Katrin Ludwig - Der Rechtsfall Wilhelmine Harnisch

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Angeklagt des doppelten Giftmordes steht sie, Wilhelmine Harnisch, Kinderwärterin im Haus des Amtmanns Deichmann, am 25.Oktober 1858 vor dem Schwurgericht zu Braunschweig. Ein neuntägiger Prozess beginnt.
Der Richter führt das Wort, ihm zur Seite: der Staatsanwalt, der Verteidiger und der Protokollant und die Herren Geschworenen.
Die Opfer: Mathilde Deichmann, sechzehn Monate alt, und die zweijährige Marie Deichmann, Töchter des Amtmanns Deichmann zu Greene.
Angezeigt vom Physikus Dr. Wagner, der den Tod beider Kinder durch Arsenvergiftungen ermittelt hat.

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Katrin Ludwig

Der Rechtsfall Wilhelmine Harnisch

Alte Kriminalfälle neu erzählt

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Inhaltsverzeichnis Titel Katrin Ludwig Der Rechtsfall Wilhelmine Harnisch Alte - фото 1

Inhaltsverzeichnis

Titel Katrin Ludwig Der Rechtsfall Wilhelmine Harnisch Alte Kriminalfälle neu erzählt Dieses ebook wurde erstellt bei

Greene – um die Mitte des 19. Jahrhunderts - Mittelpunkt des Leinetals.

25. Oktober, 1. Verhandlungstag

26. Oktober, 2. Verhandlungstag

27. Oktober, 3. Verhandlungstag

28. Oktober, 4. Verhandlungstag

29. 0ktober, 5. Verhandlungstag

30. Oktober, 6. Verhandlungstag

31. Oktober, Sonntag

1. November, 7. Verhandlungstag

2. November, 8. Verhandlungstag

3. November, 9. Verhandlungstag

Impressum neobooks

Greene – um die Mitte des 19. Jahrhunderts - Mittelpunkt des Leinetals.

Waldreiche Höhenzüge erheben sich, Berg und Tal ergeben eine anmutige Landschaft. Wer von Seesen und Bad Gandersheim nach Greene fährt, erblickt die grüne Aue der Leine, überragt von einem stattlichen wuchtigen Kirchturm, umrandet von freundlichen Häusern und auf felsiger Höhe der steinerne Bergfried, die alte Burg, und nicht zu übersehen die Buchenwälder, die dem Ort eine sanfte Festigkeit verleihen.

1856 hatte der Braunschweigische Staat, die Bahnstrecke Braunschweig-Kreiensen fertiggestellt, die sich an die hannoversche Südbahn anschloss, das zeitigte Entwicklungen, die aus dem alten ehemaligen Marktflecken ein städtisches Zentrum entstehen ließen.

Greene war nun der Sitz des Amtsgerichts, hatte eine Pfarre, zwei Schulen, dem Landesherren und zwei Mitarbeitern zugeordnet, eine Försterei, eine Post, eine Apotheke, ein Physikat und eine herzogliche Domäne.

Letztere wurde in den Jahren 1696 bis 1704 vom Ingenieur Oberstleutnant Kaspar Völcker errichtet. Ein massiver nüchterner Gebäudekomplex gruppiert sich mit vier Flügeln beinahe quadratisch um einen Hof.

Das Wohnhaus liegt zur Straße hin. Ein Einfahrtstor aus rotem Sandstein führt zum Hof und trägt einen Giebel, dessen Platte elf Felder, gekrönt von fünf Helmen und zwei Löwen, die das herzogliche Wappen tragen, geschmückt ist.

Branntwein aus Korn wurde im nördlichen Domänengebäude von 1820 – 1963 hergestellt und erreichte einen gewissen Bekanntheitsgrad als „Alter Greener Kornbranntwein“.

Wenn dieser auch anderen Branntweinen weichen musste, die Domäne zeigt sich bis heute in ihrem etwas morbiden, nüchternen Charme, zeitigt Geschichte und Schicksale.

Der Hausstand des Amtmannes Louis Deichmann Mitte des 19. Jahrhunderts, ist reputierlich, als er sich die junge Amalie Henneberg aus Wasserleben zur Frau nimmt und sie aus dem Elternhaus mit nach Greene in die Domäne führte, in der schon sein Vater gelebt und gewirkt hat.

Nun soll der Sohn des Amtes walten, und eine Familie gründen, die das Haus wieder mit Leben erfüllt.

Amalie Henneberg, aus guter Familie, wie es so heißt, folgt frisch vermählt, dem Amtmann Deichmann nach Greene. Doch sie besteht darauf, ihre alte Kinderfrau, die Wilhelmine Harnisch, mitführen zu dürfen, um den zukünftigen Kindern eine ebenso beschützte und liebevolle Kindheit angedeihen zu lassen, wie sie eine erfuhr.

Doch, so ist anzunehmen, entstand da heraus, früh Missstimmung im Hause Deichmann, die sich zwischen der alt eingesessenen Dienerschaft und dem Anspruch der neu hinzugekommenen Kinderfrau ergab, nicht zu vergessen die einsetzenden Regularien, die sich aus der veränderten Position der Amalie Deichmann, geb. Henneberg, ergaben. Aus dem von der Kinderfrau Wilhelmine beschützten „Malchen“ wurde die Herrin über Haus und Hof in der Domäne zu Greene, was für den weiteren Verlauf des Geschehens nicht eben bedeutungslos gewesen sein dürfte.

25. Oktober, 1. Verhandlungstag

Angeklagt des doppelten Giftmordes steht sie, Wilhelmine Harnisch, Kinderwärterin im Haus des Amtmanns Deichmann, am 25.Oktober 1858 vor dem Schwurgericht zu Braunschweig. Ein neuntägiger Prozess beginnt.

Der Richter führt das Wort, ihm zur Seite: der Staatsanwalt, der Verteidiger und der Protokollant und die Herren Geschworenen.

Die Opfer: Mathilde Deichmann, sechzehn Monate alt, und die zweijährige Marie Deichmann, Töchter des Amtmanns Deichmann zu Greene.

Angezeigt vom Physikus Dr. Wagner, der den Tod beider Kinder durch Arsenvergiftungen ermittelt hat.

Wilhelmine Harnisch, 56 Jahre alt, von mittlerer Größe, die Statur eher füllig, zeigt deutlich das vorangeschrittene Alter. Das braune Haar ist straff gehalten, die Augenfarbe blaugrau, die Gesichtszüge etwas grob, aber doch auch ebenmäßig, die Gesichtsfarbe von gewisser Blässe, eine Frau –verarbeitet zwar, aber doch noch kräftig genug, das Leben zu bewältigen. Die vorgeschobene Unterlippe und ein ständiges Bewegen des Oberkörpers zeigen Ängstlichkeit und Nervosität an. Doch im Laufe der Verhandlungen erweist sie sich als ruhig, beherrscht, ihre Rede ist klar und mit fester Stimme vorgetragen.

Sie bestätigt, drei Töchter geboren zu haben, alle unehelich. Die Väter der ersten und dritten Tochter wurden von ihr benannt, wenngleich sie ihre Verwunderung ob solcher Fragestellung nicht zurückhält.

„Was hat das hier zu tun?“

Den Vater der zweiten Tochter, der Anna, 1831 geboren, zu benennen, verweigerte sie.

„Ich hab Schweigen geloben müssen, und das bleibt auch so“, sagt sie. Alimente hätte sie nur für die Anna erhalten.

„Und eben diese hat Sie ins Bordell geschickt?“

Die Frage des Richters kommt schnell und direkt. Das trifft sie sichtlich.

„Nicht geschickt“, wehrt sie ab, „ohne meine Zustimmung wäre die Anna ins Wasser gegangen. Ich hab ihr nicht anders aus der misslichen Lage, in der sie sich befand, helfen können als durch mein Ja-Wort. Das war wenig genug, wenn es auch schwer genug wiegt.“

„Und dass die Tochter nicht nur im Braunschweiger Bordell gearbeitet hat, wenn wir das jetzt mal so nennen wollen, sondern auch in Hamburg und schließlich in Rostock, hat Sie wohl auch für recht befunden.“

Wilhelmine Harnisch hebt beide Hände, als wolle sie Worte des Richters abwehren.

„Eben das war der Grund, zu meiner Herrin, Frau Löbecke zu gehen, ihr von der Anna zu erzählen und sie um Hilfe zu bitten. Die Anna musste doch aus dem Rostocker Bordell losgekauft werden. 30 Taler hat mir die Frau Löbecke gegeben und 1 Louisdor die Frau Hausmann, was die Pflegetochter von der Frau Löbecke war. Den Rest konnte ich dazu geben und dann war die Anna frei.“

„Hat die Frau Löbecke denn von ihrer einstmaligen Zustimmung, die Anna ins Braunschweiger Bordell gehen zu lassen, gewusst?“

Die Frage ist der Angeklagten sichtbarlich unangenehm. Sie schweigt und ihre Hände verkneten sich auf dem Schoß. Dann schüttelt sie den Kopf und gesteht, Reue gezeigt zu haben, denn die Frau Löbecke habe ihr viele Vorwürfe gemacht und auch gesagt, sie hätte nie das Geld gespendet, hätte sie davon gewusst.

„Und?“, wird sie gefragt, „hat Sie dann die Tochter zu sich genommen?“

„Wie denn“, erwidert die Harnisch jetzt deutlich gereizt, „ich war ja in Lohn und Brot beim Herrn Amtmann, und der wollte die Anna nicht in seinem Haus haben. Die andere Tochter, die in Bremerhaven, hat ihr ein Dach über dem Kopf gegeben. Da war sie erst einmal untergebracht.“

Der Richter lehnt sich zurück. „Nun dann soll Sie uns getreu und wahrheitsgemäß erzählen, wie sich die Dinge verhalten.“

Wilhelmine Harnisch erhebt sich, die knochigen Hände verschränkt sie fest hinter dem Rücken, das gibt ihrer Haltung etwas Trotziges aber auch Aufrechtes und so wendet sie sich dem Richter zu, holt mehrmals tief Luft, dann beginnt sie zu sprechen.

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