1 ...6 7 8 10 11 12 ...19 Kaum waren sie fertig, durchnässt aber sicher im Haus, frischte der Wind draußen ein weiteres Mal auf und peitschte gegen alles, was ihm in den Weg kam. Heftige Orkanböen kündigten an, dass dies erst der Anfang sein sollte und sie sich auf ein langes Unwetter einstellen mussten.
Draußen war es mittlerweile so dunkel, als wäre es mitten in der Nacht.
Beide gingen geschafft in die Küche, und Lara befüllte den Wasserkocher mit Wasser. Daniel sank nass und verschwitzt auf der Eckbank nieder und beobachtete seine Frau dabei.
»Diese Frau. Ich meine Maria, meine Mutter«, begann Lara, »sie macht mich noch ganz wahnsinnig mit ihrer Neugier und übertriebenen Fragerei. Außerdem erzählt sie alles doppelt und dreifach. Nervt dich das nicht auch?«, fragte sie, schnaubte und sah Daniel erwartungsvoll an.
Er blickte nachdenklich geradeaus und gab keine Antwort.
Sie fixierte ihn weiter. Dabei bemerkte Lara gar nicht, wie das Wasser überquoll und den Wasserkocher hinab rann, um im Ausguss des Spülbeckens zu verschwinden.
Daniel räusperte sich und zeigte in Richtung Spülbecken.
Sie verstand nicht, was er von ihr wollte, obwohl der Ausguss bereits verdächtig zu gluckern und schlürfen begann.
»Schatz? Ich glaube das Wasser reicht für eine Kanne Tee«, sagte er vorsichtig und lächelte. Er wusste genau, wie geladen seine Frau innerlich noch war, nur weil sie alles immer in sich hineinfraß, um ihre Mutter nicht zu beleidigen. Doch wenn sie sich entladen würde, dann wollte er nicht dabei sein.
Normalerweise war es sehr schwer, Lara auf die Palme zu bringen, doch wenn man es geschafft hatte, dann war der Ausbruch heftig, wie das draußen wütende Gewitter. Er musste sie irgendwie ablenken, denn wenn ihre Grenze überschritten war, konnte man nur noch die Flucht ergreifen. Wenigstens war sie nicht gewalttätig oder nachtragend. Nicht nachtragend zu sein, das hielt er ihr zugute, genauso wie das Attribut, immer für andere da zu sein, wenn man sie brauchte.
»Oh ja«, seufzte Lara, lächelte und ließ die Schultern sinken. Den Wasserkocher hatte sie für einen kurzen Moment total vergessen. Mit der einen Hand schlug sie sich gegen die Stirn und schüttelte den Kopf, während sie mit der anderen den Hahn abdrehte. Schnell schüttete sie einen großen Schluck Wasser ab und stellte es zum Kochen auf. Danach drehte sie sich um, verschränkte die Arme und starrte Daniel an. Dabei sah sie leicht verwirrt aus. »Also, wo war ich, Schatz?«, fragte Lara geistesabwesend und dachte kurz nach. Als sie sich gesammelt hatte, sprach sie weiter. »Genau, meine Mutter. Was meinst du denn zu dem Ganzen? Das ist doch nicht normal, oder? Als wir hierhergezogen waren, habe ich mich richtig gefreut. Auch die ersten Jahre waren echt klasse. Doch seitdem wir ein Kind wollen, wünschte ich, meine Mutter würde weit weg von uns wohnen. Oder wir hätten es ihr erst gar nicht sagen sollen. Jeden Tag vorbeizukommen, das ist einfach zu viel. Findest du das nicht auch?«
»Nun ja, sie ist nun mal deine Mutter, und Mütter …« Daniel überlegte, wie er seine Worte wählen sollte, um möglichst neutral zu klingen.
»Was?«, bohrte Lara mit einem grimmigen Lächeln nach, als einige Sekunden lang keine Antwort kam.
»Also …«, begann Daniel erneut. Er wollte sich auf keine Seite der Front stellen, um keinen Streit zu provozieren. Seine Frau wurde ungeduldig. Er musste so schnell wie möglich Pro und Kontra abwägen und eine zufriedenstellende Antwort zusammenschustern. »Ich kann dich verstehen, dass du von deiner Mutter genervt bist. Es ist auch nicht die feine Art von ihr, jeden Tag hier ungefragt aufzukreuzen und dich auszufragen. Doch du musst dich auch einmal in ihre Lage …« Er stockte und horchte, spitzte die Ohren und richtete sich auf.
Lara musste anfangen zu lachen, weil er sie an ein Wache haltendes Erdmännchen erinnerte.
Das Pfeifen des Windes und das Plätschern des Regens waren nun nicht mehr die einzigen Laute draußen. Heftiges Prasseln von dicken Hagelkörnern hatte eingesetzt. Die Sonne war komplett verschwunden. Draußen war es auf einmal richtig schwarz geworden. Es herrschte Weltuntergangsstimmung. Dort braute sich etwas Gewaltiges zusammen. Selbst im Haus war die Luft wie elektrisiert. Erneut drang ein lautes Grollen zu ihren Ohren vor.
So etwas hatte Lara seit den dreizehn Jahren, in denen sie in Lindenberg wohnten, nicht erlebt. Daniel schloss das gekippte Küchenfenster hinter sich, denn er und alles in seinem Umkreis wurden nass gespritzt und mit Hagel verziert.
»Oh mein Gott!«, stieß Lara auf einmal panisch aus. Ihre Augen weiteten sich.
»Danke. Du kannst mich aber ruhig Daniel nennen, alternativ auch Schatz. Ein Fenster zu schließen, ist kein Hexenwerk«, gab er zurück, grinste schelmisch und verschränkte mit stolzem Blick die Arme vor der Brust.
»Nein, du …«, antwortete Lara, dachte sich Idiot dazu und rollte mit den Augen. Stattdessen streckte sie ihm wie ein kleines Kind die Zunge heraus und musste grinsen. »Weil es so erdrückend heiß war, habe ich im ganzen Haus die Fenster voll aufgerissen. Heute Mittag, als meine Mutter da war und ich zur Toilette musste.«
»Ach so. Ich habe mir schon gedacht, du hättest so lange gebraucht, weil du mal richtig …«
»Halt die Klappe! Wir haben jetzt Besseres zu tun. Auf, los jetzt, sonst haben wir gleich ein Schwimmbad im Haus!«
»Wer die Fenster aufgemacht hat, macht sie auch wieder zu, würde ich sagen«, gab er als Antwort zurück.
»Schatz. Willst du, dass ich sauer werde?«
»War ja nur ein Witz.«
Es setzte eine wilde Hetzerei quer durch das ganze Haus ein. Doch Daniel war froh, dass er dem Thema Lara und ihre Mutter noch einmal entkommen war. Er wusste zwar nicht, für wie lange, doch heute hatte er sicherlich seine Ruhe.
Hin und wieder liefen sie sich gehetzt über den Weg und riefen sich im Vorbeigehen zu, wo sie schon die Fenster geschlossen hatten, um keines zu vergessen und nicht vor jedem Fenster zweimal zu stehen. Als alle geschlossen waren, trafen sich beide total abgehetzt in der Küche wieder.
»Und, ist alles trocken geblieben?«, fragte Daniel neugierig.
»Ja, bis auf ein Fenster. Wir waren ja noch halbwegs zeitig mit dem Schließen. Nur oben im kleinen Arbeitszimmer ist der Teppich nass. Der Computer ist allerdings trocken geblieben. Blöde Dachluke! Und bei dir?«
»Alles halbwegs trocken. Nur ich bin jetzt nass … geschwitzt. Was sollen wir jetzt machen?«, fragte er.
»Ich weiß nicht. Du könntest vielleicht ein bisschen lesen und ich ein wenig arbeiten. Wir setzen uns einfach ins Wohnzimmer oder ins Bett. Ich mit meinem Laptop und du mit deinem E-Book-Ding«, antwortete sie.
»Oder was hältst du davon, wenn wir was spielen? Lass die Arbeit einfach liegen, es ist doch Wochenende. Schach oder irgendein anderes Brettspiel, Lara, Schatz. Oh, oder Monopoly, Hasilein. Es ist schon echt lange her, dass wir zusammen etwas gespielt haben.«
»Nenn mich nicht so! Das hört sich total doof an!« Ihre Miene wechselte binnen Momenten von heiter zu düster. »Wie wäre es mit Karten? Rommé oder Canasta haben wir lange nicht mehr gespielt.«
»Oder ein anderes Spiel unter einer Decke ohne Kleidung? Wie wäre das?«, fragte er freudig.
Sie schaute ihn ernst an, sodass ihr Blick ausreichte, ihm mitzuteilen: Das war keine gute Idee .
»Ja, schon gut, habe verstanden. Ich hole …«
Er wurde von einem ohrenbetäubenden Donner unterbrochen. Das Licht flackerte zuerst wie wild, wurde dann zwischendurch eigenartigerweise heller und fiel schlussendlich ganz aus.
»Ich glaube, das mit dem Arbeiten oder Spielen hat sich gerade erledigt«, kicherte Lara.
Daniel umarmte sie.
»Hm, vielleicht können wir ja doch hochgehen und ein bisschen im Bett miteinander spielen?«, fragte sie.
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