lebten, gerade weil sie durch große Tugend und Gnade glänzten, nur um so
wachsamer und demütiger. Die Sicherheit der Bösen aber entspringt dem Stolz und
der Anmaßung und schlägt schließlich in Selbsttäuschung um. Versprich dir niemals
Sicherheit in diesem Leben, mag man dich auch für einen guten Ordensmann oder
einen frommen Einsiedler halten. Die sich im Leben besonderer Hochschätzung der
Menschen erfreuten, sind oft in die größte Gefahr geraten, weil sie zuviel auf sich
selbst vertrauten. Daher ist es für viele besser, dass sie von Versuchungen nicht
gänzlich frei bleiben, sondern öfters angefochten werden, damit sie sich nicht allzu
sicher fühlen, den Kopf nicht zu hoch tragen und nicht zügellos zu äußeren
Tröstungen abschweifen.
3. Wer niemals vergängliche Freude suchte und mit der Welt nichts zu tun haben
möchte, ein wie gutes Gewissen würde der sich bewahren! Wer alle eitle Sorge
ablegte, nur noch an heilsame und göttliche Dinge dächte und seine ganze Hoffnung
auf Gott setzte, welch tiefen Frieden, welche Ruhe würde er kosten! Keiner ist der
Tröstungen des Himmels würdig, der sich nicht eifrig in heiliger Zerknirschung geübt
hat. Willst du bis auf den Grund des Herzens zerknirscht werden, geh in deine
Kammer und verschließe dich dem Lärm der Welt, wie geschrieben steht: "Auf
eurem Lager erwecket Reue" (Ps 4, 5). In der Zelle wirst du finden, was du draußen
so oft verlierst. Stetig bewohnt, wird sie dir lieb, schlecht gehütet, erzeugt sie Ekel.
Wenn du sie zu Beginn deines Ordenslebens treu bewohnst und hütest, wird sie
später deine vertraute Freundin und ein höchst willkommener Trost. Im Schweigen
und in der Ruhe schreitet die hingegebene Seele voran und dringt sie in die Tiefe der
Schriften ein. Dort findet sie die Tränenbäche, worin sie sich allnächtlich wäscht und
reinigt, um ihrem Schöpfer um so näher zu kommen, je weiter sie sich von allem
Treiben der Welt fern hält. Wer sich also von Bekannten und Freunden zurückzieht,
dem naht sich Gott mit seinen heiligen Engeln.
4. Besser ist es, verborgen zu bleiben und für sein Heil zu sorgen, als sich selbst zu
vernachlässigen und Wunder zu tun. Zum Lobe gereicht es dem Ordensmann, wenn
er selten ausgeht, sich nicht gern zeigt und keinen Menschen sehen will. Warum
willst du sehen, was du doch nicht haben darfst? "Die Welt vergeht samt ihrer Lust"
(1 Joh 2, 17). Die Gelüste der Sinne bestimmen dich, spazieren zu gehen, ist aber die
Stunde vorüber, was anderes bringst du heim als ein beschwertes Gewissen und ein
zerstreutes Herz! Ein fröhlicher Ausgang erzeugt oft einen traurigen Heimgang, ein
lustiger Abend gebiert einen traurigen Morgen. So ist es mit jeder sinnlichen Freude:
sie schmeichelt sich ein, und dann beißt und tötet sie.
5. Was kannst du anderswo sehen, was du hier nicht schon sähest? Schaue zum
Himmel, schau auf die Erde, betrachte alle Elemente! Aus diesen ist alles gemacht.
Kannst du anderswo etwas sehen, was von Dauer ist unter der Sonne? Vielleicht
glaubst du dein Genüge zu finden, aber du wirst es nicht erreichen können. Wenn du
auch alles gegenwärtig sähest, was wäre es anders als leerer Schein? Erhebe deine
Augen zu Gott in der Höhe und bete wegen deiner Sünden und Versäumnisse.
Überlaß das Eitle den Eitlen, du aber achte auf das, was Gott dir befohlen hat.
Schließe hinter dir deine Tür und lade Jesus, der dir so lieb ist, zu dir ein. Bleibe mit
ihm in der Zelle; denn anderswo wirst du einen so tiefen Frieden nicht finden. Wärst
du nicht ausgegangen und hättest nichts von den weltlichen Redereien gehört, du
wärst leichter im rechten Frieden geblieben. Seitdem es dich reizt, zuweilen
Neuigkeiten zu hören, musst du damit rechnen, dass du in deinem Herzen von Unruhegequält wirst.
1. Der Reueschmerz entspricht der verbannten, gefährdeten, sündigen Seele.
2. Die Reue setzt die Loslösung voraus. 3. Ohne Reue keine göttliche Tröstung.
4. Zur Reue führt der Gedanke an: Leid, Sünde, Tod, Hölle, Fegfeuer.
1. Willst du vorwärts schreiten, so erhalte dich in der Furcht Gottes. Sei nicht gar zu
frei, sondern halte alle deine Sinne im Zaume und überlass dich nicht einer
ungehörigen Freude. Erwecke von Herzen Reue, und du wirst Hingabe finden. Die
Reue ist der Schlüssel zu vielen Gütern, die Ausgegossenheit bedeutet gewöhnlich
deren schnellen Verlust. Es ist zum Staunen, dass sich der Mensch in diesem Leben
jemals freuen kann, wenn er an seine Verbannung denkt und an die vielen Gefahren,
die seiner Seele drohen. In unserer Leichtfertigkeit und Gewissenlosigkeit gegenüber
unseren Fehlern haben wir das Gefühl für den elenden Zustand unserer Seele
verloren. Wir lachen oft ohne Anlaß, wo wir zu Recht weinen sollten. Es gibt keine
wahre Freiheit und keine edle Freude außer in der Gottesfurcht und im guten
Gewissen.
2. Glücklich, wer alles, was ihn hindert und zerstreut, abwerfen, sich zum Einswerden
heiliger Zerknirschung sammeln kann. Glücklich, wer sich von allem loslöst, was
sein Gewissen beflecken oder belasten kann. Streite männlich! Gewohnheit wird
durch Gewohnheit überwunden. Wenn du es verstehst, die Menschen in Ruhe zu
lassen, so werden sie auch dich in deinem Tun nicht stören. Mische dich nicht in
fremde Dinge, und kümmere dich nicht um die Händel der Großen. Achte immer
zuerst auf dich und ermahne vor allem dich selbst, mehr als alle, die dir lieb sind.
3. Wenn du die Gunst der Menschen entbehrst, werde nicht traurig, das aber nimm dir
zu Herzen, wenn du nicht immer so gut und so vorsichtig wandelst, wie es sich für
einen Diener Gottes und einen frommen Ordensmann geziemt. Es ist dem Menschen
oft dienlicher und sicherer, dass er in diesem Leben nicht viele Tröstungen empfängt,
besonders dem Fleische nach. Doch dass wir den göttlichen Trost gar nicht oder nur
selten empfinden, ist unsere eigene Schuld. Wir bemühen uns nicht um die
Zerknirschung des Herzens und geben den Trost der äußeren Dinge, der doch so
vergänglich ist, nicht auf. Wisse: Du bist des göttlichen Trostes unwürdig, aber
Trübsal in Menge hast du umso mehr verdient.
4. Ist ein Mensch völlig zerknirscht, dann ist ihm die ganze Welt lästig und bitter. Der
gute Mensch findet Grund genug zu trauern und zu weinen. Ob er an sich selbst denkt oder an den Mitmenschen, er weiß, dass keiner hier ohne Trübsal lebt. Und je genauer er sich betrachtet, umso größer wird sein Leid. Unsere Sünden und Fehler bieten Anlass genug zu begründeter Trauer und zur inneren Zerknirschung. Wir sind derartig in sie verstrickt, dass wir uns nur selten imstande fühlen, die himmlischen Dinge zu betrachten. Dächtest du öfter an dein Sterben als an ein langes Leben, du würdest weit eifriger an deiner Besserung arbeiten. Wenn du überdies die zukünftigen Qualen der Hölle und des Fegfeuers mit Herz und Gemüt erwägen wolltest, ich glaube, du nähmst gern Mühen und Leiden auf dich und schrecktest vor keiner Strenge zurück.
Weil uns aber diese Gedanken nicht zu Herzen gehen und unsere Liebe jenen Dingen
gilt, die uns schmeicheln und locken, bleiben wir kalt und maßlos träge. Oft ist es
Mangel an Geist, daß sich der elende Leib so leicht beklagt. Bete darum demütig zum
Herrn, er möge dir den Geist der Zerknirschung verleihen, und sprich mit dem
Propheten: "Speise mich, Herr, mit dem Brote der Tränen und tränke mich mit dem
Tranke der Tränen in reichem Maße" (Ps 80, 6).
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