Sanchez ist stolz, eine dermaßen liebe und gebildete Frau an der Seite zu haben, die sehr viel Wert auf ihr Äußeres legt. Die ausgeprägten hohen Wangenknochen, verleihen dem schmalgeschnittenen Gesicht einen besonderen Reiz. Um die insgesamt natürliche Schönheit noch ein wenig mehr zur Geltung zu bringen und um Sanchez damit eine Freude zu bereiten, hat Ellen für den heutigen Nachmittag vier Stunden in einer Wellnessoase des besten Hotels am Ort vorgesehen.
Beide gehen sehr liebevoll miteinander um und als besondere Eigenart haben sie es beibehalten, sich in den eigenen Räumen ausschließlich auf Spanisch zu unterhalten.
Mit beiden Händen stemmt sich Sanchez kraftvoll vom Frühstückstisch hoch.
„Mein Herz, ich mach mich auf den Weg zur Firma, zu Mittag werde ich mit unserem Einkaufsleiter in einem nahegelegenen Restaurant essen. Dir wünsche ich heute einen wunderschönen Tag; kaufe Dir das hübsche Kleid, das Dir so gut gefallen hat und lasse Dich im Hotel recht ordentlich verwöhnen. Dein Nochmehr an Schönheit werde ich später genau betrachten und mit einem guten spanischen Rotwein werden wir darauf anstoßen.“
„Sanchez, Du alter Schmeichler, es ist schon gut, dass ich Deine Sekretärin kenne und sie nicht zu fürchten brauche. Bis nachher und fahre vorsichtig.“
Natürlich hat Sanchez einen Chauffeur, aber gelegentlich fährt er gerne selbst, gerade jetzt, wo die Limousine aus Deutschland erst wenige Wochen alt ist. Trockenen Fußes erreicht er die Garage; Manuel hat fleißig die Platten gefegt.
Selbstverständlich fährt Sanchez vorsichtig, der Wagen ist neu und die Straßen sind voll, zudem hat er Zeit, schließlich ist er der Chef.
Wie anders dagegen stellt sich der Tagesablauf doch dar, wenn man im Venedig des Nordens aufwacht. Dermaßen schwärmerisch wird die alte Zarenstadt gerne in Reiseführen beschrieben.
Etwa vierhundert Kilometer östlich der großen Metropole erblickte Ellen Tschernakova vor zweiundzwanzig Jahren das Licht der Welt. Und selbst jetzt, im einundzwanzigsten Jahrhundert, scheint in diesem Dorf abseits der großen Städte die Zeit stehengeblieben zu sein. Ihre Eltern wohnen noch immer hier, in dem Ort mit den alten verfallenen Häusern. Westliche Touristen werden bei diesem Anblick in eine ach so romantische Stimmung versetzt. Von Romantik ist jedoch hier nicht viel zu spüren, wenn das alltägliche Leben stattfindet. Die Alten bekommen eine geringe Rente, wenn sie denn ausgezahlt wird, für die Jungen gibt es keine Arbeitsplätze. Die Straßen sind löchrig, Stromkabel hängen wild in der Gegend herum und maximal ein Zehntel der Straßenbeleuchtung nimmt ihren Dienst auf, wenn die Dunkelheit hereinbricht.
Nicht unbedingt wie zu Urzeiten, doch wie in früheren Jahrhunderten besteht in diesem Dorf die tägliche Existenz aus dem Kampf ums Überleben. Im größten Land, welches unseren Planeten schmückt und das, wie kaum ein anderes, mit Reichtümern der Natur überschüttet ist, wird nicht jeder satt. Wie einst Stammesfürsten, so herrschen nun Clans und teilen den vorhandenen Reichtum unter sich auf.
Deutlich weniger als andere Großmächte bereit sind, für die Vernichtung der eigenen Art auszugeben, fließen dennoch Milliarden des Landesreichtums in den Militärhaushalt. Deutlich zuviel, wenn andere um ihr tägliches Brot betteln müssen. Während die Einen sich eine Luxuslimousine, natürlich in gepanzerter Ausführung leisten, die leicht den Wert eines deutschen Reihenhauses überschreitet, stehen andere an, um eine dünne Kartoffelsuppe auf den Tisch zu bringen.
Nein, so möchte Ellen Tschernakova nicht leben. Wie viele Gleichgesinnte ihres Alters verließ sie das Dorf und machte sich auf Richtung Westen; nur die Alten blieben zurück.
Wohlproportioniert und durchaus nett anzusehen, ist es Ellens größter Wunsch eine Karriere als Model zu starten. Soetwas gelingt nicht auf dem Dorf, dazu muss man in die Metropolen. Ellen und Model, dass ist ungefähr so, als würde ein gepflegter und gut gestriegelter Mustang von Cowboy Mike aus Idaho/USA versuchen, den edlen Rössern eines Königshauses am Persischen Golf den Rang abzulaufen.
Doch der Beruf Model, das ist nicht nur der Laufsteg, auf dem sich die bekanten Schönheiten der nicht minder bekannten Modehäuser treffen. Model ist mehr eine allgemeine Berufsbezeichnung für jene Damen, die es nie zum Laufsteg schaffen werden, sich aber dennoch zu einem Bekanntheitsgrad hocharbeiten möchten. Mit diesen Gedanken im Kopf und den erforderlichen Attributen in der Bluse erreicht Ellen Sankt Petersburg.
Auf vierundvierzig Inseln im Mündungsgebiet der Newa erbaut, beeindruckt diese Stadt mit ihren prachtvollen Palästen und ihren 540 Brücken, weshalb sie eben gerne das Venedig des Nordens genannt wird. Kaum angekommen in dieser Stadt, nahm Ellen rasch ihre Arbeit auf und stürzte sich in das Nachtleben dieser, mit etwa vier Millionen Einwohnern, nördlichsten Millionenstadt der Erde. In Discotheken und angesehen Clubs erschloss sie sich mit ihrer freizügigen Art recht schnell einen neuen Bekanntenkreis und traf auf Pjotr.
Pjotr Romanov hat trotz seines vielversprechenden Nachnamens keinerlei Verbindung zum bekannten russischen Adelsgeschlecht, das einst den Zaren stellte. Vielmehr ist sein Werdegang eher mit dem von Ellen zu vergleichen. Auch Pjotr wuchs in einem kleinen Dorf auf, wo er als Bauernsohn in jungen Jahren auf dem Feld behilflich war. Die folgende Militärzeit zeigte ihm deutlich die besondere Lebensführung in einer diktatorisch geführten Demokratie auf, was ihn seelisch verkümmern ließ oder wie er es selbst nennt, hart machte.
Nach dem Militärdienst wollte Pjotr nur noch eines, in die City, nach Sankt Petersburg, um richtig Business zu machen. Wie er es schaffte, mit siebenundzwanzig Jahren mehrere Millionen sein Eigen zu nennen, ist allen ein Rätsel. Mehrere Millionen US-Dollar natürlich. Dollar und Euro, dass ist Russlands Währung für jene, die es geschafft haben und im Business mitmischen; der Rubel ist die Währung der Alten, die in den Dörfern leben oder in den Metropolen um Brot betteln müssen.
Seinen Eltern spendierte Pjotr eine supermoderne Datscha im heimischen Dorf, aufs Feld müssen sie nicht mehr. Die Frage nach seinem plötzlichen Reichtum umgeht er geschickt, indem er den Eltern dauernd etwas vom Business vorquasselt. Was verstehen die beiden Alten schon davon; sie sind einfach nur stolz auf Pjotr.
Der hat sich in Sankt Petersburg, in einem der alten Häuser, mehrere Wohnungen zugelegt, sie mit Durchbrüchen zu einer machen lassen und auf das Beste ausgestattet. Knapp vierhundert Quadratmeter nennt er nun sein Eigen; ausreichend Platz für Freunde aus dem Swinger-Club, wo er auch Ellen lieben lernte. Bei der Größe der Wohnung kann er nun getrost auch einmal Daheim richtig abfeiern. Es versteht sich von selbst, dass Pjotr zudem eine deutsche, auf Geländewagen getrimmte Luxuskarosse besitzt. Die gepanzerte Ausführung natürlich, denn Business in Sankt Petersburg ist sehr gefährlich.
Seit zweieinhalb Jahren bewohnen Ellen und Pjotr gemeinsam dieses traute Heim. Das ist auch genau der gleiche Zeitraum, in dem Ellen ihre Eltern nicht mehr zu Gesicht bekam. Sie hat noch nicht das eigene Geld verdient, um den Eltern einen sorgenfreien Lebensabend zu ermöglich. Vielmehr hat sie sich für Pjotr und mit Hilfe seiner Dollars selbst baulich insofern verändert, dass sie die Erkenntnis erlangte, dass das heimische Dorf einfach nicht reif genug ist, um das Erscheinungsbild eines solchen Models verarbeiten zu können. In die Lippen, die Brüste, Po und Schenkel, eben überall wo ausreichend Platz für Silikon zur Verfügung stand, ließ sie sich dieses Material spritzen.
Liebevoll nennt Pjotr sie wegen ihres Plastikaufbaus und mit Erinnerung an sein erstes preiswertes Auto auch mein Trabbi . Den Tag verbringen sie alleine oder mit Freunden in den beschaulichen vier Wänden, schauen Pornos oder hängen im Whirlpool ab. Erst am frühen Abend geht es raus zum Essen, in die Clubs und natürlich, um Business zu machen. Tagsüber wird nur relaxt; man hat schließlich Zeit.
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