“ Was hast du gegen den Spanier? ”
“ Nichts. Aber man verschone mich mit dem Rü hrteig seiner T ö ne.”
“ Findest du seine Kompositionen denn so übel?”
“ Sagen wir, begrenzt. Wie allen blinden Komponisten fehlt de Falla in der Musik eine entscheidende Dimension. ”
“ Und die wä re? ”
“ Der Raum. ”
Einig war man sich in der Runde dagegen in der Beurteilung des italienischen Tastenvirtuosen. Der Musiker betonte die Tatsache, dass ABM mühelos imstande sei, mit seinen Fingern Unterschiede im Grammbereich zu erspüren, was dazu beitrage, dass sein Anschlag so unvergleichlich klinge. Im übrigen sei er zwar, wie die allermeisten seiner Zunft, eine Mimose, gehöre aber immerhin nicht in den Klub jener Pianisten, die Besuchern die Tür nur mit dem Ellenbogen öffnen.
Es war ferner die Rede von den akustischen Vorzügen und Nachteilen berühmter Konzertsäle und Opernhäuser, aber da war ich schon im Begriff, meinen Standort zu wechseln, um mich anderen Spezialitäten des Abends, sowie den kostenlosen Speisen und Getränken zuzuwenden. Lediglich ein Satz hallte schwach in meinen Ohren nach, mit welchen der lange Dramaturg sein Eingeständnis darüber zum Abschluss brachte, dass er sich immer und überall und nachgerade in öffentlichen Aufführungshäusern besonders gut aufgehoben fühle.
“ Ich mag Räume, die man von mehr als einer Seite aus betreten kann.”
Auf meinem Weg zur Getränke-Bar werde ich von schüchternen Worten angeknabbert. Was mich betrifft, so sind mir ja nur wenige der Anwesenden geläufig. Der ein wenig schmächtige und unauffällige Mensch, der jetzt das Wort an mich richtet, scheint dagegen überhaupt niemanden zu kennen. Seine Zunge wirkt bereits ein bisschen schwer, offenkundig aufgrund einiger Gläser Wein. Er erkundigt sich, ob ich ebenfalls Künstler sei, stellt sich seinerseits als Journalist vor. Wie näheres Nachfragen ergibt, ist er eigentlich Radiosprecher und das bei einem radio libre . Er fühle sich, wie er sagt, hier eher fehl am Platze, ist aufgrund einer Einladung Daniels gekommen, den er auf einem Musiker-Wettbewerb kennen gelernt haben will. Sein Name: Roger Kruger.
Und dann ist da noch diese mittelgroße Gestalt im dunklen Anzug mit dem dunklen, an den Schläfen leicht ergrauten Haar, den ein wenig herben wie auch ein wenig femininen Gesichtslinien, der schmalen Narbe auf der linken Wange und den kühlblauen Augen, deren Blicke wechselweise alles Nähere zu fixieren und dann wieder in unbestimmte Fernen gerichtet zu sein scheinen.
Er steht ruhig im Raum, dieser Mensch, umbrandet von Männlein und Weiblein, Figuren, Gestalten, die gestikulierend und vernehmlich laut miteinander plaudern, er selber wirkt dagegen unbeteiligt, lässt nur gelegentlich einen Halbsatz über die Lippen gleiten und zieht in Abständen bedächtig an einer kurzen Zigarre.
Sie erregt meine Aufmerksamkeit, diese Person, und ich errege ihre Aufmerksamkeit, und es könnte, wie es bei Männerbanden zuweilen geschieht, eine unterschwellig angehaucht gleichgeschlechtliche Grundierung haben, ohne dass es einem der Beteiligten zwingend zu Bewusstsein kommen müsste. Jedenfalls geraten wir später miteinander ins Gespräch, und er stellt sich mir vor, unter dem Namen Carlos van Breusegem.
Paco und Lisa. Ich wohne jetzt bei den Beiden. Sie haben mich aufgenommen. Sie haben eine große Altbauwohnung. Sie haben viel Platz. Sie wollten mir helfen, als es mir schlecht ging. Doch es geht mir nicht mehr schlecht. Sie haben Vertrauen zu mir. Aber vielleicht nähren sie ja eine Schlange an ihrem Busen. Und das Gift dieser Schlange, es kreist längst unbemerkt in ihrem Blutkreislauf.
Lisa wirft mir gelegentlich lüsterne Blicke zu. Sie wirkt unbefriedigt. Sie langweilt sich. Liebt Paco sie, und liebt sie ihn, oder ist alles nur noch schlechte (An) Gewohnheit?
Gestern immerhin entdeckte ich die Beiden eng umschlungen auf dem marineblauen Sofa in ihrem Wohnzimmer. Paco lag oben und küsste Lisa. Es war morgens. Lisa schien gerade aufgestanden zu sein. Sie trug ein Negligé. Sie sah begehrenswert aus. Sinnlich hingestreckt lagerte sie auf dem Diwan. Ich kam aus der Küche. Sie kam aus dem Morgenland.
Paco hatte mich noch nicht bemerkt, da er mir den Rücken zuwandte. Sie blickte an ihm vorbei, während er sie ablutschte. Unsere Blicke trafen sich, komplizenhaft. Dann spreizte sie die Beine. Sie trug einen Schlüpfer, doch der Anblick ihrer geöffneten Schenkel war blanke Wollust. Ich sah, wie sich der dünne Stoff über ihrer Schamspalte spannte, und der Stoff war feucht.
Geh, mein Sklave,
bringe mi r meh r Gold , meh r Geschmeide , komm, mei n begeh r enswe r ter Dien e r , bringe mein Fleisch zum Singen!
Ab und an sitzen wir Drei zusammen und spielen eine Runde Poker, gelegentlich bis spät in die Nacht hinein. Ich habe wenig Bares, doch Paco ist großzügig. Er borgt mir Geld, kleine Summen. Und ich gewinne oft. Ich gewinne mit seinem geborgten Geld. Paco bleibt gelassen, ja, er scheint amüsiert. Er zahlt mir meinen Gewinn gern in Dollar aus. Damit nötigt er mich, zur nächsten Bank zu gehen, um es dort in Deutschmark einzutauschen. Paco liebt solche kleinen, handlichen Späße. Warum, weiß keiner.
Eigentlich müsste ich den beiden dankbar sein. Ich habe ihre Fürsorge in Anspruch genommen. Eine Zeitlang war ihr Heim mir nicht nur Herberge, sie hielten mich auch über Wasser. Aber ich will, dass sich das ändert. Ich will kein Pflegefall mehr sein. Ich will Unabhängigkeit. Und ich will, dass sie in meinem Schatten gehen.
Es hatte unlängst eine Periode gegeben in meinem Leben, da war ich nicht nur wohnungslos, nicht nur mittellos, ich war auch orientierungslos. Man könnte fast sagen, ich drehte mich so sehr im Kreise, dass ich nicht mehr wusste, ob ich der Hamster war oder das Laufrad.
Paco sah darin offenbar eine Aufgabe. Er, der oft ein wenig zu müde und zu kraftlos für sein Alter wirkt - er ist Anfang Vierzig - konnte plötzlich ein Funkeln in seinen ein wenig schräg stehenden Augen entzünden, und etwas Zupackendes ging von seinen Handlungen aus. Es schien, als läge es ihm, im Elend anderer Leute die Rolle des Samariters, die barmherzige Hand, den großen Bruder zu spielen. El Paco, wie ich ihn bisweilen seiner Wildlederstiefel, seiner Metallgürtel und seines kupfernen Ohrrings wegen nenne, gewährte mir also Beistand. Nun, er ist der Ältere, der Erfahrenere von uns Beiden, und ich respektierte seine Motive, wenn ich sie auch nicht immer ganz durchschaute.
Doch dosierte er seine Hilfe allzu sehr, er teilte sie mir sozusagen löffelweise zu, er ging darin vor, als verfolge er insgeheim eine pädagogische Absicht. Und das gefiel mir nicht. Es mochte jedoch noch etwas anderes geben, was ihn bewegte. Mitunter, wenn wir so beisammen saßen, und er sich unbeobachtet fühlte, ruhten seine Blicke wohlgefällig auf mir, und es war nicht nur Hilfsbereitschaft darin zu lesen, es war auch, so wollte es mir vorkommen, ein inniges, zwangsverliebtes Leuchten darin, das in unregelmäßigen Abständen aufblitzte, das Licht eines vereinzelten Leuchtturms in stürmischer, endloser See.
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