Torsten Riedel
Bratwurst am Stiel
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Titel Torsten Riedel Bratwurst am Stiel Dieses ebook wurde erstellt bei
Schlüpferfrei und Spaß dabei
Wembley für ganz Arme
Muss (Auto)Liebe schön sein
Freie Bahn für freie Bürger
Bratwurst am Stiel
Mallorca
Der Fressmarathon
Yeti lebt
Alles geht einmal zu Ende
Päckchen zum Glück
Impressum neobooks
Schlüpferfrei und Spaß dabei
Mein Wecker klingelt. Es ist genau 6:05 Uhr und damit Zeit zum Aufstehen. Wie jeden Morgen habe ich das Gefühl, dass ich gerade erst eingeschlafen bin und mir mein Wecker einfach nur einen dummen Streich spielen will. Die provozierend grün blinkenden Zahlen auf dem Display überzeugen mich dann aber doch, dass es die kleine hupende Dose ziemlich ernst mit mir meint. Ich versuche vergeblich meine Augen zu öffnen. Jemand muss mir heute Nacht eine komplette Ladung Kleister ins Gesicht geschüttet und anschließend mit einem Bautrockner ausgehärtet haben. Sämtliche Regionen meines Gesichts scheinen total verkrustet zu sein. Ich hebe meinen Kopf wie eine Landschildkröte, die gerade aus dem Winterschlaf erweckt ist und drehe ihn dabei in alle Himmelsrichtungen. In meinem Rücken knackt und knirscht es wie in einem Eichenwald bei Windstärke 8. Nach einem kurzen Blick auf den etwas regnerischen und grauen Morgen entschließe ich mich, noch für ein oder zwei Minütchen unter meiner kuscheligen Decke liegen zu bleiben. Es gibt Menschen, die würden in einer solchen Situation behaupten, dass sie von ihrem inneren Schweinehund besiegt worden wären. Für mich hat es beinahe einen therapeutischen Charakter in meiner alltäglichen fast schon schizophrenen Situation. Das morgendliche Ich verlangt von mir liegen zu bleiben und irgendwann später zur Arbeit zu gehen, während das abendliche Ich trotzdem wieder den Wecker auf 6:05 Uhr stellt, damit ich auch ja nichts von meinem Arbeitstag verpasse. Der einzige Haken an dem therapeutischen Selbstversuch ist allerdings, dass mein Wecker keine Schlummertaste hat.
Als ich das nächste Mal die Augen öffne, ist es schon 6:45 Uhr. Ein wenig erschrocken und noch halb benommen springe ich aus dem Bett und renne auf direktem Weg unter die Dusche. Ich reiße mir die Shorts von den Hüften und lasse mir das lauwarme Nass über den Kopf plätschern. Um ein wenig Zeit zu sparen, kippe ich mir die grüne wohlduftende Sommerfrische gleich bei laufendem Wasser über den Kopf und verbinde so den Wasch- und den Spülgang. Im Anschluss an meinen Schnellwaschgang stecke ich mir meine elektrische Zahnbürste in den Mund, wodurch das gleichzeitige Abtrocknen und Anziehen aussieht, als ob ich einen traditionellen Fruchtbarkeitstanz aufführen wollte. Um genau 6:54 Uhr ziehe ich meine Schuhe an und lasse die Tür ins Schloss fallen. Ich schaue auf meine Uhr und stelle fest, dass ich gerade einen neuen persönlichen Rekord aufgestellt habe. Ich habe es noch nie in unter zehn Minuten geschafft, mich aus der Waagerechten in einen halbwegs arbeitsfähigen Zustand zu versetzen. Trotz meiner Eile betätige ich wie üblich fünfmal die Klinke, nur um sicherzugehen, dass ich die Wohnung auch wirklich richtig abgeschlossen habe. Seit die Polizei bei uns im Keller einen semiprofessionellen Fahrradschieberring ausgehoben hat und ein etwas dubioser Freund meiner Nachbarin mitten in der Nacht in Handschellen abgeführt wurde, brauche ich das irgendwie für mein inneres Sicherheitsgefühl.
Im Treppenhaus steigt mir die wohlbekannte Duftmischung aus Pumakäfig und Biberhöhle in die Nase, gegen die selbst die übergroßen, weit aufgerissenen Fenster nicht ankommen. Zweifelsohne ist der Bodenbelag daran nicht ganz unschuldig. Den würde wahrscheinlich jedes Labor liebend gern als Nährboden für die Aufzucht von Bakterienkulturen aufkaufen. Es herrscht eine beinahe gespenstige Stille. Die meisten Bewohner in diesem Haus sind Studenten. Es wird wohl mindestens noch zwei, drei Stunden dauern, bis auch sie widerwillig unter ihren Decken hervorgekrochen kommen. Der Einzige, den ich auf meinem Weg durchs Treppenhaus antreffe, ist ein Überbleibsel der letzten Nacht, der es sich auf einer der breiten Fensterbänke gemütlich gemacht hat. Offensichtlich stört er sich nicht im Geringsten daran, dass ich gerade durch sein provisorisches Schlafzimmer laufe. Er liegt regungslos auf der harten Steinplatte und schnarcht leise vor sich hin.
An der großen Glastür zur Straße ist es augenblicklich mit der Ruhe vorbei. Die allmorgendliche Blechlawine bahnt sich hupend und kreichend ihren Weg über den grauen Asphalt. Stoßstange an Stoßstange schiebt sich ein Auto nach dem anderen die Straße entlang, so dass nicht einmal mehr ein Stück Papier zwischen sie passen würde. Zum Ärgernis des Fahrers eines blauen Kleinwagens ist ans Linksabbiegen in eine der abzweigenden Straßen nicht zu denken. Kaum tut sich eine Lücke auf, wird diese schnellstmöglich wieder mit einem kräftigen Ruck und einer anschließender Vollbremsung geschlossen. Der Gesichtsausdruck und die Lippenbewegungen des erregten Kleinwagenfahrers lassen erahnen, dass er die kreuzenden Verkehrsteilnehmer dafür nicht unbedingt mit Sympathiebekundungen überschüttet. Die Insassen der fahrenden Barrikaden stieren teils einfach nur geradeaus, teils wirken sie so, als müssten sie den Gang nach Canossa antreten. Auf dem ohnehin schon sehr engen Fußweg drängen sich unaufhaltsam Fahrradfahrer in atemberaubenden Geschwindigkeiten an mir vorbei. Es scheint gerade so, als wollten sie die inoffizielle Meisterschaft um den idiotischsten und rücksichtslosesten Bordsteinrowdy auf zwei Rädern gewinnen. Einige von ihnen sehen mit ihren hautengen Oberteilen wie fliegende Presswürste aus. Ich versuche, mich möglichst aus der Schusslinie zu bringen und keinem der zweirädrigen Psychos vor das Vorderrad zu laufen, was angesichts der eingeleiteten Tiefflugphase der Zweiradreiter gar nicht so einfach ist. Warum gibt es eigentlich nur Schutzhelme für die Fahrradfahrer und nicht auch für die armen Opfer, die in der Ideallinie gerade mal als besseres Freiwild taugen?
Die Situation an der Fußgängerampel gleicht einem Massenstart bei der Tour de France. Ich bin mir nicht sicher, ob es jetzt gerade ein guter Zeitpunkt wäre, mich durch die Massen zu drängen und mir einen Platz in der ersten Reihe zu suchen. Spätestens in der nächsten Grünphase würde ich es bereuen, auf meine Rechte als emanzipierter Fußgänger bestanden zu haben. Ich bleibe lieber hinter dem Hauptfeld stehen und hoffe darauf, dass ich nicht von einem der Spätstarter aus dem Verfolgerfeld überrollt werde.
Erst jetzt merke ich, dass ich eigentlich ziemlich hungrig bin. Angesichts der Tatsache, dass ich gestern Abend die letzte Mahlzeit zu mir genommen habe und ich gerade Hals über Kopf aus der Wohnung geflüchtet bin, ist dies auch nicht weiter verwunderlich. Bei meiner Wohnungswahl muss mein Unterbewusstsein genau diesen einen Tag im Sinn gehabt haben. Auf meinem Arbeitsweg liegen ganze acht Bäcker. Im Prinzip würde mir aber auch schon einer genügen, da ich die anderen ohnehin nur von außen kenne.
Im Laden stehen fünf Kunden vor mir. Die kleine Schlange kommt mir nicht ganz ungelegen. Dadurch habe ich noch ein wenig mehr Zeit für meine Auswahl. Leider funktioniert das eingespielte Verkäuferduo so hervorragend, dass ich es gerade so schaffe, die Warenauslage einmal zu überblicken, bis ich ohne jede Vorankündigung aus meiner Versunkenheit gerissen werde.
„Guten Morgen, bitte?!"
Eine der beiden netten Bäckereifachverkäuferinnen lächelt mich fordernd an. Sie scheint zu dieser morgendlichen Unzeit wahrhaft auch noch eine spontane Antwort zu erwarten. Als ob ich mir schon am Abend vorher Gedanken machen würde, was ich am nächsten Morgen beim Bäcker bestellen möchte. Gerade beim Essen ist es wichtig, seine Bedürfnisse genau zu hinterfragen und sich abwechslungsreich zu ernähren.
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