Dem ungeflügelten Engel und seinem ihm anverheirateten Walross verordnete ich als Anerkennung ihrer Leistung auf dem Gebiet der Nachtruhe einen zusätzlichen Honeymoon. Endlich hatte jeder eine Matratze, sogar eine eigene. Denn die Matratzen waren ein Geschenk von mir an alle zur Vermeidung von Druckstellen, Flüchen und Stöhnen, was überall und schon lange den Hauptinhalt des matratzenlosen Nachtschlafs ausgemacht hatte. Immer wieder unterbrochene Albträume konnten die Gesundheit bis ins hohe Risiko steigern. Ich war dazu angetreten diese Unterbrechungen ein für allemal zu beenden.
Das Wichtigste allerdings verriet ich keinem. Dann konnte es nämlich auch keine begründeten Missverständnisse geben. Das Wichtigste für mich war, dass ich nun die freie Auswahl an Matratzen hatte und entscheiden konnte, unter welche von ihnen ich mein Drei- Säulen-Vermächtnis vor der ungeduldigen Vorzeitigkeit und ihren fanatischen Anhängern verstecken wollte. Sie hatten sich sogar zusammen gerottet als UVO-Gruppe, die Gruppe der ungeduldigen Vorzeitigen. Aus Sicherheitsgründen wollte ich deshalb lieber, bevor ich meine Entscheidung traf, welche Matratze ich als Versteck auswählen würde, jede einzelne Matratze, so wie ich es geübt hatte, hochheben und darunter nachsehen, ob sie auch ganz dicht war. Das war meine einzige, aber auch wichtigste Bedingung. Es sollte eine reine Tatsachenentscheidung werden. Spontan brach ich auf zu einem gefühlvollen Matratzentest. Eine abschließende Siegerehrung mit musikalischer Unterhöhlung war aber zu diesem Zeitpunkt nicht geplant. Im Augenblick musste ich von Matratze zu Matratze denken.
Ich brauchte die absolute Sicherheit auf diesem Gebiet. Wenn ich nämlich eine undichte Matratze auswählen würde, brauchten die Folgen sicher nicht lange, bis sie mich entdeckt hätten. Es war mir klar, dass eine dadurch hervorgerufene, vorzeitige und allgemeine Bekanntwerdung des Verstecks meines DSV von den Folgen verharmlost werden würde, was automatisch die Tür für weitere Folgen aufstoßen würde. Ich unterhielt mich deshalb intensiv mit ihnen. Wir einigten uns wie sonst auch immer rein materiell. Ich warf ihnen einen großen Haufen Barfutter in den Rachen und verzauberte sie, vertraglich befristet natürlich, in eine zufrieden blökende Herde wollwilliger Lämmer.
Wegen der vertraglichen Befristung musste ich nun anfangen, schnell aber trotzdem sorgfältig und kostengünstig zu prüfen, welche von allen Matratzen einen undichten Charakter hatten und deshalb aus der freien Auswahl heraus fielen. Eine teure Analyse, die ich am liebsten mit ihnen gemacht hätte, musste ich mir leider vom Munde abspeisen, weil sie gegen die Folgen von Undichtigkeit nicht versichert war. In diesem Fall gab es kein Wenn und kein Aber für mich und natürlich auch keine Kostenerstattung. Damit hätte ich das Vergnügen der überteuerten Analyse nun ganz auf meiner Seite gehabt. Doch dank meiner flexiblen sozialen Kompetenz überließ ich das Vergnügen seinem eigenen Schicksal und legte die Matratzenüberprüfung in meine bewährt begehrlichen Ministerpräsidentenhände. Ich schritt geradewegs auf die Praxis zu, und zwar gleich der finalen mit ihrer extremen Vielseitigkeit. Dabei handelte es sich um die doppeldeutige Nachtruhe zu zweit. Nur die Matratze und ich. Jede einzelne einzeln und ich ganz allein und zusammen ganz eng. Ohne störende Dekoration und Nebengeräusche von anderer Seite. Das konnte selbst die dichtesten Nähte durchlässig machen.
In Matratzenkreisen schlug die Nachricht ein wie ein Löffel Lebertran in einen Schafspelz. Ich konnte ihnen diese Überprüfung aber nicht ersparen und wollte es natürlich auch gar nicht. So temperamentvoll ging es nun einmal bei mir, dem vereidigten Ministerpräsidenten, zu. Erbarmen war, wie immer, nicht angebracht. Erst kam die Praxis. Was danach kam, hing vom Vorher ab. Hätte ich es umgekehrt gemacht, hätte ich erst gar nicht anzufangen brauchen. Das wussten auch die Matratzen manchmal nicht.
Darum rief ich vor dem Start der Einzelüberprüfung noch eine Vollversammlung aller Matratzen ein. Alle kamen. Es war sehr laut. Es war ein Geplapper von frenetischen Ausmaßen soweit mein Auge sah, und auch dahinter war noch kein Ende in Sicht. Ein Informant hatte mich über die weitreichende Endlosigkeit informiert. Damit war klar, dass ich mir jetzt die finale Praxis ebenso sparen konnte wie die schon vorher abgeschminkte, teure Analyse.
Ich zog meinen Anthroposophen zu Rate. Er wusste sofort, was los war und das, auch ohne mir die Vögel zu legen. In dieser Hinsicht war er meinem Ornithologen weit überlegen.
„Was ist los?“ fragte ich ihn.
„Es gibt keine ganz dichten Matratzen“, sagte er.
„Keine einzige?“ fragte ich.
Doch!“, sagte er, „eine einzige gibt es.“
„Wo?“ wollte ich sofort wissen.
„In einem Palast“, sagte er.
„Interessant“, sagte ich.
„Es ist der Palast der drei Säulen, der auch kurz Drei-Säulen-Palast genannt wird“, sagte er.
„Vielen Dank für diese Auskunft“, sagte ich und machte mich auf den Weg.
Irgend etwas machte mich unterwegs aber stutzig. Der drei Säulen-Palast und das Drei-Säulen-Vermächtnis passten doch gar nicht zusammen. Gleichheiten hatten sich noch nie gegenseitig angezogen, dass taten nur die Gegensätze. Andererseits hatte der Anthroposoph noch nie gelogen. Er konnte es nämlich nicht, weil er an einem Gendefekt litt. Trotzdem war er optimistisch und vertraute der Forschung. Eines Tages würde sie diesen Defekt bestimmt ganz perfekt wegkriegen können, ohne dass auch nur eine Narbe zurückbliebe. Aber im Moment war er dazu verurteilt, nur die Wahrheit sagen zu können. Vielleicht war es aber auch gar nicht die Wahrheit gewesen, die er gesprochen hatte, weil er einfach nur falsch informiert gewesen war und gar nicht wusste, dass seine Auskunft in der Praxis unmöglich war wegen der Theorie der Anziehung von Gegensätzen bei gleichzeitiger Abstoßung des Gleichen. Das war natürlich auch nur eine dürre Theorie von mir. Trotzdem wollte ich sie ihm gerne auf die Augen binden, damit er alles ganz genau erkennen konnte, bevor er sich von meinem Urteil erschlagen ließ. Aber es kam nicht mehr dazu. Er war schon wieder weg, denn seine Frau wartete mit dem Mittagessen auf ihn. Das war für ihn natürlich ausgesprochen praktisch, dass seine Frau ihn mit diesem abgesprochenen Mittagessenstrick gerettet hatte und für mich ein Glücksfall, weil ich ihn nicht erschlagen musste und mich hinterher um seine Überreste zu kümmern brauchte.
Ich war wieder allein, als wäre es nie anders gewesen. Vor mir erhob sich aus dem Nebel der Erkenntnislosigkeit der Drei-Säulen-Palast, als wäre er aus purer Materie. Ich bewegte mich nicht. Auch er bewegte sich nicht. Abrupt hatte er sein Erheben aus dem Nebel der Erkenntnislosigkeit gestoppt. Er war sehr vorsichtig. Auch ich war sehr vorsichtig. Er sollte mich nämlich nicht bemerken, weil ich ihn observieren wollte. Er verfügte über eine ausgezeichnete Tarnung, die ihn fast unsichtbar werden ließ für ein ungetrübtes Auge. Er war sehr klein. Viel kleiner als sein Name mit den zwei Bindestrichen erwarten ließ. Er versuchte den Eindruck zu erwecken, als könnte gar keine Matratze zwischen seine Säulen hindurch passen. Er wollte wahrscheinlich seine Größe hinter einer harmlosen Kleinheit verstecken. Ich musste hinein, um die Sache zu klären.
Ich verkleinerte mich, bis ich fast verschwunden war und zog außerdem noch sehr enge Hosen an und mein knappes, feingeripptes Unterhemd aus, um meine stark behaarte Brust nicht zu verstecken. Freundlicher Applaus brandete von allen Seiten gegen das Unversteckte und mein Fleisch gewordenes, überdurchschnittliches Sixpack. Ich dankte wie üblich in solchen Situationen meinem Schönheitschirurgen für sein damaliges Komplettangebot zum einmaligen Sonderpreis für vereidigte Ministerpräsidenten.
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