Kathrin Thiemann - In der zweiten Reihe
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Die Geschichte einer Familie.
Die Geschichte einer Nation.
Das Leben in Nazi-Deutschland war nicht einfach. Vor allem dann nicht, wenn man nicht der Meinung der Diktatur war. Diese Geschichte ist die Biografie einer Frau die sich durchbeißen musste, ihre Kinder versorgen und ihren Mann wiederbekommen wollte. Eine Geschichte fernab der heutigen Normalität, damals aber nicht.
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In der zweiten Reihe
von Kathrin Thiemann
Buchbeschreibung:
Ein Erinnerungsroman. Eine Frauengeschichte. Die Geschichte einer Nation.
Kathrin Thiemanns Debütroman erzählt die Geschichte einer Frau, die ihre Familie, ihren Mann und sich selbst durch eine schwere Zeit bringen musste. Die dabei zeigt, wie wichtig es ist, nicht gleich aufzugeben.
Über die Autorin:
Kathrin Thiemann lebt in Marburg, geboren wurde sie 1960 in Siegen. Sie schreibt seit einem Bildungsurlaub auf der schönen Insel Baltrum.
In der zweiten Reihe
Ein Erinnerungsroman
von Kathrin Thiemann
Baltrum Verlag
Weststraße 5
67454 Haßloch
Impressum
©2021 Baltrum Verlag GbR
BV 2112 – In der zweiten Reihe
Umschlaggestaltung: Baltrum Verlag GbR
Bilder Cover und innen: Kathrin Thiemann
Lektorat, Korrektorat: Baltrum Verlag GbR
Herausgeber: Baltrum Verlag GbR
Verlag: Baltrum Verlag GbR,
Weststraße 5, 67454 Haßloch
Internet: www.baltrum-verlag.de
E-Mail: info@baltrum-verlag.de
Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.deabrufbar.
Für Johann, Till und Wolfgang
Seid fröhlich in Hoffnung,
geduldig in Trübsal,
haltet an am Gebet.
Helenes Konfirmationsspruch
Römer 12,12
2019
Die beiden Kusinen fanden es interessant, auf des Großvaters Spuren unterwegs zu sein. In dem Wissen, dass ein Besuch der Gedenkstätte Buchenwald nicht leicht werden würde, wäre es sicher wichtig, anschließend darüber sprechen zu können.
Sie müssen sich einer Führung anschließen, bei der sie in praller Sonne über den damaligen Alltag im Lager hören. Der Leiter der Gruppe spricht über die unvorstellbar grauenvollen Dinge, die hier passiert waren. Sie fragt sich, wie er das schafft, immer und immer wieder über diese Zeit der furchtbaren Geschichten voller Brutalität und Hass, Menschenverachtung und Gleichgültigkeit zu berichten.
Sie werden aus dem Krematorium in den gekachelten Keller geführt, an dessen Wänden oben große Schlachter-Haken hängen, die ihrer Fantasie mehr Bilder bescheren als ihr gut tun.
Es ist genug.
Sie muss aussteigen aus der Gruppe und hier raus. Ihr leicht zu verwundendes Herz, das noch nicht einmal Krimis vertragen will, kann nicht mehr. Es ist übervoll.
Sie entfernt sich und kann ihrer Kusine noch signalisieren, dass sie weiter geht. Ihr fehlen die Worte, Tränen hat sie viele. Ihr ist übel und ihr Magen fühlt sich an, als hätte er sich verknotet. Gemeinsam schlendern sie schweigend unter dem wunderbaren blauen Himmel im Sonnenschein über den Platz, der Bruder schließt sich schweigend an.
Unvermittelt stehen sie davor.
Block 34.
Ein schlichter Sandstein, viereckig behauen und weniger als kniehoch. Auf seiner Oberfläche liegen neun kleine Steine, wie vom Boden aufgelesen. Rund gespülte, eckige, gebrochene, scharfkantige, ein kleiner ist ganz glatt, zwei sind winzig, verschwindend klein in einer Handfläche zu tragen, einer würde eine Jackentasche ausbeulen und hat es auf dem Weg hierhin vermutlich auch getan.
Zwischen den Steinen ist die Inschrift, die in die Oberfläche gehauen und mit grauer Farbe ausgemalt wurde, gerade noch lesbar.
Sie überlegt, ob sie die Steine ein wenig beiseiteschieben kann, aber ein Gefühl der Respektlosigkeit durchfährt sie.
Nein, denkt sie. Diese Steine drücken Schmerz, Verlust, Kummer und tiefe Trauer aus. Sie beiseitezuschieben steht ihr nicht zu.
Sie weiß ohnehin, was unter den Steinen zu lesen ist: Block 34.
In Block 34 war ihr Großvater zusammen mit anderen ‘Politischen‘ aus Münster und Polen eingepfercht, als er im Konzentrationslager Buchenwald inhaftiert war.
Eins
1934
Kinderspitzel
Wilhelms Arbeit als Pastor gestaltete sich in Gernau von Anfang an schwierig. Es stellte sich schon bald heraus, dass die hiesige Gestapo mit seiner Art nicht einverstanden war. Eine ehemalige Konfirmandin, inzwischen BDM-Führerin, versuchte, die Mädchen aus dem Konfirmationsunterricht abzuwerben. Das ließ er sich nicht gefallen und schrieb ihr einen ärgerlichen Brief. Doch er hatte sie falsch eingeschätzt, die junge Frau gab seinen Brief sofort an die Geheime Staatspolizei weiter. Er wurde vorgeladen und verwarnt.
Dabei blieb es nicht. Einige Kinder leidenschaftlicher Nazis, die dennoch zum Unterricht kamen, hörten genau hin und gaben alles, auch ganz lächerliche Dinge, ihren Vätern wieder. Zum Beispiel erzählte Wilhelm in der letzten Stunde vor den Ferien von seiner Reise nach Dänemark, was für ein herrliches Land es sei, von der Schönheit der Natur und dem guten Essen, der dänischen Butter. Das reichte für eine erneute Vorladung.
Auch in den Gottesdiensten saßen regelmäßig Spitzel, die seine Predigt mitschrieben. Das wurde deutlich an den Vorladungen, die ihn wieder und wieder zum Büro des Gestapoleiters führen.
»Ich kann nicht anders«, meinte er zu mir, »ich sage als Mitglied der Bekennenden Kirche vieles mit Angst und Zittern, weil ich es sagen muss. Sonst würde ich meinen Auftrag verleugnen und wäre nicht mehr ein Knecht Christi.«
Ich war stets froh, dass er ein aufrechter Mann mit einer Haltung war. Ich fürchtete mich aber auch deswegen. Hoffentlich würde uns und unserer Familie das nicht einmal zum Verhängnis werden.
1920
Eine Frau ohne Kenntnisse
Seine Klarheit und seine Haltung war, was mir zuerst an ihm auffiel. Ich war jung und lernte ihn, den Studenten der Theologie, während meines Studiums in Bonn kennen. Damals hatte ich eine andere Hoffnung für meine Zukunft, eine andere Vorstellung von meinem Leben. Ich durfte selbst studieren und das war damals etwas Besonderes.
Ich bin in Köln-Kalk aufgewachsen. Meine Mutter starb, als ich erst sechzehn Jahre alt war. In meinem letzten Schuljahr wurde Vater versetzt. Meine Geschwister Erich und Martha zogen mit ihm nach Paderborn. Dass ich die Stadt unmittelbar vor meinem Abschluss noch wechsle, hielt Vater nicht für sinnvoll. Ich hatte zwar von meinem Lehrer eine Empfehlung für das dortige Knaben-Gymnasium bekommen. Aber was, wenn ich dort nicht zurechtgekommen wäre? Also blieb ich in Köln. Vater fand ein möbliertes Zimmer in der Nachbarschaft und versorgte mich finanziell, so gut er konnte. Die Familie eines Kollegen kümmerte sich ein wenig mit um mich. Zunächst war das Alleinleben eine aufregende Sache, doch es war auch nicht leicht für mich. Die Versorgungslage nach dem Krieg war immer noch nicht einfach. Manchmal nahm ich die Brotkrusten aus der Schule mit nach Hause, damit ich dort noch etwas zu essen hatte. Einmal bekam ich ein ganzes Pfund Butter aus Paderborn geschickt. Das war ein Fest - Brotkrusten mit richtig dicker Butter!
Vater war nach meinem Zeugnis der Reife der Meinung, dass ich eine gute Ausbildung erhalten sollte, weil er mich klug, fleißig und sprachbegabt fand. Das Lernen hatte mir in der Schule immer Spaß gemacht und auch herausgefordert, der Gedanke an ein normales Frauenleben, irgendwann nur noch kochen und putzen zu dürfen, erschreckte mich. Am liebsten wollte ich mich weiter mit meinem Lieblingsfach Religion beschäftigen und lernen, lernen, lernen. Deshalb unterstützte er mich in meinem Wunsch, Theologie zu studieren, obwohl nicht klar war, was ich damit anfangen sollte. Pastor konnte ich schließlich nicht werden, obwohl es damals zunehmend den Ruf nach einer Eigenständigkeit der Frauen gab. Sogar das Wahlrecht war gerade für uns eingeführt worden. Da Theologie also kein richtiges Studium sei, wie er meinte, empfahl er mir, mich auch noch im Fach Nationalökonomie einzuschreiben. Vielleicht konnte ich daraus einmal einen Beruf machen. Es würde sich zeigen. Jetzt wollte ich erst einmal studieren, und zwar, um meinen Wissensdurst zu stillen.
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