Reinhold Zobel
Spätvorstellung
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Inhaltsverzeichnis
Titel Reinhold Zobel Spätvorstellung Dieses ebook wurde erstellt bei
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 12a
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Impressum neobooks
Es gibt keine bessere Zeit als die Stunde nach Sonnenaufgang. Es gibt keinen besseren Ort als den eigenen Ereignishorizont, sofern man, was selten der Fall ist, Herr der Lage bleibt.
Der vorliegende Tag, ein Dienstag, endete, wie es gelegentlich geschieht, anders als erwartet. Und pfiff dazu ein junges altes Lied. Unterlegt mit einem sanften Knistern, wie man es von Grammophonscheiben kennt. Gut möglich, dass es sich dabei um etwas aus der Abteilung ‘ Einbildung ’ handelte. Eine eingebildete Show, gemalt mit Tönen, gesungen&gepfiffen, als Beilage und/oder im Schattenriss.
Bin ich Teil oder Schöpfer dieser…Beilage? Lux schiebt den Gedanken beiseite. Was faktisch misslingt. Es ist, all habe er ein paar Überlegungen daran gehindert, ihre Notdurft zu verrichten. Sie drücken ihn. Drücken auf die Blase, die sein Gehirn ist. Geist, denkt er, wäre hier vielleicht ein zu starkes Wort.
"Lux Hardi?! ”
Der Angesprochene dreht sich um, wie man es für gewöhnlich tut, wenn hinter einem etwas ist, dass einen betrifft oder betreffen könnte. Lux sieht einen Mann. Der Mann ist geschmackvoll gekleidet und fortgeschrittenen Datums wie er selbst. Er rudert wild mit den Armen, während seine Gesichtsmuskeln ein mandarintiefes Lächeln auffächern. Seine Stimme rollt über den Platz. Ein starker angenehm temperierter halbdunkler leicht vibrierender Bass.
Lux kennt den Mann. Irgendwoher. Er bleibt stehen. Winkt zurück. Zögernd zunächst. Er macht einen Schritt zur Seite. Er stößt gegen etwas. Es ist nicht die Spanische Treppe , auch nicht der Taj Mahal . Es ist eine Parkuhr. Und ein, wie es ihm vorkommen will, wimmerndes metallisches Geräusch dringt an sein Ohr. Haben , denkt er, Maschinen womöglich eine Seele?
Kaum Unruhe, kaum Unrast oder Ungeduld ringsumher. Gedämpftes Puppenspiel. Das war gestern. Bis auf weiteres leuchtet, als späte Herbstatrappe, der November. Das ist das Heute. Und w er , denkt Lux, mit Schalkeinlage, unbotmäßig Einlass begehrt in Honolulu, Ho, im Himmel, Hades oder auch in Hilversum, der sollte wissen, worauf er sich einl ä sst… Was aber könnte das Morgen oder Überübermorgen bringen?
“ Tony Thadeus?”
“ Gü tiger Himmel! Wielange mag es her sein, dass wir einander das letzte Mal…”
“… begegnet sind… fünfzig Jahre?”
“ Zweiundachtzig?Hundertsechsundzwanzig?”
“ Woher kommst du?”
“ Aus dem Untergrund, genauer: aus der Metro. Und du?”
“ Von einem Banktermin.”
“ Also, mein Lieber, wohin lenken wir unsere Schritte?”
“ Du meinst..?”
“ Natürlich. Das verdient, denke ich, besondere Maßnahmen? Bist du bereit?”
“ Für dich. Für uns… keine Frage.”
Pluto, ein klitzekeines klassisches Café am Rande der Milchstrasse. Pulsare. Kometen. Später Nachmittag. Cirruswolken.
“ Verstehe.”
“ Du verstehst was?”
“ Fluch und Segen des Alters sind: Man wird nicht mehr, man ist.”
“ Habe ich das gesagt?”
“ Du sagtest, Tony, so ich mich recht erinnere - die Dinge müssen in Bewegung sein.”
“ Dinge? Welche Dinge?”
“ Dinge jeglicher Art.”
“ Das habe ich gesagt?”
“ Hast du - alles hat ja aber bekanntlich auch seine Zeit.”
“ Gewiss. Flugsand beispielsweise, Lebertran, Kaiserreiche, Bügelfalten, Bürgschaften…”
“ Und manchmal, nicht wahr, verhält es sich gar so: Man betrachtet seine Füße, Zehen, Finger, Hände , man betrachtet seine gesamte Physis, und fühlt sich, als sei man Fremder im eigenen Haus.”
“ Jetzt spielst du wieder auf unser Alter an?”
“ In Teilen…Willst du sehen, was ich heute bei mir im Briefkasten fand?”
“ Du bekommst noch Post?”
“ Gelegentlich. Es ist eine Ansichtskarte… Hier lies einmal.”
Tony setzt die Lesebrille auf und liest wunschgemäß. Und mit Stirnrunzeln:
“… Schon eine geringfügige Verschiebung der Kinnlade bewirkt einen komplett anderen Ausdruck.”
“ Das wissen die wenigsten, nicht wahr?”
“ Mag wohl sein. Aber die wenigsten wissen auch, dass - wie unser früherer Biologielehrer gern sagte - im 19. Jahrhundert ein reger Handel mit Blutegeln im Schwange war…Apropos Mimik: Im Anfang war - bitte, korrigiere mich - nicht das Wort, sondern die Mimik.”
“ Zutreffend. Bei mir verhält es sich allerdings, wie ich glaube, eher umgekehrt.”
“ Ah ja?”
“ Rührt vermutlich daher, dass ich einer noch weitgehend unerforschten Spezies angeh ö re .”
“ Der Kellner kommt… Was trinken wir, Lux?”
“ Für mich Rum. Plus Mineralwasser.”
Lux rollt sich eine Zigarette. Rauchwerk ist hier zulässig. Ja, das gibt es noch - an raren Orten auf diesem Erdball. Und es erfolgt unstatthafterweise kein Eintrag ins Klassenbuch. Kennt die Schule des Lebens doch nicht allein Streber, Statthalter und Sitzenbleiber, sondern ebenso Koautoren, Hofnarren und Querverweiser.
“ Und du hast, sagtest du, mehrfach den Beruf gewechselt?”
“ Weniger den Beruf. Mehr den Wohnort. Das Kostüm. Das Dressing. Die Regeln.”
“ Verstehe.”
“ Im Grunde ist es so, Lux: Ich mag es , immer wieder ein mal von vorne zu beginnen.”
“ Im Leben? Im Spiel?”
“ Im Leben wie im Spiel.”
“ Hat untertage ein gewisses numinoses Aroma von Pathos.”
“ Warum nicht.”
“ Ja, warum eigentlich nicht.”
“ Und was ist mit dir, mein Freund - lebenshistorisch betrachtet?”
“ Nun ja, temporär wie phasenweise leide ich, und das meist ungepaart, unter Stimmungsschwankungen. Mir ist dann wie auf hoher See.”
“ Du leidest?”
“ Nun ja, deuten wir es volkstümlich: des einen Leid ist des anderen Freud.”
“ Und wer ist der andere?”
“ Nun ja, schätze, es ist mein zweites, tiefer gelegtes Ich.”
Die Getränke sind da. Die Freunde stoßen an. Denn es sind ja Freunde. Freunde aus frühen Tagen. Man nannte sie auch Plisch&Plum. Nur konnte man sich nie einig darin werden, wer denn nun Plisch war und wer Plum. Die Auffassungen hierüber changierten, vergleichbar etwa dem unter Einwirkung von Sonnenlicht reflektierenden Farbenspiel in einem Goldfischglas. Vereinfachend gesagt: sie klafften auseinander.
Lux war über Jahre ein dickes Kind. Tony ein dürres Gestell. Man nannte ihn auch: Skeletti. Heute ist es, den Leibesumfang betreffend, der Tendenz nach umgekehrt. Tony war blond, Lux hingegen dunkelhaarig. Heute sind sie beide grau, abendnebelgrau. Das verdankt sich keiner göttlichen Trinität. Denn sie bilden ja kein Dreigestirn.
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