Meine Angst galt Fariba, die nach wie vor hinter Jussuf herjagte, als würde sie das alles nichts angehen. Sie war ihm jetzt ganz dicht auf den Fersen, ihr ausgestreckter Arm, berührte beinahe die Kapuze seiner Windjacke.
Weitere Schüsse peitschten auf. Ich sah, wie Jussuf ins Straucheln geriet, keine Sekunde später schien auch Fariba ins Stolpern zu geraten.
Ich reckte meine Waffenhand in die Luft und gab zwei Warnschüsse ab. Die Menschen um mich herum stoben schreiend auseinander. Ich hatte endlich freie Schussbahn und nahm den Schützen ins Visier. Unterschwellig nahm ich noch wahr, wie Fariba und Jussuf zu Boden gingen.
Ich konzentrierte mich jetzt ganz auf den Schützen, dessen Oberkörper noch immer halb aus der Schiebetür des Vans hing. Ich zog durch, zwei Mal, zielte jedoch ein klein wenig zu hoch. Shit ! Mein Atem flog mit meinem Puls um die Wette, ich versuchte verzweifelt, das Zittern meiner Finger auszugleichen, um einen gezielten Schuss abzugeben. Vergeblich!
Vor mir tat sich was. Der Kerl verschwand von der Tür und die Bremslichter des Vans erloschen. Ich hielt den Atem an und jagte zwei weitere Schüsse in das Fahrzeuginnere; Glas zersplitterte, ein Fluchen war zu hören.
Eine Sekunde später heulte ein Motor auf und der schwarze Van schoss mit durchdrehenden Hinterrädern davon.
*
»Nicht schlecht! Du bist gut, wirklich gut …«, murmelte der Pilot, während er die Überwachungsdrohne auf einem Hausdach landete. Er korrigierte die Einstellung der Kamera und zoomte das Bild noch etwas näher heran. Perfekt! Besser konnte es gar nicht laufen. Er hatte jetzt freie Sicht auf das Geschehen – der Winkel vom Dach war wie geschaffen, um die Straße und den Bürgersteig im Auge zu behalten.
Der Pilot nahm noch ein paar kleinere Verbesserungen vor, dann verband er das Tablet mit dem Acht-Zoll-Navigationsgerät, seines Wagens.
»Wie im Kino«, prustete er, »während du dir einen abzappelst, sitze ich hier und schaue gemütlich zu.«
Er lachte erneut, als er das enttäuschte Gesicht von Mark Feller sah, nachdem der schwarze Mercedes das Weite gesucht hatte. Feller war noch ein paar Schritte hinter dem Van hergelaufen, hatte dann jedoch eingesehen, dass er mit seinem Hinkebein keine Chance hatte, an dem Fluchtwagen dranzubleiben.
»So ein Pech aber auch!« Der Pilot grinste und notierte sich das Kennzeichen des Fluchtwagens. Es war immer gut zu wissen, mit wem man es bei einem Auftrag zu tun hatte oder vielleicht irgendwann zu tun bekam. Eine gute Vorbereitung war der Schlüssel zum Erfolg. Nur Amateure und Idioten gingen unnötige Risiken ein.
Sein Blick klebte weiter an Feller, der jetzt über die Straße humpelte, um nach seiner Kollegin zu schauen.
»Du hast mächtige Feinde, mein Freund«, murmelte er, während er beobachtete, wie sich Feller über die Polizistin beugte und etwas zu ihr sagte.
Er griff neben sich und angelte vom Beifahrersitz den schmalen Pappschnellhefter.
»Fariba Sedate«, las er leise, »vierunddreißig, ledig, Hauptkommissarin beim Landeskriminalamt. Gebürtige Iranerin, soso … Also, wenn ich du wäre, Mark, würde ich niemanden trauen. Auch nicht ihr.«
Der Pilot legte den Schnellhefter zurück und ließ seinen Gedanken freien Lauf. Normalerweise war es ihm egal, wer ihn für welchen Auftrag engagierte. Er tat seinen Job und verschwand danach wieder von der Bildfläche.
Doch in diesem Fall lagen die Dinge ein klein wenig anders. Er hegte den Verdacht, dass die Informationen, die er heute Morgen erhalten hatte, von staatlicher Stelle stammten. Was bedeutete, dass sein Auftraggeber entweder einen Maulwurf beim BND hatte oder – und das bereitete ihm wirklich Kopfzerbrechen – ein anderer Geheimdienst hinter der Sache steckte. Anders konnte er sich nicht erklären, woher sein Auftraggeber wusste, was Feller für den heutigen Morgen auf der To-do-Liste stehen hatte.
So oder so , dachte der Pilot, während er in die Spiegel schaute und die Umgebung checkte. Du musst aufpassen, dass du nicht zwischen die Mühlsteine gerätst. Das Letzte, was du jetzt brauchst, sind selbstverliebte Geheimdienstarschlöcher, die dich nach getaner Arbeit zum Abschuss freigeben .
*
Faizah lag ganz still; sie wagte kaum zu atmen. Keinen Meter von ihrem Versteck entfernt, standen der Mann und die Frau, vor denen Tahire und sie geflüchtet waren. Die beiden unterhielten sich, doch das bisschen Deutsch, das sie bislang erlernt hatte, reichte nicht aus, um sie zu verstehen.
Die Frau redete mehr als der Mann; was für eine verkehrte Welt , dachte Faizah, als ihr bewusst wurde, dass die Frau das Sagen hatte.
Vorsichtig zog sie die Luft ein und spähte durch das Loch in der dünnen Blechwand.
Nur einen Blick , dachte sie.
Sie hatte die Schüsse gehört und Tahires gequälten Aufschrei – man brauchte nicht viel Fantasie, um sich auszumalen, was geschehen war.
Nur einen Blick , dachte sie erneut, einen winzigen Blick . Du musst wissen, wie die Mörder aussehen, wenn du Tahire rächen willst .
*
»Deinen Gürtel, schnell gib mir deinen Gürtel, Mark. Wir müssen sein Bein abbinden, er verliert zu viel Blut.«
Ich riss den Ledergürtel aus den Schlaufen meiner Jeans und hielt ihn meiner Kollegin hin.
»Nein, nein, mach du. Ich kann die Hände nicht von der Wunde nehmen, er verblutet uns sonst.«
Ich schlang den Gürtel um Jussufs rechten Oberschenkel und zog kräftig zu; er stöhnte leise, schien jedoch nicht bei Bewusstsein zu sein.
»Lassen Sie mich mal, ich bin Arzt.«
Ich schaute auf und richtete meine Waffe auf den Mann, der aus dem Kreis der Schaulustigen herausgetreten war. »Bundesagent … bleiben Sie stehen.«
»Hey, ich will nur helfen.«
»Zeigen Sie mir Ihren Ausweis. Aber schön langsam!«
Der Mann, ungefähr in meinem Alter, griff mit spitzen Fingern in die Innentasche seines Sakkos und fischte eine braune Geldbörse hervor. Ich ließ ihn keine Sekunde aus den Augen.
»Mark!« In Faribas Stimme schwang Verärgerung mit. »Wir haben für so was jetzt keine Zeit. Ich krieg die Blutung nicht gestoppt. Lass den Mann machen, er hat gesagt, er ist Arzt.«
Mein Blick zuckte zu Fariba, die verzweifelt versuchte, Jussufs stark blutende Schusswunde mit den Fingern abzudrücken.
»Lassen Sie mich zu ihm. Noch kann ich helfen …«
Freund oder Feind? Ich konnte den Mann, der von sich behauptete, ein Arzt zu sein, nicht recht einordnen. Er sah sympathisch aus, trug einen Anzug, teure Schuhe und ein blütenweißes Hemd. Er hatte jenen Lifestyle, der den anderen Menschen in seinem Umfeld signalisierte: Schaut her, ich habe es zu was gebracht!
»Mark!«
Andererseits … Jussufs Alkbari war ein wichtiger Zeuge. Sein Leben zu schützen, stand für mich an erster Stelle. Ich traute dem Kerl nicht, wollte ihn nicht in Jussufs Nähe lassen.
»Maaark …«
Faribas Verzweiflung gab den Ausschlag. Ich trat wortlos zur Seite und gab den Weg frei. Mister Ich-hab-es-zu-was-Gebracht trat vor, meine Waffenhand folgte seiner Bewegung. Ich war auf alles gefasst, als er neben Fariba auf die Knie sank und sofort begann, Jussufs verletztes Bein zu untersuchen. Es geschah schnell und professionell. Er erteilte Fariba ein paar Anweisungen und zeigte ihr, wie sie das Bein mit dem ledernen Gürtel richtig abzubinden hatte.
Sirenengeheul in der Ferne. Ich nahm es als sicheres Indiz dafür, dass die Kavallerie am Anrücken war. In ein paar Minuten würde es hier vor Polizisten nur so wimmeln. Bei einem Schusswechsel im Stadtgebiet wurde ganz automatisch Großalarm ausgelöst.
Ich behielt die Schaulustigen weiter im Auge, während ich in Gedanken die letzten Minuten noch einmal Revue passieren ließ. Wir hatten heute Morgen – ungewollt – für eine Menge Wirbel gesorgt, was im Umkehrschluss bedeutete, dass wir uns auf der richtigen Fährte befanden.
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