„Wer es aber dennoch schafft“, ging meine engländerseitig unterbrochene Rede weiter, ,,der erhält von mir persönlich einen älteren, übergewichtigen Minister, ein einköpfiges Wahlvolk und obendrauf noch einen fetten Aal und ein Kilo Bananen.“
Da verließ den Engländer seine über unbedenkliche Zeiten so sorgfältig bewahrte Reserviertheit, und er ließ mich tief in die Abgründe seiner Seele blicken.
„Ich kenne da ein Rezept“, rief er mit seinem stolzesten Insulanerstolz, „ da kann ich aus einem fetten Aal und einem Kilo Bananen einen vom Aussterben bedrohten, englischen Pudding herstellen, den man nicht nur sehen kann sondern später auch hören.“
Sofort ließen meine in einem Nu vor Grauen verwelkten Ohren ihre Köpfe hängen angesichts dieser Aussichten. Ich hätte bezüglich seiner Erläuterungen über dieses später nach dessen Nahrungsaufnahme eintretende Phänomen bei unserer geplanten After-Food-Party eigentlich mehr Einfühlungsvermögen und Zurückhaltung von ihm ihnen gegenüber erwartet. Doch hatte er für diese fragilen Wesen kein Ohr und nur seinen vom Aussterben bedrohten Pudding im Sinn. Seine naive Offenheit machte ihn damit für mich und mein Drei-Säulen-Vermächtnis sofort zur großmäuligsten Plaudertasche vor dem Herrn Ministerpräsidenten und gefährdete die Sicherheit meines DSV in unverantwortlicher Weise. Aber seine Euphorie über die geschmacklichen und sonstigen Eigenschaften dieses Puddings hatte wohl seine übliche englische Reserviertheit überflutet wie das Licht der Sonne den friedlich ruhenden Schatten und seine Zunge von den Fesseln der vornehmen Etikette gelöst.
„Moment!“ sagte ich. „Erst mal musst du aber an mein Vermächtnis unter der Matratze heran kommen. Bedenken musst du dabei außerdem, dass du ja überhaupt nichts von dessen Existenz weißt“, bremste ich seine hitzigen, englischen Emotionen auf Teewassertemperatur herunter.
„Aber doch nur in Wirklichkeit“, protestierte der Engländer.
„Nicht nur“ entgegnete ich mit steil erhobenem Langfinger, „sondern auch im Badezimmer.“
„Ist das ein neues Gesetz?“ fragte er.
“Dreimal Nein und wieder Nein“, sagte ich, „es stammt aus jener Zeit, als die Füße noch frei waren und ganz allein und unbeholfen für sich herum laufen konnten und noch nicht an den Beinen festgewachsen waren.“
Der Engländer wurde sehr nachdenklich, zum Glück aber, ohne es sich anmerken zu lassen. Allgemein waren Engländer ja wohltuend diskret, von puddingbasierten Ausnahmen einmal abgesehen.
„Wer weiß denn schon von der Sache mit dem Drei-Säulen-Vermächtnis?“ wollte er wissen.
„Alle“, sagte ich.
„Das passt ja wie ein Auge aufs andere“, rief er aus, „denn ich weiß zufälligerweise, dass alle ganz heiß sind auf den selten gewordenen Pudding, der aus einem fetten Aal und einem Kilo Bananen geklont wird.“
„Ich bin es auch“, sagte ich.
„Bingo!“ rief er.
„Richtig, aber nur ein Puddingbingo, nicht ein Bingo totale.“, sagte ich, um ihn zu entmutigen und ihn nicht mit dem Wind aus dem Ruder paddeln zu lassen. „Du hast doch hoffentlich nicht vergessen, dass Engländer grundsätzlich von Vermächtnissen ausgeschlossen sind, aktiv ebenso wie passiv. Sie müssen sich ausschließlich um den Sport kümmern.“
Jeder wusste das. Nur der Engländer hatte es vergessen. Es war gut, dass ich die Mechanik seiner Erinnerung wieder repariert hatte. Jetzt fiel es ihm wieder ein.
.In der lauen Luft dieser klaren Sachlage, überlegte ich nun mit der unvermeidlichen Intelligenz des vereidigten Ministerpräsidenten, ob die Vermeidung des Unvermeidlichen, so wie ich es einst von meinem alten Meister, dem doppelköpfigen Hamster, gelernt hatte, die beste Strategie war, um damit irgendwelchen utopischen Experimenten von englischen Sportbeauftragten von vornherein die Segel vor die Tür zu setzen. Ich dachte mehrfach darüber nach, ob ich vielleicht ja schon zu viel verraten hatte, als ich den geheimen Rundbrief an alle geschrieben hatte, in dem ich mich als Besitzer des einzigartigen Drei-Säulen-Vermächtnisses geoutet und den noch viel geheimeren Ort seiner Aufbewahrung mitgeteilt hatte. Es sah ganz so aus, als hätte ich mal wieder recht gehabt mit meinen Vermutungen und im Vollbesitz meiner ganzen Intelligenz zu viel verraten. Aber wenn ich mich mit einem Kompromiss blockiert und zu wenig verraten hätte, wäre es auch nicht gut gewesen. Keiner wäre zufrieden gewesen, und die übrigen hätten möglicherweise eine Revolution angezettelt. Was dann mit meinem Drei-Säulen-Vermächtnis passiert wäre, hätte ich mir natürlich mit einer ausufernden, halluzinatorischen Farbigkeit ausmalen können, aber ich wollte nicht, weil ja mein strategisches Konzept ein anderes war und in der Vermeidung des Unvermeidlichen bestand. Darum vermied ich es in diesem Fall kompromisslos, meine unvermeidliche Neugier für meine hochentzündliche Phantasie zu interessieren, um keine bunten Farben aufzuwecken. Es war nämlich gut möglich, dass diese mit irgendwelchen Daten über mein Drei-Säulen-Vermächtnis kontaminiert waren, die meiner Gesundheit gefährlich werden konnten. Ich beschloss deshalb aus gesundheitlichen Gründen, die Strategie der Vermeidung des Unvermeidlichen in den sicheren Papierkorb des Engländers zu werfen, bekannt auch als Korb des ewigen Vergessens. Denn in diesem Fall, wenn ich also mein Wissen über das Versteck des DSV einfach dahinein warf, war selbst meine so ungebändigte Intelligenz unvermeidlich vor jedem nur denkbaren Quotienten und seinem gefährlichen Wissen geschützt, auch nachts im Dunkeln. Ich wusste, dass es besser war, so zu handeln. Die Dramatik dieser Situation hätte sonst am Ende sogar noch Fragen von ganz woanders an den Strand gespült. Mit Recht erwartete nicht nur ich von einem Ministerpräsidenten in einem solchen Fall von ungeschützter Intelligenz mit zusätzlich internationalen Verwicklungen sichere Papierkörbe und unerklärliche Lösungen. Ich packte die ganze Sache deshalb geometrisch an, ohne die Aktion mit meiner langen Hand aufwändig vorzubereiten, sondern setzte gleich meine kurze ein. Mit ihr winkte ich alle herbei, die meinen geheimen Rundbrief erhalten hatten, und nahm mir jeden einzeln in meiner Badewanne vor. Das Ergebnis war eindeutig wie mein Kropf.
Keiner schien trotz meines Rundbriefs irgend etwas zu wissen, weder von dem Brief noch von meinem Drei-Säulen-Vermächtnis. Lag es an der verheerenden Wirkung dieses rein taktisch eingesetzten Korbes des Vergessens, der ein schwarzes Loch ins helle Sonnenlicht gesprengt hatte? Oder spielten mir alle einfach nur ein leeres Gedächtnis vor, überlegte ich parallel mit meinem erst kürzlich eingebauten, modernen, winzigen Zusatzgehirn, das jetzt schon mehr konnte als mein geliebtes, altes, dickes? Doch erwiesen sie sich als Fragen ohne Antwort. Denn die Gesichter aller Warmgebadeten waren so glatt und faltenlos und blieben es, dass selbst mein modernes Zusatzgehirn, beim Versuch durch ihre unbenutzte Oberfläche einzudringen, auf ihrer spiegelnden Schönheit ausrutschte und anschließend zum Friseur musste. Da lachte mein altes, dickes Gehirn und machte sich wieder seine eigenen schlauen Gedanken. Großzügig, wie es schon immer zu mir gewesen war, teilte es seine Schlauheit mit mir intern, ganz intern, damit es intern blieb. Ich stellte fest, dass wir genau gleich schlau waren und dass geteilte Schlauheit, sich besser verteilen ließ als ungeteilte, was einen schönen Input zu einem unansehnlichen Output machen konnte, aber natürlich auch umgekehrt. Das war ein interessanter Gedanke, der es wert gewesen wäre, weiter verfolgt zu werden, aber nun von mir zum Warten verurteilt wurde, weil in diesem Moment sein weit geschwungener Gedankenschweif meinen Fokus auf das Wesentliche nur verunschärft hätte, denn wenn es um Tatsachen ging, gab es in meiner Badewanne keine halben Sachen. Und was ich da sah, bestätigte die Abwesenheit auch der allerkleinsten Halbheit und ließ jeden Zweifel daran genau so erfrieren wie die Adern meiner Teetasse im Gefrierfach meines Kühlschranks.
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