Wenig später stand Traigar verlegen vor einem hölzernen, mit heißem Wasser und Seifenschaum gefüllten Bottich im Privatgemach des Wirtes. Verlegen deshalb, weil Myra sich im Zimmer befand, ihn erwartungsvoll ansah und keine Anstalten machte, ihn allein zu lassen. Er räusperte sich geflissentlich. Die junge Frau lachte:
„Wenn du darauf wartest, bis ich gehe, wirst du nie in die Wanne steigen. Bolder hat mir den klaren Auftrag erteilt, dich eigenhändig zu schrubben. Du hast als Herumstreuner wahrscheinlich wenig Übung in der Kunst der Körperpflege, deshalb bezweifle ich, dass du ohne Hilfe wirklich sauber wirst. Stell dich also nicht so an. Ich wirke vielleicht nicht so, aber ich bin verheiratet und habe zwei Kinder. Da werde ich wohl wissen, wie ein Mann ohne Kleider aussieht.“
„Dann dreht Euch aber wenigstens um.“
Myra zuckte amüsiert mit den Schultern und wandte sich ab. Nachdem Traigar sich versichert hatte, dass kein Spiegel in der Ecke stand, in dem sie ihn beobachten konnte, schälte er sich schnell aus seinen schmutzigen Kleidern und stieg in den Bottich, wobei er einen leisen Schrei ausstieß, denn das Wasser war noch sehr heiß. Dennoch setzte er sich rasch und war nun bis zum Hals im Schaum verborgen. Die Frau drehte sich zu ihm um, in der Hand einen Schwamm und ein kantiges Stück Seife.
„Nun tauche erst einmal unter und wage nicht, deinen Kopf wieder herauszustrecken, bevor ich mein Lied zu Ende gesungen habe.“
„Aber –„
„Keine Widerrede. Läuse und Wanzen sind zäh. Wir müssen sie ertränken, sonst wirst du sie nie los.“
Er konnte gerade noch tief Luft holen, da drückte sie auch schon seinen Kopf unter Wasser. Dann hörte er sie singen, ohne allerdings ein Wort ihres Liedes, das sich wie ein melodisches Gurgeln anhörte, zu verstehen. Nach der dritten Strophe oder so hielt sie ihn immer noch unter Wasser gedrückt. Panik überkam ihn. Er musste unbedingt atmen. Er versuchte sich hochzustemmen, aber sie setzte ihr ganzes Gewicht ein, und so schlug er um sich und fing an zu strampeln. Da ließ sie seinen Kopf los. Traigar schoss aus dem Wasser und schnappte nach Luft.
Sie kreischte, halb lachend, halb empört:
„Sieh nur, du hast mich ganz nass gespritzt! Mein Lied war noch gar nicht zu Ende. Hast du gedacht, ich ließe dich ertrinken?“
Danach wusch sie ihm die Haare, seifte ihm Gesicht und Hals ein und pulte mit einem Holzstückchen den Schmalz aus seinen Ohren. Traigar musterte sie verstohlen. Sie wirkte aus der Nähe nicht mehr wie ein Mädchen. Da bemerkte er: Eine erwachsene Frau stand vor ihn, der das Leben erste Spuren ins Gesicht gezeichnet hatte. Neugierig erkundigte er sich:
„Ihr sagtet, Ihr hättet schon einen Ehemann und Kinder in Euren jungen Jahren?“
„So jung bin ich gar nicht mehr. Ich zähle bald dreißig Jahre, und ich habe eine süße Tochter von fünf und einen kleinen Bengel von zwei Jahren. Ich denke, es werden noch einige mehr werden, denn Bolder ist sehr fleißig im Bett.“
„Bolder, der Wirt? Aber er hat doch einen fast erwachsenen Sohn!“
„Du meinst Fitz? Dessen Mutter bin ich nicht. Sie ist im Kindbett gestorben, als sie ihn zur Welt brachte. Und erwachsen ist er noch lange nicht, wenn auch sehr groß für sein Alter. Ich hoffe, er wächst nicht noch mehr, sonst müssen wir die Türstürze herausschlagen. Schon jetzt stößt er sich beinahe jeden Tag den Kopf daran.“
„Erzähle mal von dir“, fuhr sie nach einer kurzen Pause fort. „Wie alt bist du, und woher kommst du?“
„Ich heiße Traigar, das wisst Ihr ja schon. Ich bin siebzehn Jahre alt und stamme aus einem kleinen Dorf namens Stonewall.“
„Nie davon gehört.“
„Es liegt an der östlichen Grenze, Hunderte von Meilen entfernt, im Gebirge.“
„Dann bist du also schon einige Tage unterwegs?“
„Genauer gesagt, drei Jahre. Solange bin ich schon nicht mehr zu Hause gewesen.“
Zum ersten Mal zeigte sich Myras Miene ernst.
„Ein Junge in deinem Alter sollte nicht allein umherziehen. Du musst doch Heimweh haben. Fehlen dir deine Eltern nicht?“
„Meine Mutter ist tot, und mein Vater hat mich verstoßen.“
Dabei drückte sein Gesicht aus, er sei nicht gewillt, das Thema weiterzuverfolgen. Die junge Frau respektierte das, und so unterhielten sie sich über belanglosere Dinge. Sie erzählte ihm kichernd Scherze und sang ihm noch ein Lied vor. Als sie jedoch Anstalten machte, ihn mit einem scharfen Messer zu rasieren, protestierte er energisch.
„Eines Mannes Zier ist sein Bart!“
Wieder lachte sie.
„Bolders Zier ist etwas ganz anderes, allerdings wollte er auch nicht, dass sie ihm jemand stutzt. Ich hole dir jetzt ein paar Sachen von Fitz zum Anziehen. Ich denke, mit dem restlichen Teil von dir wirst du ohne meine Hilfe fertig.“
Myra drückte ihm Seife und Schwamm in die Hand und ließ ihn allein.
Einige Zeit später stand er auf dem erhöhten Podest des Tanzbodens, der auch als Bühne für Darbietungen aller Art diente. Der Schankraum war bis auf den letzten Platz gefüllt. Die Gäste blickten ihn erwartungsvoll an. Auch Bolder und Myra standen im Hintergrund und beobachteten ihn. Traigar fühlte sich nervös. Er wollte dem Wirt und seiner Frau für ihre Großherzigkeit eine gute Vorstellung bieten und durfte sie nicht enttäuschen. Allerdings beabsichtigte er, nicht zuviel von seiner Kunst preiszugeben, denn morgen war der entscheidende Tag. Heute wollte er seinen Konkurrenten – von denen durchaus welche unter den Gästen sitzen mochten – noch keinen Hinweis auf sein wahres Können geben. So ließ er sich aus der Küche einige scharfe Messer bringen und begann zu jonglieren, erst mit dreien, dann mit vieren und schließlich mit fünfen. Die Messer flogen immer höher, berührten beinahe die Decke des hohen Saals. Traigar schloss die Augen. Dann schwirrten auf einmal alle Messer gleichzeitig durch die Luft und stürzten auf ihn herab. Mit immer noch geschlossenen Augen brachte er sich mit einem Salto rückwärts in Sicherheit. Die Messer blieben zitternd im Holzboden stecken, genau da, wo er einen Augenblick vorher gestanden hatte. Das Publikum machte große Augen. Nach einer kurzen Stille regten sich erste Hände, dann badete er im ersehnten Applaus.
Bolder eilte nach vorne, mit Schweiß auf der Stirn, und bat ihn, doch etwas weniger Gefährliches zu zeigen. Und so griff Traigar dem Wirt ans Ohr und zog zum Vergnügen der Gäste eine gestopfte Tabakspfeife heraus. Aus dem anderen Ohr fischte er einen wachsgetränkten Holzspan, kratzte sich mit ihm am Hintern, wobei der Span entflammte. Damit zündete er die Pfeife an und steckte sie Bolder in den vor Staunen offenen Mund. Nach einem Moment der Verblüffung grinste der Wirt über das ganze Gesicht, zog heftig an der Pfeife und stolzierte paffend durch die lachende Menge. Sein triumphierender Gesichtsausdruck wollte sagen: Na, habe ich euch vielleicht zuviel versprochen?
Traigar öffnete seinen Beutel und fischte eine kleine durchbohrte Holzkugel heraus. Er tat nun so, als würde er eine lange, unsichtbare Schnur an dem Ball befestigen. Dann stellte er Blickkontakt zu einem Zuschauer mit wachen Augen her, der an einem Tisch in der dritten Reihe saß, und rief ihm zu: „Fang!“, als er den Holzball warf. Der Mann schnappte die Kugel geschickt aus der Luft.
„Nun zieh“, befahl der junge Gaukler. Sein unfreiwilliger Gehilfe hatte verstanden und bewegte die Holzkugel nach hinten, so, als ob er damit an der Schnur zöge. Traigar, der so tat, als hielte er das andere Ende des fiktiven Fadens immer noch in der Hand, bewegte seinen Arm wie erzwungen nach vorn und mimte dabei Anstrengung. Der Mann „zog“ noch mehr, und Traigar täuschte einen stolpernden Ausfallsschritt vor, scheinbar, um auf den Beinen zu bleiben. Das Publikum lachte. Dann hob er die Hand: „Nur straff halten!“, bat er seinen Partner unter den Zuschauern. Aus dem Beutel nahm er einen aus Draht und bunter Seide hergestellten Paradiesvogel, der am Kopf einen kleinen Haken besaß. Er gab vor, den Vogel an der Schnur aufzuhängen, und ließ ihn los. Der schwebte nun in der Luft. Ein Raunen ging durch den Raum. Traigar hob langsam den Arm, der die Schnur zu halten vorgab, und der Vogel folgte dem vermeintlichen Gefälle, glitt immer schneller über die Köpfe der vorderen Gäste hinweg und landete schließlich in der Hand seines freiwilligen Mitspielers, der vor Schreck die Kugel fallen ließ.
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