Plötzlich klopfte es energisch an der Tür zum Kursraum. Ich sah an dem Schatten, den man hinter der gewellten Glastür erkannte, dass es nur eine Stadtwache sein konnte – keiner trug eine Rüstung außer ihnen. Unser Kursprofessor wandte sich der Tür zu und machte Anstalten, sie zu öffnen.
Ich riss augenblicklich das Glasfenster los und schwang mich auf die Fensterbank. Runter war eine ganz schlechte Idee, schließlich befand sich der Kursraum im fünften Stock der Akademie. Blieb nur noch rauf. Mit einem Satz sprang ich hoch und krallte mich an etwas, das aus der Bedachung ragte. Ich hangelte mich mit letzter Kraft daran empor und stolperte unbeholfen auf das Dach.
Ich hörte die verwunderten Stimmen, wo ich plötzlich hin sei und das Poltern der Rüstungen. Die Stadtwache schien zum Fenster zu rennen.
Ich lief das Gebäudedach entlang und suchte von oben eine Möglichkeit, zu entkommen. Aber es wirkte aussichtslos. Sie durften mich nicht finden. Hätte ich doch nur auf Miss Scarlett gehört und wäre nach der Pause Heim gegangen.
Es polterte an der Tür zum Dachgeschoss. Sie war verschlossen, da es die Regeln untersagten, das Dach zu betreten und trotzdem hatte ich das bedrückende Gefühl, dass das Schloss dem nicht lange standhielt.
Die Gebäude waren allesamt zu weit entfernt oder deren Dächer so tief gelegen, dass ich mir bei einem Sprung trotz Abrollen alle Knochen brechen würde. Fliegen konnte ich nicht.
Ich sah gefasst zur Tür. Ich musste mich dem Kampf offenbar stellen.
Kapitel 7 | Jonathan | Razzia
Ich hatte Cloe und Richard in der Pause alles erzählt, was mir passiert war. Sie reagierten mit Verständnis, doch einen Platz zum Schlafen konnte mir keiner von beiden anbieten. Ihre Eltern akzeptierten es nicht, das wusste ich. Aber ich käme schon zurecht. Ich war ja auch die letzten Jahre im Bettlerviertel über die Runden gekommen. Im Magierviertel oder in einem der anderen inneren Viertel würde es sicherlich schwerer für mich werden, ohne Elternteil eine Wohnung zu finden und vor allem bezahlen zu können. Doch als Magier hatte man das ein oder andere As im Ärmel. Nur musste ich mir meines noch suchen.
Was hatte ich für Möglichkeiten? Ich könnte Zauber verkaufen. Ich besaß ein paar Heilzauber, die sich immer teuer verkauften. Aber die hielt ich besser bei mir, man wusste ja nie, was passierte. Oder sollte ich ein oder zwei der Kampfzauber verscherbeln? Bei dem lichtscheuen Gesindel waren diese Zaubersprüche Unmengen wert, trotzdem hatte ich hier Skrupel, eine solche Macht aus der Hand zu geben. Sollte ich vielleicht Dienstleistungen erbringen mit meinen Zaubern? So war ich in der Lage, ihren Einsatz zu überwachen und auch abzulehnen, wenn mir der Zweck nicht zusagte. Oder ich konnte weitermachen wie bisher und mir das, was ich zum Leben brauchte, zusammenstehlen. Das war allerdings in den letzten Tagen sehr gefährlich geworden. Die Wachen waren zu aufmerksam bei ihrer Jagd nach dem Mörder. Aber was blieb mir sonst noch? In der Alchemie war ich kaum gut genug, um auch nur einen Tee zu brauen und es war zusätzlich das Geschäftsfeld der Technomanten. Die ließen sich nicht gerne in ihre Geschäfte pfuschen. Ich hätte die Möglichkeit, eine normale Arbeit zu finden: In den Docks suchte man immer kräftige Hände. Oder vielleicht eine Anstellung bei einem der Händler. Das wäre leichte Tätigkeit, die besser bezahlt wurde, nur gab es hier kaum freie Stellen. Was konnte ich sonst?
Zaubersigillen herstellen, sagte eine leise Stimme in mir. Doch das war verbotenes Wissen. Meine Eltern hatten mir früh beigebracht, diese zaubermächtigen Zeichnungen anzufertigen und mit Magie aufzuladen. Zumindest einfache Zauber konnte ich nachbilden, die mächtigen Zauberkarten stellten das Erbe dar, das sie mir hierlassen hatten. Es waren kaum Karten davon übrig geblieben. Dabei handelte es sich um einen alten, vergessenen Wissensschatz, den ich nicht weitergeben durfte; es sei denn an meine eigenen Kinder.
Also war auch das keine Alternative.
Während ich so in meinen Gedanken die verschiedenen Pläne für meine Zukunft durchging, lauschte ich nur halb dem Unterricht: Zauberpraxis bei Professor Blue. Ich besaß keinerlei Talent für dieses Fach, war doch die einzige Art der Zauberei für mich das Zeichnen der Sigillen. Ich konnte mir in dem Unterrichtsfach aber auch keine schlechten Noten erlauben, wenn ich zu den Prüfungen zugelassen und ein anerkannter Magier werden wollte. So musste ich halt schummeln. Ich zeichnete immer rasch kleine Sigillen auf eine Ecke meines Schreibblocks und versuchte so, den gewünschten Effekten der gestellten Aufgaben nachzubilden.
Es lief im Grunde alles sehr gut. Ich probierte zuerst, die Techniken wie beschrieben nachzuempfinden, und tat so, als würde ich es wahrlich versuchen, auf diese Art zu zaubern. Doch bei mir brachten Handzeichen und Zauberworte nichts. Stattdessen zeichnete ich meine Sigillen und lud sie mit ein wenig Kraft auf. Es stellte eine angenehme Fingerübung dar, schnell kleine Zauberbilder zu zeichnen. So konnte ich etwas mehr Intuition in meine Magie bringen, die sonst aus strikt vorgegebenen Zauberzeichen bestand. Ich hatte Bücher von meinen Eltern gelesen, die von solchen Zeichen berichteten und die Grundkomponenten für die komplexen Zauber darstellten. Doch ich war darüber hinausgewachsen. Ich zeichnete meine Zaubersprüche intuitiv und ohne Vorlagen aus verstaubten Zauberbüchern. Es dauerte immer etwas, bis es mir gelang, neue Sigillen zu perfektionieren. Nur ein fehlerfreies Zusammenspiel der Kraftlinien konnte starke Magie hervorbringen. Und in diesem Unterricht arbeitete ich an den kleinen Elementarzaubern, die ich entwarf. So sah der Professor nur, wie ich langsam aber sicher mit meinen Zaubern besser wurde, und war zufrieden, auch wenn ich eine andere Technik dazu benutzte, als er es wünschte. Doch was er nicht wusste, würde ihn nicht stören. Auf das Resultat kam es an.
Ich widmete mich abermals etwas mehr dem Unterricht, denn allmählich wurden die Zaubersprüche komplexer und ich musste aufpassen, mich nicht erwischen zu lassen, wie ich zeichnete. Selbst Cloe und Richard durften nichts davon erfahren. Ich warf einen Blick durch die Klasse, um zu erkennen, wie weit die anderen waren. Ich wollte ja nicht auffallen und in der Menge bleiben. Da sah ich auch das Mädchen vom Vorabend. Seit dem Sportunterricht nahm ich sie kaum wahr. Sie saß still auf ihrem Platz und starrte zum Fenster hinaus. Sie schien entkräftet zu sein. Professor Blue sagte nichts dazu und ließ sie in Ruhe.
Der Unterricht war fast vorbei, da bemerkte ich, wie Unruhe in sie kam. Ich hatte das Mädchen beobachtet und mittlerweile wirkte sie sehr angespannt und stierte mit weit aufgerissenen Augen aus dem Fenster. Was mochte sie dort sehen?
Doch ehe ich weiter darüber nachdenken konnte, sah ich es selbst. Die Stadtwache lief im gegenüberliegenden Flügel durch den Kursraum und durchsuchte ihn. Ich wollte mir etwas einfallen lassen, um früher gehen zu können, da ging plötzlich die Tür zu unserer Klasse auf.
Entsetzt bemerkte ich, wie gleich eine Handvoll Wachen bewaffnet in den Kurs kam. Ich blickte zurück und sah, dass das Mädchen von dort verschwunden war. Das Fenster stand offen und ich ahnte, wo sie war. Sie flüchtete schon wieder vor den Stadtwachen, oder irrte ich mich etwa?
Es schrillten laute Pfiffe durch die Luft und die Wachmänner stürmten alle zum Fensterladen, um zu ihren Kameraden zu sehen. Niemand hatte mehr Augen für mich. War sie womöglich die gesuchte Mörderin? Jedenfalls hatte sie es den Wachen mit ihrer offensichtlichen Flucht leicht gemacht, sie hier zu entdecken. Die anderen Schüler wussten nicht genau, was grade eben passiert war und einige stürzten sich in Panik Richtung Ausgang, keiner schien bemerkt zu haben, dass sie auf das Dach geklettert war.
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