1 ...7 8 9 11 12 13 ...28 Es dauerte ein paar Minuten, in denen ich immer wieder kurz in einen leichten Schlaf glitt, bis sich etwas änderte. Geräusche ... Ein knatterndes, lautes Dröhnen drang an mein Ohr und ich wusste nicht, was das sein mochte. Aber es kam in meine Richtung.
Schnell. Vielleicht ein Goliath? Allerdings waren die im Magierviertel nicht geduldet. Doch nach dem, was ich bis jetzt erlebt hatte, würde es mich kaum verwundern. Das Knattern kam immer näher und war noch eine Häuserecke entfernt. Zu stürmisch für einen Goliath, schoss es mir durch den Kopf.
Schließlich sah ich es. Wie ein Hase brauste ein glühendes und rauchspukendes Geschoss um die Ecke und hielt genau auf mich zu. Erst im letzten Moment schien es mich zu bemerken und wich mir so knapp aus, dass ich das Glühen des Kessels noch auf meiner Haut spürte. Mit einem lauten Quietschen kam das Gefährt zum Stillstand, allerdings außerhalb meines Blickfeldes. Schritte näherten sich mir und ich konnte eine Frauenstimme wettern hören: »Was soll denn das? Bist du lebensmüde? Alles Verrückte hier, typisch Magier! Nenene, das kann doch nicht sein. Da fährt man gemütlich ein paar Runden und dann liegt so ein Kerl auf der Straße rum.«
Die Stimme kam näher heran und ich sah in das hübsche Gesicht einer jungen Frau.
»Brauchst du Hilfe?«, fragte sie mit einem Mal etwas verlegen. Ich guckte ihr tief in ihre dunklen Augen und hatte das Gefühl, mich zu verlieren. Kurz darauf bemerkten wir beide, wie wir uns anstarrten und sie drehte ihren Kopf weg. Trotzdem konnte ich noch eine leichte Röte auf ihren Wangen erkennen. Ich sah bestimmt nicht besser aus.
Ich bemühte mich zu sprechen: »Müde … keine … Kraft mehr ...« Weiteres brachte ich nicht zustande.
Die Frau wandte sich zögerlich zu mir um. Diesmal vorsichtig und sie näherte sich mir nur langsam. Sie legte mir eine Hand auf die Stirn und ich spürte, wie mich mit einem Mal Energie durchströmte.
»Du solltest dich nicht so verausgaben«, sagte sie leise. »Pass bitte in Zukunft besser auf dich auf, ich kann nicht jedem helfen, der auf der Straße liegt. Auch wenn er so gut aussieht, wie …« Mit einem Mal brach sie ab und errötete. Sie hatte scheinbar nicht alle Sinne beisammen. »Das muss genügen«, endete sie nur knapp, sprang auf und lief zu ihrem Höllengerät zurück. Langsam erhob ich mich und konnte am schwarzen Rauch noch sehen, dass sie dröhnend um die nächste Ecke verschwand. Sehr seltsam …
Ich kam ohne weitere Zwischenfälle in der Akademie an. Pünktlich zur ersten Pause. Ich hatte einiges verpasst und nun würde der Unterricht bei einem anderen Professor fortgesetzt werden. Wie sollte ich das nur erklären? Die Akademieleitung musste ja nicht unbedingt wissen, dass ich nicht im Magierviertel wohnte.
»Hey Jonathan!«, rief eine bekannte Stimme nach mir. »Wo warst du denn die ersten Stunden?« Es waren Cloe und Richard, wie immer unzertrennlich beisammen. Nur ich hatte noch gefehlt.
»Meine Güte! Was hast du den ganzen Morgen getan? Wir haben uns Sorgen gemacht, dass du eines der Opfer bist«, gab er zu.
»Was denn für Opfer?«, wollte ich wissen. »Was habe ich verpasst?«
»Nur so ungefähr die spektakulärste Mordserie der Stadt, die es je gab«, prahlte Richard erfreut. Ich musste ihn etwas krumm anschauen, bevor ihm auffiel, was er gesagt hatte. »Oh! Also, ich meine, es ist ja schrecklich, aber trotzdem. Es gab gestern drei Tote unter den Stadtratsmitgliedern. Das ist ja so spannend. Der Mörder wurde noch bis zum Handwerkerviertel verfolgt und hat da Wachleute verwundet. Dann konnte er entkommen. Seitdem sind überall die Tore verschlossen und die Stadtwachen suchen fieberhaft nach Zeugen und Hinweisen.«
Mir wurde mit einem Mal warm und kalt zugleich. Mörder? Verletzte Wachen? Tote Stadtratsmitglieder? Das durfte jawohl nicht wahr sein! Das erklärte so einiges.
Ich gab mich angemessen überrascht und schockiert, Letzteres viel mir nicht einmal schwer: »Oh Mann, haben sie den Täter denn gesehen? Das ist ja schrecklich!«
Doch Cloe wiegelte sofort ab: »Sie haben ihn nicht gesehen. Und mach du nicht so einen auf betroffen! Wir wissen, dass du den Stadtrat nicht magst, niemand mag diese aufgeblasenen Kerle.«
»Tut mir leid, aber ich erzähle euch nachher mehr, wenn der Unterricht beendet ist.« Die Pause war um und ich musste zu meiner ersten Stunde.
Kapitel 6 | Lymle | Die unbekannte Stimme
Lym! Ich schreckte hoch. Als ich mich umsah, blickte ich in zahlreiche fragende Gesichter meiner Mitschüler und ein Paar erwartungsvolle Augen meines Professors, dass ich etwas zum Thema beitrüge.
»Entschuldigung«, sagte ich hastig und setzte mich. Ich sah gebannt auf die Zeichnung im Buch, über die wir derzeit sprachen, bis die anderen sich wieder dem Unterricht zuwandten. Danach sah ich erst auf.
Wer rief mich da eben? Das war doch keine Einbildung gewesen?
Ich blickte durch die Klasse. Niemand von ihnen schien mich gerufen zu haben, niemand sah mich an oder benahm sich anders als sonst. Seltsam. Ich schaute aus dem Fenster. Nichts wirkte verändert – auch da.
Also war es nur eine Sinnestäuschung gewesen? Nein, es konnte keine Einbildung sein. Es war schließlich nicht das erste Mal, dass ich sie in meinem Kopf hörte. Und das Merkwürdige daran: Mein Geist schien sich nicht an diese Stimme zu erinnern, aber mein Herz schlug schneller, wenn ich sie hören konnte.
Als ich den Kursraum wechselte, vernahm ich auf dem Flur zur Sporthalle seltsame Gerüchte über den Mord an drei Stadtratsmitgliedern. Ich wunderte mich, dass diese Nachricht so rasch in Umlauf gekommen war. Wenn es hier jeder wusste und herumerzählte, so mussten auch die restlichen Bürger von Maalan bereits davon erfahren haben.
»Ja, der Mörder soll ins Handwerkerviertel geflohen sein. Die Stadtwachen hat er da angegriffen, angeblich war es ein magischer Angriff!«, hörte ich ein Mädchen erzählen.
»Ein magischer Angriff? Woher weißt du das so genau?«
»Mein Vater arbeitet bei der Wache«, bestätigte sie meine Vermutung. »Aber dieser Zauber … Er soll so gewaltig gewesen sein. Die Stadtwache fürchtet sich richtig. Es gibt kaum mächtige Magier in der Stadt. Niemand weiß, wer das vollbringen könnte. Er muss erst seit Kurzem in Maalan sein. Deswegen wurde alles abgeriegelt, um ihn nicht entkommen zu lassen.«
»Du meinst, der Mörder ist noch HIER!?«, kreischte ihre Freundin entsetzt.
»Doch nicht so laut!«
Ich ging weiter, damit sie nicht erfuhren, dass ich mitgehört hatte. Der Täter war also innerhalb der Stadtmauern eingeschlossen, um ihn systematisch aus seinem Versteck zu locken. Ich biss mir nachdenklich auf die Lippen. Es erschwerte einiges für mich, wenn sie eine Ein- und Ausgangssperre verhängten.
Ich betrat die Umkleide und zog meine engen Schuhe langsam aus. Ich ließ sie mir speziell anfertigen. Ich hatte das starke Bedürfnis, den Boden unter mir zu spüren, sonst fühlte ich mich nicht frei genug. Ich wollte ebenso wenig Schuhe mit dicker Sohle, noch welche, die nicht eng am Fuß saßen, tragen. Es musste alles passen, damit ich mich so bewegen konnte, wie ich es wollte.
Die anderen Mädchen dieses Kurses betraten die Umkleide und redeten wie die Marktfrauen über den Vorfall mit den Stadtratsmitgliedern. Sie verdrehten schon teils Tatsachen mit Spekulationen. Aber eins war sicher: Sie schienen große Angst vor dem Mörder zu haben – und es lag nicht allein an seinen magischen Fähigkeiten.
Moment! Ich war doch dabei gewesen, als die Stadtwachen mit diesem gewaltigen Zauber weggefegt worden waren. Und ich hatte den Täter gesehen. Aber … er sah aus wie der Junge aus einem meiner Kurse. Ich war mir sicher, dass er es gewesen war, den ich gestern Abend beobachtet hatte. Sollte er etwa der Mörder dieser Stadtratsmitglieder sein?
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