Katrin Ludwig
Das Großsteinberger Verbrechen
Alte Kriminalfälle neu erzählt
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Inhaltsverzeichnis
Titel Katrin Ludwig Das Großsteinberger Verbrechen Alte Kriminalfälle neu erzählt Dieses ebook wurde erstellt bei
Der Sachverhalt:
Der Befund:
Die Ermittler:
Bericht Thea Schlombachs zur Person des Herrmann Paul Pelz.
Bei uns erschienen
Impressum neobooks
Dieser Fall ereignete sich im Jahre 1908 und wurde veröffentlicht in der Publikation „Archiv für Kriminalanthropologie und Kriminalistik“ unter dem Titel:
Das Großsteinberger Tötungsverbrechen.
Ein interessanter Indizienbeweis.
Mitgeteilt von
Landgerichtsrat Dr. C. Leonhardt, Leipzig.
Ein Sonderdruck aus dem Jahr 1913, erschienen im Verlag F.C. Vogel, Leipzig, diente der freien Erzählung als Vorlage, die Illustrationen wurden ebenda entnommen.
Weit über Sachsens Grenzen hinaus hat seinerzeit das, am 21. Juni 1908 zwischen Leipzig und Grimma verübte, "Großsteinberger" Verbrechen Aufsehen erregt. Nicht nur, weil ein unschuldiges blühendes Mädchen bei Verteidigung ihrer weiblichen Ehre ruchloser Verbrecherhand in besonders tragischer Weise zum Opfer fiel, sondern vor allem auch um deswillen, weil es zunächst durchaus nicht gelingen wollte, die Person des Täters festzustellen, obwohl dieser mit ganz außerordentlicher Dreistigkeit zu Werke gegangen war.
Die Hoffnung, dass die Tat jemals noch ihre Sühne finden werde, hatte man bereits fast völlig aufgegeben, als eine Reihe glücklicher Umstände auf die richtige Spur hindeuteten und schließlich auch die Überführung des Täters noch gelingen ließen.
Die Beweisführung wurde dadurch erschwert, dass keinerlei Überführungsstücke vorhanden waren - insbesondere sind am Tatorte keine solchen gefunden worden - und dass erst lange Zeit - etwa 8 Monate - nach der Tat die Verfolgung der richtigen Spur möglich wurde.
Wenn im Folgenden der Straffall zur Darstellung gelangen soll, so geschieht dies einmal, und in erster Linie, weil er für den Kriminalisten und Psychologen vielerlei Interessantes bietet. Weiter aber mit Rücksicht darauf, dass er nach wie vor die öffentliche Meinung beschäftigt, dass namentlich immer wieder Zweifel darüber laut werden, insbesondere auch in Juristenkreisen, ob der wegen des Verbrechens Verurteilte dieses in der Tat auch begangen habe, und ob nicht vielmehr nach wie vor der "Großsteinberger Fall" der Aufklärung noch bedürfe. Durch lückenhafte und zum Teil auch unzutreffende Presseberichte, die seinerzeit über die siebentägige Schwurgerichtsverhandlung erstattet wurden, mögen jene Zweifel noch Unterstützung gefunden haben.
Am 2. Pfingstsonntag 1908, auf halbem Weg, zwischen den sächsischen Orten Großsteinberg und Klinga, nahe Leipzig, entdeckte der Feldarbeiter Martin Scholz, frühmorgens am Rand seines Kornfelds die Leiche einer Frau. Wie sich später erfahren ließ, handelte es sich um die Geschäftsfrau Marie Conrad, wohnhaft in Leipzig.
Die Lage und der Zustand der Toten machten zweifelsfrei deutlich, dass es sich hier um ein brutales Sittlichkeitsverbrechen handelte.
Der Gerichtsmediziner konstatierte: Tod durch Erwürgen und präzisierte den Zeitpunkt des Todes gegen 7 Uhr dreißig.
Das Opfer: (wie man es in Erfahrung bringen konnte)
Marie Conrad war allemal das, was man eine ansehnliche Person nennen konnte:
Eine gut gewachsene Blondine, kräftig gebaut, ohne weibliche Reize vermissen zu lassen, mit 28 Jahren in der Blüte ihrer Jahre.
In Leipzig lebend, führte sie erfolgreich einen kleinen Wäscheladen für Damenunterwäsche, der deutlich der damaligen Reformbewegung Rechnung trug. Das im Schritt geschlossene Beinkleid und der Anstandsrock, der zugleich die ansonsten befohlenen Unterröcke minimierte, waren durchaus in ihrem Sortiment vorhanden und wurde ergänzt von einem schmalen Nebensortiment an eleganten Strohhüten, die gerade in Mode gekommen waren. Die Conrad achtete sorgfältig auf ein ausgewogenes Angebot, denn die Kundschaft bestand nicht nur aus Anhängern der reformierten Unterwäsche. Aber der Zug der Zeit drängte auf freiere Bewegungsmöglichkeiten der Kleidung insgesamt und unterstützte damit die Emanzipationsbestrebungen, die auch Teilnahme am Arbeitsleben hieß.
Kurz: Marie Conrad war nach Maßgabe und Möglichkeiten, die das beginnende Jahrhundert zuließ, eine selbstständige, durchaus erfolgreiche Geschäftsfrau, mit einem allerdings weniger harmonischem Eheleben, woran sie nicht schuldlos war: Sie verweigerte sich ihrem Mann. Die ehelichten Pflichten waren ihr zuwider, ja sie fand ein gemeinsames Sexualleben abscheulich, sogar ihrer unwürdig. Das steigerte sich durch ihre ständige Angst vor Vergewaltigung, die zugegebenermaßen im Land und auf den Straßen häufig vorkamen, und der sie auch aus diesem Grund Rechnung trug, was das Angebot ihres Wäschesortiments betraf. Seit die Reformhose mit geschlossenem Schritt erfunden und auch zugelassen war, sortierte sie die Hosen mit offenem Schritt entschieden aus.
Wenn hier auf diese „Besonderheit“ eingegangen wird, ist das für den später erfolgten Mord von gewisser Bedeutung.
Aber zunächst: von Martha Wulff, einer guten Freundin der Conrad war folgendes zu erfahren:
Der 2. Pfingstsonntag erschien Marie Conrad dazu angetan, die notwendige Reise nach Klinga zu unternehmen, um dort einen in der Naturheilkunde erfahrenen Mann zu treffen, in der Hoffnung, dem erkrankten Bruder dienlich sein zu können.
Sie hatte sich eine Urinprobe von ihm kommen lassen, die sie mit sich führte zum Zwecke einer Analyse.
Die Fahrt von Leipzig nach Großsteinberg war kurz, von dort war es noch ein etwa dreißigminütiger Fußmarsch bis Klinga. Fahrt und Fußweg waren der jungen Frau vertraut, sie war nicht zum ersten Mal hier.
Die gewählte Kleidung schien dem Vorhaben angemessen: zum grauen Rock trug sie eine weiße Bluse und entschied sich für eine geschlossene Reformhose, deren Schrittnaht, wie sie der Freundin zuvor noch mitgeteilt hatte, sie noch einmal mit starkem Garn vernähte hatte, obwohl sie schon noch mehrere Röcke übereinander trug.
Da der Morgen noch kühl war, griff sie zum Mantel und wählte mit Bedacht einen der modernen Strohhüte aus.
Obwohl nicht mit Regen zu rechnen war, nahm sie dennoch den Regenschirm, dazu die kleine Lederhandtasche mit Kettchen in der sie die Urinprobe verstaute. Ein Zwanzigmarkstück und 4-5 Mark in Silber gab sie ins Portemonnaie, nahm wie üblich zum Schluss die Kettenuhr und einen Ring an sich, dann verließ sie das Haus und ging zum Leipziger Bahnhof.
Der Zug fuhr 6.38 Uhr von dort und erreichte mit dreiminütiger Verspätung, also 7.14 Uhr den Bahnhof Großsteinberg.
Großsteinberg zu dieser frühen Stunde, liegt verlassen und menschenleer. Die Conrad wird das stille Dorf raschen Schrittes durchquert haben, um zügig in Richtung Klinga zu laufen. Sie mag sich auch mehrfach vergewissert haben, dass niemand ihr folgte, Unruhe war sicher in ihr.
Zu dieser Jahreszeit standen das Buschwerk am Straßenrand und die Obstbäume schon dicht belaubt, auch die Kornfelder waren bereits hoch und gewährten durchaus Deckung gegen mögliche Sicht.
Hier fand dann auch Martin Scholz die Leiche der Marie Conrad, etwa 6 Meter abseits von der Straße zwischen Großsteinberg und Klinga, ziemlich am Rand seines Kornfeldes.
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