Reinhold Zobel
Oberlicht
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Inhaltsverzeichnis
Titel Reinhold Zobel Oberlicht Dieses ebook wurde erstellt bei
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Impressum neobooks
Es ist fünf Uhr morgens, und der Wind hat gedreht. Unruhiger Schlaf. Hinter dem offenen Fenster rauscht es. Es ist die Straße. Das Hotel liegt an der Rue de Rivoli . Es ist laut, und das Hupen der Automobile klingt mir im Halbschlaf nach dem fernen Hornruf einer dunklen Prophezeiung. Ich träume von Paco und Lisa. Sie sitzen in einem Luftschiff, produzieren Seifenblasen. Paco ist der ältere Bruder von Fred.
Als gestern mit Verspätung der Ersatzzug in Paris, in die Gar e du No r d einlief, war ich durstig und müde. Es hatte eine Schneeblockade auf der Strecke gegeben. In Belgien. Mit dem Taxi ließ ich mich ins Hotel fahren. Erst einmal richtig ausschlafen, dachte ich. Fred würde warten müssen, ehe ich ihm berichten konnte…
Am folgenden Tag nehme ich Kontakt mit unseren spanischen Partnern auf. Das Büro, in das ich bestellt werde, liegt im Osten der Stadt, nahe der Metro-Station Gambetta . Eigentlich sollte ich hier ja Manuel treffen, doch der ist nicht da. Er hat mir eine Nachricht hinterlassen, die mir einer seiner Kollegen mit einem Lächeln stumm überreicht. Ich nehme den Briefumschlag entgegen, öffne ihn. Darin finde ich einen Autoschlüssel und die in Englisch gehaltene Mitteilung, dass Manuel Paris leider habe kurzfristig verlassen und nach San Sebastian fliegen müssen, sein Bruder sei erkrankt. Ich möge doch seinen Peugeot nehmen und weiter nach Agen fahren…
Ich begab mich in eine Brasserie, um etwas zu essen, kaufte dann eine Straßenkarte von Frankreich und rief Fred in Berlin an, um ihm die Neuigkeiten zu übermitteln. Anschließend setzte ich mich in Manuels Auto, das direkt vor dem Büro geparkt war und machte mich auf in Richtung Süden, in Richtung Agen . Ich nahm nicht die mautpflichtige Autobahn, sondern die Landstraße. Leider hatte ich die Gemengelage auf dieser Strecke unterschätzt. Lastwagen auf Lastwagen. Vorwärts in Zeitlupe. Gegen Mittag war ich erst auf der Höhe von Orlean s .
Dann kam der Nebel. Er brachte den Verkehr fast zum Erliegen. Der Schweiß brach mir aus. Die Scheinwerfer des lichtschwachen Peugeot reichten kaum mehr als ein paar Meter weit, ich fürchtete jeden Augenblick, den Wagen gegen ein Hindernis zu setzen. So ging es über Stunden. Wenigstens lag hier kein Schnee. Da es Winter war, wurde es aber früh dunkel. Erschöpft machte ich am späten Nachmittag eine Pause auf einem der seltenen Rastplätze. Ich wollte nicht mehr weiter. Vielleicht, dass sich bald ein halbwegs annehmbares Quartier finden ließ, wo ich die Nacht verbringen konnte.
Als ich in die nächste Ortschaft einfuhr, hatte sich zwar der Nebel verabschiedet, dafür regnete es jetzt. Ein Regen, der in der aufkommenden Dämmerung zu Ruß mutierte. Der Ort wirkte kraftlos, ja erdrosselt. Ehe ich mich versah, hatte ich ihn durchfahren und blickte auf ein angrenzendes Waldstück. Der Regen wurde stärker. Ich sah ein Hinweisschild, sowie eine Toreinfahrt. Ein hôpital . Das massive Eisengitter der Einfahrt stand offen. Ich parkte davor. Mit einem Röcheln erstarb der Motor des Peugeot . War das hier noch das Abendland? Ich wusste es nicht. Vielleicht wusste es das kleine M ä dchen mit den Streichh ö lzern .
Das Gelände hinter dem Eisentor war umzäunt. Ich schritt die sandige Auffahrt entlang. Nach wenigen Metern besetzte ein grober Steinquader mein Gesichtsfeld, offenbar das Hauptgebäude des Krankenhauses. Bernsteingelbes Licht rutschte mir über die Stufen des Eingangsportals entgegen. Ich stieg die Stufen hinauf zur Eingangstür und betätigte die Klingel, die seitlich angebracht war. Wenig später schwang die Tür lautlos nach innen auf. Parbleu! Wurde ich erwartet? Ein Hopi im blauen Arbeitskittel trat aus der Empfangsloge im Flur und auf mich zu.
“ V ous d é si r ez, M‘ sieur? ”
“ V erzeihen Sie, ich such e , ehm, ein Hotel. ”
“ Ein Hotel? ”
“ Ja . Ich bin f r emd hie r , auf der Dur ch r eise. D a ich es noch weit habe und ersch ö pft bin, wol l te ich am Ort ü bernachten. ”
“ Da werden Sie kein Glü ck haben. Es gibt nur eine kleine Pension, und die hat geschlossen. ”
So war das also. Etwas ratlos blickte ich die überlangen, beidseitig abzweigenden Korridore entlang. Die Wände waren blassgrün. Es roch klinisch, süßsauer, und unter dem Linoleum des Fußbodens, so argwöhnte ich, wucherte postglaziale Zahnfäule. Ich stand neben einer betagten Kommode, über ihr hing ein Marienbild, auf ihr dämmerte eine Blumenvase, aus deren Hals ein Strauß verdorrter Margeriten ragte, selbstvergessen, und in dem trüben Licht der Flurleuchten wirkte das einstige Weiß der Blüten kalkig, halbseiden, verstummt, Abglanz ausgefranster Kaiserträume auf aschegrauem Zelluloid.
Ich erwartete nichts. Aber mir war flau im Magen. Und ich wollte ein weiches Federbett. Ein Lämpchen glühte auf, über der Pförtnerloge. Der Blaukittel sah es auch. Seine Miene blieb ausdruckslos. Er musterte mich mit der Schärfe eines Seziermessers. Ich stellte eine weitere Frage.
“ Sagen Sie, ist das hier ein Allgemeines Krankenhaus? ”
“ Das ist kein Krankenhaus. ”
“ Nicht? Ich dachte... wo doch am Tor d ieses Schild hängt...”
“ Es war einmal ein Krankenhaus: Jetzt ist es ein Pflegeheim, für Alte und Gemütskranke.”
“ Ah bon.”
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