Dann kam Fred aus England zurück. Er war dorthin gegangen, um ein Praktikum zu machen, hatte es aber auf halber Strecke abgebrochen. Mit ihm verstand ich mich auf Anhieb. Ich kannte ihn vorher nicht. Er wohnte zunächst wie ich bei seinem Bruder. Wir, also Fred und ich, kamen rasch überein, zu zweit auf Wohnungssuche zu gehen, wie wir überhaupt in der Folge eine Reihe unserer Aktivitäten bündelten und miteinander vereinten.
Fred zeigte sich als lebhafter, als sportiver Typ. Er suchte regelmäßig ein Fitness Studio auf, Einrichtungen, die zu dieser Zeit überall in Berlin pilzgleich aus dem Boden sprossen, und er hatte Spaß daran, mit Altmetall herumzubasteln. Manchmal begleitete ich ihn auf Schrottplätze, wo er zielsicher tonnenweise Blechteile zusammenklaubte, aus denen er später dann in seiner Werkstatt, einer alten Garage, skurrile Fantasiemaschinen erschuf. Er konnte sich, wie es mir vorkam, überhaupt mehr für Altmetall erwärmen als für die Jurisprudenz.
Einer sah die neue Entwicklung mit gemischten Gefühlen. Paco nahm es mir offenbar übel, dass sein jüngerer Bruder und ich uns so gut verstanden. Er wurde wortkarger, wenn wir miteinander sprachen, er interessierte sich zunehmend weniger für das, was ich tat oder sagte, ja, manchmal hätte man meinen können, er ginge mir aus dem Weg. Die Stimmung im Hause Ehrenfels war streckenweise ziemlich gereizt, da war es ein Segen, als Fred und ich endlich eine Wohnung im Wedding fanden und ausziehen konnten. Etwas Neues mochte von nun an beginnen.
” Interessiert dich nicht, was ich dir vorlese? ”
” Das 18. Jhdt. , meinst du.”
” Ja, zum Beispiel. ”
” Nicht zwingend. ”
” Mir erscheint es spannend und aufregend, es ist eine Epoche, die kulturell eine bezaubernde Frische ausstrahlt, auch Anmut, Grazie und in der sich noch so viele unverbrauchte Ideen finden lassen.”
” Da s mag so sein .”
Ich saß mit Lisa morgens beim Frühstück zusammen. Ihre auch für Mitte Dreißig noch mädchenhaften Gesichtszüge kräuselte ein feiner Wellenkamm aus hellen Sommersprossen, ihr naturblondes Haar fiel nicht mehr wie früher in langen, meist staubtrockenen Strähnen über ihre Schultern, sie hatte es auf Bubenlänge kürzen lassen, was ihr aber, wie ich fand, ausgezeichnet stand.
Während sie Müsli mit Joghurt aß, häufte ich Rührei, Schinken und gebratenen Speck auf meinen Teller. Was sie ins Schwärmen versetzte, war ein Artikel, der sich mit der Kunst des 18. Jhdts.befasste, und aus dem sie mir vorhin unaufgefordert auszugsweise vorgelesen hatte. Ich konnte ihr ja in manchem beipflichten. Aber ich hatte keinen rechten Zugang zu dergleichen historischen Ausflügen, wie ich auch die historischen Romane nie gemocht hatte, die sie und ihr Mann so liebten, eines der raren Interessen übrigens, denen die beiden mit vergleichbarer Leidenschaft nachgingen. Sicher, dachte ich bei mir, man sollte sein Herz ruhig an irgendeine Sache hängen, denn sonst landet das Herz womöglich im Dunkelsack.
Lisa war in letzter Zeit oft rastlos und ratlos. Sie schien auf der Suche nach etwas, ohne recht zu wissen, was sie suchen sollte und wo. Das war mein ganz persönlicher Eindruck. Auch Paco zeigte Anwandlungen von innerer Unruhe, wenngleich selten. Seine Gedanken und Anstrengungen galten im Allgemeinen dem Geschäft. Ihm konnte es kaum unterlaufen, dass er unvermittelt von geistigen Abenteuern oder dem Aufbruch zu neuen Ufern träumte.
Doch eines Tages, es war zu einer Zeit, als ihn eine böse Hepatitis heimsuchte, fuchtelte er überaschend mit einer Lektüre vor meiner Nase herum, aus der er eifrig ein paar Passagen rezitierte, die da etwa lauteten:
Die Schöpfung hat es offenbar so vorgesehen, dass täglich die Sonne aufgeht, aber hat die Schöpfung auch vorgesehen, dass du jeden Morgen dasselbe Büro betrittst, dieselben Gesichter anstarrst, derselben Arbeit nachgehst und dieselben, immer wieder aufgekochten und längst erstarrten Beschwörungsformeln murmelst? Genügt es dagegen nicht manchmal, heftig gegen eine Türkante zu stoßen, um das ganze eigene Dasein fragwürdig erscheinen zu lassen?
Aber wie ich Paco kannte, brannte er nicht mehr als ein Strohfeuer ab. Seine ganze Erregung würde sich nach einer schlecht durchlüfteten Nacht sicher wieder in Nichts aufgelöst haben, und dann würde man ihn wie gewohnt über Rebensorten, Weinjahrgänge sowie Gewinn-Verlust Rechnungen philosophieren hören. Genauso kam es. Die Krankheit ging vorüber. Das Buch war bald vergessen, die Umbruchstimmung ebenfalls.
Lisa zeigte sich da schon handfester in ihren Sehnsüchten. Bei ihr konnte ich mir ohne weiteres vorstellen, dass sie eines Tages eine Fahrkarte nach Afrika löste, um dort hungernden Kindern eine hingebungsvolle Pflegemutter zu sein. Lisa malte in ihrer Freizeit. Und sie hatte viel freie Zeit, da sie nur stundenweise im Laden aushalf. Sie malte Aquarelle, vorzugsweise Blumen... Astern, Rosen, Lilien, und sie malte nicht schlecht, wie ich und auch andere fanden, wenngleich sie weit davon entfernt schien, eine künstlerische Berufung in sich zu spüren. Aber man sollte etwas spüren, in seinem Innern, einen Drang, ein Wollen, eine Berufung.
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