. Drinnen war er viel größer als draußen. Selbst eine Doppelmatratze hätte hier genug Platz gehabt. Das Problem waren aber tatsächlich die Säulen. Sie verhielten sich renitent und ließen einfach keine Matratzen durch. Die einzige, existierende, ganz dichte Matratze konnte, so gesehen, gar nicht im Drei-Säulen-Palast (DSP) sein. Ich informierte den ahnungslosen DSP mündlich über den neuen Erkenntnisstand. Da verschwand er sofort wieder im Nebel der Erkenntnislosigkeit, genau so grußlos wie er erschienen war. Alles war also nur eine bleiche Fehlinformation gewesen, die die Blase des Anthroposophen wie ein Stück Seife zerplatzen ließ. Es war gut für ihn aber irgendwie auch für mich, dass er weit weg bei einem friedlichen Mittagessen saß.
Für mich hieß das, dass ich den Anthroposophen erst einmal wie so vieles andere auch vergessen konnte. Meine Erfolgsquote erhöhte sich automatisch dramatisch. Zusätzlich blickte ich auch noch zurück in die Vergangenheit. Das war aber noch nicht alles. Weil ich mich nämlich auch noch blitzschnell umdrehte, lag die Vergangenheit plötzlich nicht mehr hinter mir sondern vor mir. Und was vor mir lag, konnte nicht länger mehr Vergangenheit sein, sondern war die reine und ungefälschte Zukunft.
Vor mir türmte sich das Schlachtfeld der unverrichteten Dinge hoch und weit. Es war ein Paradies, schön wie ein Biotop, unbeachtet, unbewirtschaftet und natürlich nutzlos. Hier hatte ich mir ein Denkmal gesetzt, das mich stolz machte. Hätte ich nämlich alle Dinge bereits verrichtet, gäbe es diesen Ort gar nicht, und mein Blick wäre nur in eine moderne Leere mit übel zugerichteter Inspiration gegangen. Der Fotograf kam und fotografierte das ganze Schlachtfeld. Er erzählte mir, damit eine Menge Geld verdienen zu wollen. Schneller als bald türmte sich tatsächlich auf seinem Konto ein Biotop von hochgestapeltem Geld bis dahin, wo man nicht mehr hingucken konnte und es irgendwo verschwand, vielleicht im Paradies.
„Das ging ja schnell mit dem Geld“, sagte ich zum Fotografen.
„Wir Fotografen sind gute Leute“, sagte er.
„Das weiß ich“, meinte ich. „Es würde mich aber interessieren, wie du das so schnell hingekriegt hast.“
„Ich arbeite nach dem Paragrafen F. Es ist der Paragraf der Fotografen“, antwortete er offen und ehrlich.
„Wie heißt er denn?“, wollte ich wissen.
„Schieß nicht mit Spatzen auf Matratzen!“ sagte er.
„Das ist doch der Paragraf der vereinigten Ministerpräsidenten“, sagte ich.
„War“, antwortete er.
„Wieso, war?“ fragte ich.
„Die Fotografen haben jetzt das Copyright“, sagte er.
Ich blickte auf das Schlachtfeld der unverrichteten Dinge.
„Ach so“, sagte ich.
Der Fotograf hatte mich befreit. Für mich ging es nun also weiter nicht nur ohne Anthroposophen, sondern auch ohne einen Paragrafen und auch ohne einen Fotografen und natürlich ganz ohne die lästigen, unverrichteten Dinge. Wie ich schon sagte, meine Erfolgsquote stand gut wie eine Null, und wenn die Null stand, war alles möglich.
Vieles, was vorher da war, war nun nicht mehr da. Das war mein Weg, der Weg der Verminderung von allem bis schließlich zur endgültigen Befreiung ebendieses Allem von seiner gesamten, lästigen Existenz. Diesen Weg musste ich weiter gehen, bis diese Sackgasse zu Ende war und gar nichts mehr da war, gar nichts außer der einzigen, noch ganz dichten Matratze, um mein Vermächtnis darunter gut verstecken zu können. Wahrscheinlich erwartete sie mich schon sehnsüchtig und freute sich auf ihren gefährlichen Auftrag. Und die fünf weisen Waisen würden als I-Tüpfelchen für das nötige Gewicht sorgen und auf ihr so lange fungieren, bis die Zeit gekommen war, wo der Riesenkalmar den Dinosaurier heiratete und das Vermächtnis geöffnet werden durfte.
Alles war also sonnenklar, nur die Sonne spielte nicht mit. Ich nahm meine außerirdische Sonnenbrille ab. Es war ja eine sehr teure, sehr lichtscheue, von weither importierte Sonnenbrille. Doch es wurde nicht heller. Sie war machtlos. Ich ging zur Toilette. Es war die Damentoilette. Es war wie immer viel los hier. Besser ich setzte meine Sonnenbrille schnell wieder auf. Sofort erkannten mich die Damen.
„Guten Tag, Herr Ministerpräsident“, begrüßten sie mich.
„Guten Tag, meine Damen“, sagte ich.
„Ein Ministerpräsident in einer Damentoilette kommt selten vor“, meinten sie.
„Tut mir leid“, sagte ich, „doch der Wert des Seltenen wird viel zu oft überschätzt.“
„Sehr schicke Sonnenbrille“, sagten sie.
„Ja“, sagte ich, „Spezialanfertigung mit Sonnenauf- und Sonnenuntergang-Automatik.“
„Dürfen wir mal sehen?“ fragten sie.
„Natürlich!“ sagte ich.
Genau solche Leute brauchte ich, Leute, die mal sehen wollten. Bereitwillig gab ich ihnen meine Sonnenbrille. Eine nach der anderen setzte sie auf und sah dann, was ein Ministerpräsident mit Sonnenbrille sah.
„Dazu brauchen wir aber keine Sonnenbrille“ , meinten sie, nachdem alle einmal gesehen hatten.
„Sehr gut!“ sagte ich. „Braucht ihr denn Sonne?“.
„Nein!“ antworteten sie.
„Sehr gut!“ sagte ich. „Ihr seid eingestellt.“
Ich nahm die Sonnenbrille wieder an mich und setzte sie gerade noch rechtzeitig auf.
„Was sollen wir denn tun, Herr Ministerpräsident?“ fragten sie.
„Ab Sonnenuntergang sollt ihr die Augen offen halten. Sucht den Weg zur einzigen, noch ganz dichten Matratze! Ich habe keine Zeit zu verlieren, auch nicht in der Nacht, wenn die Sonne nicht mitspielt“, informierte ich sie.
„Warum?“ fragten sie.
„Die Meute der ungeduldigen Vorzeitigen sucht diese Matratze auch“, sagte ich.
„Ach so, die UVO-Gruppe“ sagten sie.
„Woher kennt ihr denn die?“ fragte ich.
„Aus dem Zufall, damals im Urlaub, natürlich!“ sagten sie.
„Da sieht man einmal wieder, dass alles lieber nicht mit allem zusammenhängen sollte“, sagte ich.
„Genau daran sieht man es“, bestätigten die Damen von der Damentoilette meine Erkenntnis.
Sofort schwärmten sie aus, die ganze Nacht, als wären sie ausgebildete Nachtschwärmerinnen, um den Weg zu entdecken, der zur einzigen, noch ganz dichten Matratze führte. Ich wartete derweil auf Nachricht, die ganze Nacht. Doch sie sind nicht wieder zurück gekommen. Vielleicht war ihnen ja ein zufälliges Schicksal dazwischen gekommen. Ich war sehr erleichtert bei diesem Gedanken und froh, dass es mir nicht dazwischen gekommen war.
Geräuschvoll verließ ich die Damentoilette. In dieser Hinsicht war alles geklärt. Auf die Damen aus der Damentoilette konnte ich mich bedenkenlos verlassen, ob mit oder ohne Schicksal. Natürlich würde ich sie alle heiraten, wenn ich sie einmal wiedersehen würde. Aber bis es so weit war, waren sie von mir dazu verurteilt, die Augen offen zu halten, selbst beim Schminken und an mich zu glauben. Ich glaubte ja selbst auch an mich, und Ausnahmen waren für Damen schon mal gar nicht vorgesehen im Gesetz, ob die Damen aus der Damentoilette das nun gut fanden oder nicht.
Draußen erschreckte mich die Luft, weil sie so anders roch als die Luft drinnen. Ihre Andersartigkeit umringte mich ringsum, und ich merkte, wie mein so lange angehaltener Atem wieder einsetzte. Erklärungen für diesen Vorgang strömten ungerufen von allen Seiten auf mich ein. Doch dann hörte ich das Walross mit seinem Unkenruf, und die gelegten Vögel blökten. Da wusste ich, dass die Luft, die mich erschreckt hatte, in Wirklichkeit nur ein verkleideter Unsinn war. Als Ministerpräsident brauchte ich nämlich keine Erklärungen, von niemandem und auch nicht die, die von allen Seiten kamen, denn ich war schließlich der vereidigte Erklärungsgeber und kein bedürftiger Erklärungsnehmer.
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