»Ist ja gut. Mäh deinen Rasen! Ich wollte dich nicht von der Arbeit abhalten.« Sie lächelte ihn an. »Vielen Dank für das Frühstück, Schatz! Bevor du gehst, musst du mir noch einen Kuss geben. Und lass das Tablet bitte stehen! Wenn ich unseren Jahrestag schon vergesse, dann räume ich wenigstens den Tisch ab.«
Er gab ihr den geforderten Kuss und brachte das Tablett, entgegen ihrer Aufforderung, in die Küche. Nur die Kaffeekanne und ein kleines Päckchen ließ er draußen stehen. Frisch gestärkt konnte er nun mit der Gartenarbeit beginnen.
Es war ein kleines, rotes Päckchen mit einer ebenso roten Schleife oben drauf. Sie begutachtete das Geschenk einen Moment lang mit verstohlenem Blick und Scham und entschied schlussendlich doch, dass ihre Neugier zu groß war – sie musste die Schachtel einfach öffnen. Schnell zog sie die Schleife ab, um dann ganz langsam die kleine Schatulle aufzuklappen. Zum Vorschein kamen zwei glitzernde Ohrringe. Eindeutig Gold, doch ob es Zirkons oder Diamanten waren, wusste sie nicht, jedenfalls sahen sie in der Morgensonne eindrucksvoll aus.
Daniel wuselte bereits im Garten herum, als sie die Schatulle wieder zuklappte und zurück auf den Tisch stellte. Lara nahm einen großen Schluck Kaffee, lehnte ihren Kopf zurück, spürte die Sonne auf ihrer Haut und atmete tief durch. Es war fast ein Seufzen. Sie schloss ihre Augen und nahm die Umgebung nur noch mit den verbliebenen Sinnen wahr: der warme Wind und die Sonne auf der Haut. Die Vogelstimmen und der Rasenmäher, den Daniel vergeblich zu starten versuchte, der Geruch von Gras und Moos, und ab und zu hörte man ein Auto, das vor dem Haus vorbeifuhr.
Es war so friedlich, dass Laras innere Anspannung, die sie seit dem Aufstehen begleitet hatte, langsam von ihr abfiel. Es war, als würden die Spannungen durch ihren Körper hindurch in den Boden unter ihren Füßen abgeleitet. Sie flossen hinaus und nahmen alles Schlechte mit. Selbst als Daniel den Rasenmäher endlich anbekam, blieb Laras Gelassenheit trotz des Krachs. Der Geruch des frisch gemähten Grases gefiel ihr, auf sie wirkte er zutiefst beruhigend.
»Huhu, Schätzchen!«, hörte Lara auf einmal eine Stimme zwischen den ganzen Geräuschen hindurch rufen. Nun war es vorbei mit der Ruhe. Sie hob den Kopf und öffnete die Augen. Zuerst sah Lara verschwommen, doch dann wurde ihr Blick klarer.
»Hallo, Lara, mein Schatz!«, brüllte eine Frau gegen die Lautstärke des Rasenmähers an.
Maria, Laras Mutter, stand am Gartenzaun und winkte.
Lara rollte mit den Augen und stand lustlos auf. Ihre Mutter war schon in Rente, hatte viel Zeit und war immer gut gekleidet. Sie war jederzeit bestens über den neuesten Tratsch und Klatsch informiert. Nicht nur in der Promiwelt, sondern auch genauestens über die Nachbarschaft.
Diese Frau macht mich noch wahnsinnig mit ihren täglichen Routinebesuchen, dachte Lara auf dem Weg zum Gartentor.
Sie liebte ihre Mutter, doch jeden Tag vorbeizukommen, war einfach zu viel.
Das Tor war von innen verriegelt. Doch kurz bevor Lara dort ankam, sah sie, dass es nicht mehr nötig war, ihre Mutter hereinzulassen. Maria hatte kurzerhand selbst über den Zaun gegriffen und den Riegel zur Seite geschoben.
Lara blieb stehen und wartete, bis ihre Mutter bei ihr war. Sie umarmte sie kurz, und beide schlenderten zurück zur Terrasse, wo sich Lara wieder auf ihren Stuhl plumpsen ließ.
»Hallo, Daniel!«, schrie Maria und lächelte ihm wie ein kleines Schulmädchen zu. Ein Schulmädchen Ende sechzig.
Lara griff sich an die Stirn und schüttelte den Kopf.
Daniel stellte den Rasenmäher ab und antwortet ihr: »Guten Tag, Frau Müller, wie geht es Ihnen?«
»Daniel, wie oft muss ich dir noch sagen, dass du mich nicht siezen musst? Ich habe einen Vornamen. Ist es für dich so schwer, einfach Maria zu sagen?«
»Nein Frau … äh, Maria.«
»Siehst du, geht doch. Ich hoffe, das war das letzte Mal, dass ich dich darauf hinweisen musste. Nach vierzehn Jahren wird das etwas mühsam.« Maria ließ sich auf einen der Holzstühle neben Lara nieder, und auch Daniel ging in Richtung Terrasse zu der kleinen Gesprächsrunde.
»Und, mein Schatz …?«
Maria brauchte den Satz gar nicht zu vollenden, da ihr Lara ins Wort fiel: »Nein, Mama, ich bin noch nicht schwanger, und wenn du es jeden Tag seit ungefähr fünf Jahren fragst, werde ich es auch nicht schneller. Das Einzige, das du damit bewirkst, ist, dass ich genervt bin. Aber keine Angst, wenn es so weit ist, dann erfährst du es nach Daniel als Erste. Versprochen, Mama.«
Maria nickte zufrieden und dachte nach, wie sie das Gespräch und die so schnell gekippte Stimmung noch retten könnte. Doch es fiel ihr kein anderes Thema ein, über das sie mit ihrer Tochter sprechen konnte.
So führte es zu dieser peinlichen Stille, die keiner gerne in einem Gespräch haben möchte. Da kam es ihr gerade recht, dass sich Daniel neben sie setzte.
»Na, wie geht es dir, mein Lieblingsschwiegersohn?«, versuchte sie abzulenken.
»Gut, ich kann nicht klagen.« Er runzelte die Stirn. »Lieblingsschwiegersohn? Ich bin doch dein einziger Schwiegersohn, dachte ich jedenfalls. Wie geht es Ihnen? Ich meine dir?«, fragte er und musste lachen.
Der Besuch dauerte etwa zwei Stunden. Doch die Stimmung blieb nach wie vor gezwungen. Den Großteil der Zeit redete Maria, zum Beispiel über die Nachbarn. Sie regte sich über den einen oder anderen auf und berichtete ihnen, was sie alles Neues aus ihren Weiberheften wusste.
Lara frage sich immer wieder, wer überhaupt solche Hefte las, doch ihre Mutter war ja wohl eine davon.
Laras Laune hatte mittlerweile ihren Nullpunkt erreicht. Es war allerdings nicht das Einzige, das immer schlechter wurde. Aus dem angenehmen Sommertag war ein schwüler, beklemmender Nachmittag geworden. Die Spannung, die durch das Wetter in der Luft lag, ließ nichts Gutes vorahnen.
Plötzlich setzte ein ungewöhnlich starker Wind ein. Keine angenehme Brise, sondern schwüle, feuchte Böen. Der Himmel verdunkelte sich immer mehr, und man sah in der Ferne große Wolkenberge heranziehen. Die Atmosphäre war wie elektrisiert. Man meinte, von den Wolken her ein langsames, tiefes Grollen zu hören. Der Wind nahm nochmals an Stärke zu, was das nahende Gewitter ankündigte.
Die Wolken waren zu gigantischer Größe herangewachsen. Ihre Basis wurde tiefschwarz. Die Gewitterzelle rückte immer näher, und selbst Maria, die sonst nichts erschüttern konnte, wurde unruhig.
»Ich glaube, ich sollte lieber nach Hause gehen. Sonst werde ich nachher noch pitschnass oder vom Blitz getroffen«, sagte sie mit einem kritischen Blick zum Himmel.
»Ja. War schön, dass du da warst«, antwortete Lara. Sie stand auf, umarmte ihre Mutter und ging ins Haus, ohne ein weiteres Wort zu verlieren.
Maria ließ sich nicht davon irritieren, sie kannte ihre trotzige Tochter, und Daniel verabschiedete sich höflicher.
Lara war erleichtert, dass ihre Mutter vor dem Gewitter gegangen war, denn das letzte Mal hatte sie es nicht mehr vor dem Regen geschafft und war über Nacht bei ihnen geblieben.
Lara liebte ihre Mutter, das war keine Frage, doch in letzter Zeit war sie sehr anstrengend geworden. Zudem hatte Maria neuerdings die Marotte, alles doppelt und dreifach zu erzählen. Doch sie wollte ihre Mutter aus Höflichkeit nicht korrigieren, und deshalb hörte sie sich manchmal auch ein viertes Mal ein und dieselbe Geschichte an.
In der Ferne begann es bereits, immer lauter zu donnern. Man vernahm die rollenden Walzen klar und deutlich. Wie aus dem Nichts brach auf einmal das Chaos los, dicke Regentropfen fielen vom Himmel, und zwischen ihnen das ein oder andere Hagelkorn.
Lara und Daniel brachten schnell alles vor dem Unwetter in Sicherheit. Die Stuhlauflagen mussten ins Haus geräumt, das Sonnensegel eingeholt und die Gartengeräte eingesammelt und in dem kleinen Holzschuppen verstaut werden.
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