“ Gib mir deine Hand! ”
“ Wozu? ”
Ich tue es. Sie nimmt die Hand, dreht die Innenfläche nach außen und streicht mit dem Finger darüber, als wolle sie etwas darauf schreiben. Es kitzelt. Dann nimmt sie den Lippenstift und malt ein Herz darauf, ein Herz, von einem Messer durchbohrt. Ich blicke sie erstaunt an.
“ Was soll das? ”
“ Nicht s weite r ... ich mus s jetzt gehen. Sehen wir uns mor gen? ”
“ Morgen? Ja, gut.”
“ Sagen wir, um... acht Uhr, hier? ”
“ Einverstanden.”
Sie erhebt sich, macht eine rasche Kusshand und verschwindet zum Ausgang hin.
Ich kenne dieses Verhalten schon. Ich sehe ihr nach. Sie bewegt sich leichtfüßig. Ihr schwarzes Täschchen aus Schlangenhaut-Imitat schaukelt im Takt ihrer Schritte. Es erinnert mich an etwas aus meiner Knabenzeit, und ich sehe es mit Wohlgefallen. Ich denke daran, dass sie mir bei unserer ersten Begegnung nicht sonderlich aufgefallen war, als Frau, meine ich. Dennoch schien sofort unfassbar klar, dass wir uns wieder sehen würden. Und es geschah also.
Kim ist, wie sich herausstellt, keine Japanerin. Ihr Vater ist Franzose, die Mutter Laotin, ein Halbblut also. Indochina Krieg. Sie ist aber in Frankreich aufgewachsen. Ihre Familie lebt in Bordeaux . Sie ist nach Paris gekommen, weil sie frei sein wollte, wie sie sich ausdrückt, gegen den erklärten Willen ihrer Eltern, vor allem den Willen ihres Vaters. Bislang hat sie in Bars oder Cafés gearbeitet oder eben wie jetzt als Platzanweiserin. Ich blicke zur Uhr und zahle. Ich habe noch eine Verabredung mit Carlos.
Es war Carlos, der mir den Kontakt vermittelte. Er wusste, dass ich dringend Geld brauchte. Nachdem ich mich telefonisch angemeldet hatte, fuhr ich mit der Metro bis zur Station Victor Hugo . Die angegebene Adresse lag in der Avenue Victor Hugo . Ich war nicht aufgeregt, denn ich erwartete nichts. Ich war neugierig.
Es war eines dieser hochherrschaftlichen Wohnhäuser, an deren Eingang einen ein großes schmiedeisernes Tor erwartet und in die man nur über die Concièrge oder einen Zahlencode gelangen kann. Ein Dienstmädchen ließ mich in die Wohnung, die in einem der oberen Stockwerke lag, hinter einer massiven, anonymen Tür aus dunklem Holz,(Namensschilder sucht man in diesen Häusern vergebens) und geleitete mich in einen Vorraum, der ein Wartezimmer hätte sein können. Er war karg möbliert. Ich blieb erst stehen und setzte mich danach in einen Bauhaus -Stuhl, starrte auf eine Bodenvase mit Trockenblumen und wartete auf das Hereinrollen des Operationstisches.
Endlich erschien Jemand, eine junge Frau. Ich öffnete ein wenig den Mund, nicht um etwas zu sagen, sondern einfach so. Es war nicht Grace Kelly , die im Türrahmen auftauchte, aber es hätte ihre kleine Schwester sein können. Sie trug ein bleigraues, schlichtes Kostüm, und es stand ihr so ausgezeichnet, wie ihr jedes beliebige andere Kleidungsstück auch gestanden hätte.
“ Monsieur Imka? ”
“ Der bin ich.”
“ Mei n V ater lä sst sic h noch für ein paar Minuten entschuldigen. Er wi r d Sie dann gleich empfangen.”
“ Ah ja... danke. ”
“ Kann ich Ihnen in der Zwischenzeit etwas anbieten, einen Tee oder einen Kaffee? ”
“ Oh... einen Kaffee vielleicht. ”
“ Bon. Ich werde dem M ä dchen Bescheid geben. ”
Damit entschwand sie wieder. Das also war Ariane Edelman, die Frau, mit der Carlos einmal verlobt gewesen war. Ich war porentief beeindruckt.
Den Kaffee hätte ich ganz in Ruhe austrinken können, was ich nicht tat, um nicht versehentlich innerhalb der nächsten Minuten aufs Klo zu müssen, denn bis ich abgeholt wurde, rann einiger Sand durch die Uhren. Da mir die Exverlobte von Carlos das Geleit gab, sah ich, von ihrem Anblick und ihrer Gegenwart getröstet, darüber hinweg, widmete mich dafür umso ausgiebiger dem geschmeidigen Bewegungsablauf ihrer vollkommenen Hüften, während ich ihr durch zwei weitere Räume und über eine metallene Wendeltreppe in das nächst höhere Geschoß folgte, eine Wegführung, die man zwischen diesen greisen Mauern nicht unbedingt vermutet hätte. Offenbar war hier nachträglich ein Durchbruch zwischen zwei Etagen geschaffen worden.
Wir erreichten am Ende der Treppe einen klösterlich anmutenden Raum. Der Fußboden war schwarzweiß gefliest, die Wände chremig lackiert, es gab nur ein schmales, mit schwarzen Stoff abgehängtes Fenster und davor eine Art Altar, zu dessen Seiten hölzerne, buntbemalte Figuren mit dämonischen Fratzen ins Zeitlose starrten.
Meinen erstaunten Blick bemerkend, klang mir zur Linken die melodische Stimme meiner Begleiterin ans Ohr, und als ich sie anschaute, sah ich von ihren Lippen erstmalig ein schwaches Lächeln abperlen.
“ E s sin d chinesische Heiligenstatuen , Ha n Dynastie . Mein V ater sammel t sie.”
“ Ah bon.”
Während ihr Mund noch lächelte, wurde der Blick, den ich von ihr auffing, zu Heliumgas und so spiegelglatt, dass man darauf hätte ausrutschen können. Wie könnte man, überlegte ich, der jungen Dame wohl imponieren? Sollte ich versuchen, ein Rad zu schlagen, oder es vielleicht mit einem Zitat aus Z arathustra probieren?
“ Ic h lasse Sie jetzt allein, mei n V ater wi r d gleich z u Ihnen kommen.”
Und wieder rauschte sie davon. Ich hustete. Vom Fenster her, das einen Spalt weit geöffnet war, hustete es zurück, ein Windzug, der eine leichte Prise Straßenlärm mit sich führte und so gar nicht in die heilige Stille dieses heiligen Raumes hineinpassen wollte.
Dann kam Dr. Edelman. Der Mann trug eine schwarze Binde über dem linken Auge, aber nicht allein deshalb hatte er etwas von einem Seebären. Sein Händedruck glich einem Schraubstock, war so fest, dass es mich schmerzte, sein Barthaar so weiß und dicht, dass es einem Pelz glich. Es war kurz rasiert wie das Haupthaar, das nur noch an den Seiten seines kantigen Schädels überlebt hatte. Er trug einen Anzug aus hellem Leinen, dazu geflochtene Schuhe, beides, so schätzte ich, norditalienischer Herkunft, Cherruti vielleicht oder V alentino . Seine Augen hatten das nämliche klare Bergseegrün wie die Augen seiner schönen Tochter. Er war groß, größer als ich und doppelt so breit. Der weiche Bass seiner Stimme hätte mühelos jedes Opernhaus ausmessen können. Es gibt Menschen, bei deren Anblick es schwer fällt zu glauben, dass sie jemals jung waren und andere, dass sie je alt werden. Edelman zählte zur ersten Gattung.
Er bat mich in das anliegende Zimmer, es schien sein Arbeitszimmer zu sein und wir setzten uns, er auf der einen Seite eines Schreibtisches, der überraschend altmodisch und von Papieren überladen war, ich auf der anderen Seite. Die Sessel, auf denen wir saßen, hatten geschnitzte, hohe Lehnen, wahrscheinlich gleichfalls Sammlerstücke.
Читать дальше