Für jede der erwähnten Ellen verläuft der Tag anders, denn mehr Gemeinsamkeiten, als dass sie zufällig den gleichen Vornamen tragen, haben sie nicht. Doch völlig unabhängig davon, wie individuell sich der Tag für jede von ihnen gestaltet; der elektronische Datenfluss, der um den Erdball jagt, der ist gleich.
In den Nachrichten der Medien spiegeln sich die eingehenden Daten wider. Die zentrale Frage dreht sich dabei, wie könnte es anders sein, überwiegend um ein Thema: Werden die drei Raumschiffe wie geplant zu ihrer Mission aufbrechen. Die Wetterprognosen sind nicht gut. Schlimmer noch, rund um den Globus nehmen die tektonischen Aktivitäten deutlich zu. Wieder einmal schwankt der Boden bedrohlich im Iran; im Norden Italiens treiben leichte Erdstöße die Bewohner aus den Häusern; und der Ätna? Da würde man sich doch eher wundern, wenn der einmal nicht auf sich aufmerksam macht.
Da erstaunt es nicht sonderlich, dass auch in San Francisco der eine oder andere Tisch zu wackeln beginnt.
Gerade will Caroline Edwardson sich aus ihrem bequemen Bürostuhl hochdrücken, um in der Chinatown von San Francisco einen ihrer Lieblingssnacks zu sich zu nehmen, da bimmelt und piepst es unentwegt aus den vor ihr aufgebauten Rechnern.
„Frank“, ruft sie nach ihrem Kollegen, „schau mal bitte; entweder ist die Datenleitung überlastet oder die Rechner sind von einem Virus befallen.
„Hey, ganz ruhig Carol, bei mir spielt auch alles verrückt. Lass uns die Rechner einfach mal runterfahren und wenn wir aus Chinatown zurück sind, fahren wir sie wieder hoch und alles geht seinen normalen Gang. Wahrscheinlich ist der Wok mit Deinem Menü überlastet, weshalb die Rechner bei uns den Geist aufgeben“, lacht Frank.
Caroline und Frank sind Mitarbeiter eines geologischen Instituts in San Franzisco. Mit ähnlichen Stationen sind sie nicht nur innerhalb der USA, sondern rund um die Welt, ständig online in Kontakt. Gleich ob es Erdbewegungen sind, weil sich die Erdplatten unentwegt hin und her schieben oder das Wetter irgendwo verrückt spielt, sie bekommen die Daten, werten sie aus und geben sie an höhere Stellen weiter. Jeden Tag Daten nichts als Daten, per Fax, per E-Mail oder direkt im 3-D-Format auf den Bildschirm. Dabei passiert nicht laufend etwas Gravierendes. Das letzte richtig große Beben fand vor einigen Jahren wieder einmal in Japan statt.
Wichtig ist die Station auf jeden Fall, denn San Francisco, mit seiner Nähe zur Andreas-Verwerfung, ist von ständigen Erdbeben bedroht. Das letzte große Beben von 1989 und mit 7,1 auf der Richterskala war schon sehr heftig und für die Zukunft wird ein deutlich schwereres Beben erwartet. Nur wann, das steht in den Sternen, niemand kann die Zeit festmachen, wann das Ereignis eintreten wird. Also wird weiterhin fleißig beobachtet und versucht alles zu registrieren, was sich auf dem Erdball, in der Luft oder in den Tiefen der Meere so zuträgt.
Zwar ruft die Mittagsstunde nicht jeden gleich zu einem Snack nach Chinatown, doch ansonsten gibt es auf der Welt viele Gemeinsamkeiten bei denen, die sich mit der nicht enden wollenden Betriebsamkeit unseres Planeten befassen. Darum tickert es überall weiter in den Datenleitungen und überall stellt sich die Frage danach, ob die Datenleitungen überlastet sind oder die Rechner einfach nur spinnen. Heute ist eben ein ganz besonderer Tag.
Der Eine geht seiner beruflichen Beschäftigung nach, derweil genießen andere die freie Zeit. Unser Planet folgt seit jeher ganz eigenen Gesetzen und wir haben gelernt, damit mehr oder weniger gut umzugehen. Wenn dann ein Thermostat in einem Thermalbad in Reykjavik scheinbar seinen Geist aufgibt, ist das nicht unbedingt ein Grund, nervös zu werden.
„Die sind einfach nur wunderschön“, jauchzt Ellen im größten Schuhgeschäft der Stadt, „die behalte ich gleich an; was meinst Du, Harald?“
Nach fast zwei Stunden in dem Laden und nach unzähligen anprobierten Schuhpaaren, die alle einfach nur wunderschön sind, ist Haralds Stimmung keineswegs auf dem Tiefpunkt angelangt. Doch, da seine bereits nach dem ersten gesichteten Paar geäußerte Zustimmung keinen Erfolg brachte, ist er sich nicht sicher, ob seine Meinung überhaupt einen Einfluss auf Ellens Kaufentscheidung hat.
„Du hast einen ganz erlesenen Geschmack, liebe Ellen, und dieses Paar bringt vorteilhaft zur Geltung, was für einen heißen Feger ich an meiner Seite habe“, schmeichelt er somit und hofft inständig, dass dieses Paar Schuhe nun wirklich das Wunderschönste ist.
„Du bist ein Schatz, Harald. Wenn sie Dir so gut gefallen, dann werde ich sie auch gleich tragen. Jetzt müssen wir aber auch los, sonst haben wir nicht mehr viel von unserem freien Tag.“
„Genau meine Gedanken, die ich schon vor mehr als einer Stunde hatte“, schmunzelt Harald in sich hinein. „Komm Ellen, lass uns den Schuhkarton mit den alten Schluffen eben nach Hause bringen, damit wir die Hände frei haben und dann gehen wir zur Therme.“
Daheim angekommen, bewundert Harald seine Liebste wie sie, geschmeidig und hübsch anzusehen, in dem neuen Schuhwerk durch die Wohnung tippelt.
„Liebling, meinst Du nicht auch, wir sollten es uns hier noch ein wenig gemütlich machen, bevor wir zur Therme gehen? Zeit hätten wir genug.“
„Harald!“, kommt es kokett über Ellens Lippen, „jetzt, um diese Uhrzeit, ich wusste gar nicht, dass Schuhkaufen so anregend auf Dich wirkt. Vielleicht sollten wir das des Öfteren machen. Aber im Ernst, lass uns lieber jetzt bei diesem schönen Wetter zur Therme gehen und alles andere heben wir uns für heute Abend auf.“
Wie Jungverliebte tummeln sie sich bereits kurze Zeit später in dem warmen Wasser der Therme, dessen Temperatur um einiges höher liegt als die der sie umgebenden Luft. Möglich wird das Planschen im Freien durch den Wasserreichtum der Insel und den sehr aktiven Vulkanismus, der die Wärme liefert. Denn Island befindet auf dem Mittelatlantischen Rücken und damit sowohl auf der Nordamerikanischen, als auch auf der Eurasischen Platte. Diese Platten entfernen sich jährlich etwa zwei Zentimeter voneinander. Der bereits erwähnte Gesteinsnachschub aus der Island-Plume verhindert Schlimmeres.
„Harald, nicht; nicht hier, bitte“, flüstert Ellen sich selbst korrigierend, ihrem Liebsten ins Ohr.
Der freie Tag und die entspannte Atmosphäre scheinen, neben der angenehmen Wärme der heißen Quellen, nicht nur Harald zu stimulieren, der mit seinen Händen, unterhalb der Wasserlinie, Ellens Körper streichelt.
„Ich möchte jetzt auch raus aus dem Wasser, mir ist richtig heiß.“ „Dir ist oder Du bist?“, kommt es anzüglich fragend von Harald zurück.
„Nein, Du Lustmolch, Du hast schon richtig gehört, mir ist heiß, als wenn die Wassertemperatur um einige Grad zugelegt hätte. Du kannst aber noch gerne etwas im Wasser bleiben, ist vielleicht besser, als wenn Du in diesem Zustand aus dem Wasser steigst und die Leute auf Dich aufmerksam werden“, lacht Ellen frivol und sucht Abkühlung unter der kalten Dusche.
Immer mehr werden es, die nach und nach der so herrlichen Wärme der Therme entsteigen. Auch Harald verlässt den Badesee mit den Worten: „was ist das heute heiß“.
Ein neben ihm stehender fremder Badegast geht mit einem: „fast schon wie in der Sauna, das Wasser ist so heiß, da kannst Du Eier drin kochen“, auf Harald ein.
Die Beiden schauen sich an und beginnen auf Grund der zweideutigen Bemerkung herzhaft zu lachen.
„Ja dann, nix wie ab unter die kalte Dusche“, hängt Harald noch einmal daran.
„Komm Ellen, lass uns zurückgehen und den Tag gemütlich ausklingen lassen. Ich habe noch eine Flasche mit Hochprozentigem, die mir ein Kollege der Band mitgebracht hat, damit können wir uns innerlich ein wenig anwärmen. Vielleicht gehen wir Morgen noch einmal zur Therme; einige freie Tage bleiben uns noch.“
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